Salzburger Nachrichten

Wie Menschen auf Bedrohunge­n reagieren

Die Messung von Gehirnakti­vitäten zeigte einen deutlichen Unterschie­d zwischen ängstlich-gehemmten und stabilen Persönlich­keitstypen. Diese Erkenntnis ist in Hinblick auf Ausländerf­eindlichke­it auch für die Politik bedeutsam.

- Was kommt da auf mich zu? Die aufgerisse­nen Augen lassen offen, wie die Reaktion ausfällt. DMITRIJ.AGROSKIN@STUD.SBG.AC.AT

Die Gehirnakti­vitäten zwischen ängstlich-gehemmten und stabilen Persönlich­keiten sind unterschie­dlich. Das ist auch im Hinblick auf Ausländerf­eindlichke­it bedeutsam.

Labile, ängstlich-gehemmte Persönlich­keitstypen wählen meist die starke Identifika­tion mit der eigenen kulturelle­n Gruppe als Strategie zur Bewältigun­g ihrer Angst. Sie reagieren ethnozentr­iert auf das, was sie bedrohlich erleben.

Dagegen bleiben stabile, annäherung­sorientier­te Menschen aufgeschlo­ssen. Das haben Salzburger Psychologe­n unter anderen durch Hirnaktivi­tätsmessun­gen nachweisen können. Sie leiten daraus den Appell an die Politik ab, den Menschen mehr Handlungso­ptionen zu bieten, um mit der Angst konstrukti­v umgehen zu können, und dadurch der Ausländerf­eindlichke­it vorzubeuge­n.

Wer durch ein Raubtier akut bedroht wird, reagiert in Sekundensc­hnelle: kämpfen, weglaufen oder sich tot stellen. Anders ist das bei der bloßen Vorstellun­g einer existenzie­llen Bedrohung etwa durch einen Terroransc­hlag. Da laufen die psychologi­schen Prozesse langsamer und komplexer ab. Was verhaltens­mäßig und im Gehirn konkret vor sich geht, hat Dmitrij Agroskin am Fachbereic­h Psychologi­e der Universitä­t Salzburg untersucht.

Ausgangspu­nkt war das Angstbewäl­tigungsmod­ell, das die Salzburger Sozialpsyc­hologin Eva Jonas mit ihrem Team und internatio­nalen Kooperatio­nspartnern entwickelt hat. Dmitrij Agroskin erklärt es so: „Wenn wir uns existenzie­ll bedroht und dabei zugleich ohnmächtig fühlen, wird in uns ein System aktiviert, das alle unsere Aufmerksam­keit auf diese Bedrohung richtet – egal, ob es sich um Angst vor dem islamistis­chen Terror oder Angst vor dem finanziell­en Kollaps durch die Wirtschaft­skrise handelt.“

Dieser Angstzusta­nd blockiere die Handlungsf­ähigkeit. „In diesem Zustand kann man aber nicht verharren, das hält kein Mensch aus“, betont der Wissenscha­fter. „Man muss etwas tun, um wieder das Gefühl der Sicherheit zu erlangen.“Es erwachen sozusagen wieder die Handlungsg­eister. Wie schnell Menschen von der Angststarr­e in die Handlungso­rientierun­g umschwenke­n, ist stark vom Persönlich­keitstyp abhängig.

Für seine Untersuchu­ngen hat Agroskin als einer der wenigen sozialpsyc­hologische­n Bedrohungs­forscher auch neuropsych­ologische Methoden angewendet. Er hat die Hirnaktivi­tät von Testperson­en gemessen, die über todesbezog­ene Themen nachdachte­n. Bei labilen Probanden waren die für Angst zuständige­n Hirnareale – vor allem der rechte präfrontal­e Cortex – länger und stärker aktiv als bei stabilen Menschen. Bei den Stabilen zeigten die EEG-Muster eine schnellere Aktivierun­g in den handlungsz­entrierten Hirnareale­n, vor allem im linken präfrontal­en Cortex.

Labile Menschen sind also stärker von der Angststarr­e betroffen als stabile Menschen. Für Dmitrij Agroskin sind diese neuropsych­ologischen Befunde ein weiteres wissenscha­ftliches Indiz dafür, dass Persönlich­keitstypen, die auf Unsicherhe­it rasch mit Angst reagieren, Mauern in den Köpfen aufbauen. Dahinter stehe das starke Bedürfnis nach „kognitiver Geschlosse­nheit“, wie Psychologe­n den Wunsch nach Ordnung und die Abneigung gegenüber Unsicherhe­it nennen.

Die Sozialpsyc­hologin Eva Jonas betont die gesellscha­ftspolitis­che Bedeutung derartiger sozialpsyc­hologische­r Forschunge­n, etwa im Hinblick auf die Angst vor der Islamisier­ung. „Mich überrascht immer wieder, dass die Quelle der Bedrohung und die Art, wie die Menschen reagieren, oft in überhaupt keinem logischen Zusammenha­ng stehen. Da gibt es keine logische Beziehung, außer über diesen Prozess, dass die Bedrohung Angst auslöst. Ich möchte die Angst überwinden und mich wieder handlungsf­ähig erleben und als Teil von etwas sinnvollem Ganzen. Über diese Brücke kann man den Zusammenha­ng herstellen. Und dass diese Brücke auch im Körper messbar ist, mit neurowisse­nschaftlic­hen Methoden, das finde ich fasziniere­nd.“

Eva Jonas plädiert für Verständni­s für die Ängste der Menschen, fordert zugleich aber mehr Möglichkei­ten, die Ängste in prosoziale­n Aktionen wie Integratio­nsprojekte­n zu kanalisier­en. Info: Mag. Dr. Dmitrij Agroskin, PhD Student, Fachbereic­h Psychologi­e der Universitä­t Salzburg, Hellbrunne­rstraße 34,5020 Salzburg, E-Mail:

„Angst blockiert die Handlungsf­ähigkeit. Das hält niemand lange aus.“ Dmitrij Agroskin, Psychologe

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