Erdogan geht gegen Kritiker gnadenlos vor
Wenn heute, Dienstag, der Internationale Tag der Pressefreiheit begangen wird, gibt es in der Türkei keinen Grund zum Feiern.
Erst am Samstag wurde ein weiterer prominenter Journalist festgenommen, nämlich der Chefredakteur des regierungskritischen Senders IMC-TV. Es steht schlecht um die Meinungsfreiheit im Land des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Unnachsichtig verfolgt er missliebige Journalisten. Kritik aus Europa lässt Erdogan kalt. Er weiß: Die EU braucht ihn in der Flüchtlingskrise.
Die Türkei habe die freieste Presse der Welt, brüstet sich Erdogan. Can Dündar macht eine andere Erfahrung: Seit Ende März steht der Chefredakteur der oppositionsnahen Zeitung „Cumhuriyet“gemeinsam mit dem Ankara-Bürochef des Blattes, Erdem Gül, in Istanbul vor Gericht. Sie hatten 2015 Dokumente publiziert, die Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Extremisten in Syrien zu belegen scheinen. Auf Anzeige Erdogans wurden Dündar und Gül der Spionage, des Umsturzversuchs und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Ihnen droht lebenslange Haft.
Im jüngsten Jahresbericht der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) liegt die Türkei in der Rangliste der Pressefreiheit unter 180 Staaten auf Platz 151. Gegenüber 2015 ist sie damit weitere zwei Plätze zurückgefallen. Sie liegt sogar hinter Russland, Äthiopien und Venezuela. Auch die US-„Denkfabrik“attestierte der Türkei eine „alarmierende Verschlechterung“bei der Meinungsund Pressefreiheit.
Nicht nur einheimische Journalisten lässt Erdogan verfolgen. Zunehmend bekommen auch Ausländer den Zorn des türkischen Präsidenten zu spüren. Erdogan scheint seine Vorstellungen von Pressefreiheit ins Ausland exportieren zu wollen. So wies das türkische Konsulat in Rotterdam dort lebende Türken an, Beleidigungen gegen Erdogan, etwa in sozialen Netzwerken, unverzüglich zu melden. Vor zehn Tagen wurde die türkisch-niederländische Journalistin Ebru Umar während ihres Urlaubs in Kusadasi wegen angeblich beleidigender Äußerungen über Erdogan festgenommen. Sie ist inzwischen wieder auf freiem Fuß, darf die Türkei aber nicht verlassen.
Mehreren ausländischen Journalisten verweigerte die Türkei jüngst die Einreise, darunter einem ARDKorrespondenten. Nachdem bereits im vergangenen Jahr die niederländische Reporterin Frederike Geerdink aus der Türkei abgeschoben worden ist, droht jetzt der finnischen Buchautorin Taina Niemelä das gleiche Schicksal. Die Türkei werde immer mehr „wie Nordkorea“, klagt ihr Anwalt Mahmut Kacan. Der „Spiegel“-Korrespondent Hasnain Kazim musste im März das Land verlassen, nachdem die türkischen Behörden ihm eine Erneuerung seiner Akkreditierung verweigerten.
Die Pressefreiheit in der Türkei sei „de facto vollständig aufgehoben“, klagt Ismail Topcuoglu, Vorsitzender der Mediengewerkschaft Pak Medya Is. Noch nie in der jüngeren Geschichte des Landes sei die türkische Presse so unter Druck gestanden wie jetzt. Missliebige Medienunternehmen werden gleichgeschaltet, wie der Zeitungsverlag Feza Gazetecilik und die Koza-IpekMediengruppe, die unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt und auf Regierungslinie gebracht wurden. Kritische Journalisten müssen nicht nur um ihren Job und ihre Freiheit, sondern um ihr Leben fürchten. Der „Hürriyet“-Kolumnist Ahmet Hakan wurde vor seinem Haus von Anhängern der Regierungspartei AKP krankenhausreif geschlagen.
Dündar und Gül warten auf die Fortsetzung ihres Prozesses. Die nächste Verhandlung soll an diesem Freitag stattfinden – hinter verschlossenen Türen. Erdogan hat den Richtern die Linie vorgegeben: Die Journalisten müssten „einen hohen Preis bezahlen“.