Zensur in China ist lückenlos
Regime in Peking hat Kommunikationskanäle unter Kontrolle gebracht.
PEKING. Anfang des Jahrhunderts war er voller Enthusiasmus in den Journalismus gegangen, doch in den vergangenen Jahren hat Li Bin resigniert. „Gerade investigativer Journalismus ist kaum noch möglich“, sagt der 37jährige Redakteur einer überregionalen Tageszeitung mit Sitz in Peking. „Eigentlich sollten wir doch eine Überwachungsfunktion ausüben, von der die ganze Gesellschaft profitiert, doch derzeit können wir kaum etwas machen.“Stattdessen werden er und seine Kollegen in China immer wieder als Staatsfeinde dargestellt, wenn sie versuchen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Die Pressefreiheit nimmt in China insgesamt ab. „Der Spielraum ist weiter geschrumpft“, urteilt die US-Organisation Freedom House in ihrem jüngsten Bericht. So säßen in China derzeit 49 professionelle Journalisten wegen ihrer Berichterstattung im Gefängnis, berichtet Freedom House. Auf der Skala der Organisation zur Bewertung der Pressefreiheit nimmt China mit 87 von 100 Negativ-Punkten einen noch schlechteren Platz ein als im Vorjahr. Das Land liegt damit weit am unteren Ende der Rangliste in der Nähe von Iran und Saudi-Arabien.
Präsident Xi Jinping ist ganz offenbar in seinem Bestreben weitergekommen, die gesamte Gesellschaft auf Parteilinie zu bringen. Die lückenlose Zensur aller Informationskanäle ist ein wichtiger Teil dieses Konzepts. Damit endet ein politisches Tauwetter: Unter seinen Vorgängern haben die Medien nach und nach mehr Rechte erhalten, und in Blogs waren vergleichsweise offene Diskussionen möglich.
In der Praxis ist die Verschärfung deutlich zu merken. In der Morgenkonferenz gebe der Chefredakteur oder der Propagandaverantwortliche zu jedem Thema den erwünschten Tenor vor, berichtet Journalist Li aus seinem Arbeitsalltag. Oft ist sogar festgelegt, welche Experten zu interviewen seien. In vielen Fällen, etwa beim Territorialstreit im Südchinesischen Meer, erhalten die Redakteure sogar die fertigen Fragen und Antworten von der Zensurbehörde zugeschickt. Dann steht in allen chinesischen Zeitungen das Gleiche. Wer mehrfach von der vorgegebenen Linie abweicht, verliert seinen Job, so zum Beispiel Lis früherer Chefredakteur. Er ist durch einen zuverlässigen Parteimann ersetzt worden.
Redakteur Li freut sich umso mehr über Gelegenheiten, das System zu unterlaufen und doch noch den einen oder anderen Missstand ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Vor allem auf dem Land kann er einen Unterschied machen: Die Provinzpresse steht unter der Fuchtel der Lokalpolitiker, während sein überregionales Medium aus Peking hier freier agieren kann. Li war etwa als Augenzeuge dabei, als sich in der Provinz Hunan Dorfbewohner eine Schlacht mit der Polizei lieferten, weil Beamte ihnen das Land wegnehmen wollten.