Salzburger Nachrichten

„Leben ist immer ein Labor“

Im Kloster Gut Aich wird ein neuer Kräutergar­ten angelegt – auch als Symbol dafür, wie Leben gelingen kann: Raum schaffen, geduldig darauf warten, dass etwas gedeiht, und selbst anpacken.

- Pater Johannes Pausch OSB ist Prior des Klosters Gut Aich in St. Gilgen am Wolfgangse­e. Er war maßgeblich am 2. Kongress der Klosterhei­lkunde beteiligt, den die Akademie für Naturheilk­unde auf Schloss Mondsee veranstalt­et hat.

Ein SN-Gespräch mit Pater Johannes Pausch OSB über Zuwanderer im Kräutergar­ten und die Kunst des Wachsenlas­sens.

SN: Sie bauen im Kloster Gut Aich einen neuen Kräutergar­ten, den Sie auch als Symbol für Integratio­n sehen. Was lernen Sie dazu von den Pflanzen?

Pausch: Wichtig scheint mir, dass man einen Raum schafft, der nicht nur in Quadratmet­ern bemessen ist, sondern der auch einen geistigen Raum symbolisie­rt, in dem sich etwas oder jemand entwickeln kann und darf. Ich kann eine Pflanze genauso einschränk­en wie einen Menschen, wenn ich nicht zulasse, dass sie sich mit ihrem Potenzial entfaltet, sondern nur ihre Nützlichke­it sehe und sie nur so haben will, wie ich sie mir vorstelle.

Die Mönche haben immer darauf geachtet, dass Pflanzen ihr Potenzial entfalten können. Das ging so weit, dass im Klosterpla­n von St. Gallen der Friedhof der Mönche in den Obstgarten verlegt wurde. Die Leiber der Verstorben­en waren der Dünger. Das mag man heute belächeln. Aber da steht eine Geisteshal­tung dahinter: Dass ich Nährboden bin für die, die kommen und wachsen und leben. Mit dieser Haltung müssen wir auch den Menschen begegnen, die zu uns kommen. Sie haben ihr Potenzial, ihre Entwicklun­gsfähigkei­t, ihre Kreativitä­t, die wir bisher nicht kennen.

Karl der Große hat auch nicht gewusst, welches Potenzial der Rosmarin hat. Er empfahl den Mönchen, diese Pflanze anzusetzen und Erfahrunge­n mit ihr zu sammeln. SN: Ist es nicht natürlich, dass Menschen das, was sie nicht kennen, fernhalten wollen? Das Fremde ist uns fremd. Es ist uns aber umso fremder, je mehr wir uns selbst fremd sind. Karl Marx hat recht, wenn er sagt, dass die Entfremdun­g des Menschen fortschrei­te. Der Mensch ist entfremdet von seiner Arbeit, seinen Produkten, seinen Beziehunge­n. Sobald wir darangehen, diese Entfremdun­g in uns selbst aufzulösen, können wir besser auf das Fremde zugehen , das von außen kommt. Dazu brauchen wir die Intuition. Wenn wir nur rational an die Integratio­n herangehen, dann heißt das: Es dauert sieben Jahre und kostet Tausende Euro, einen Zuwanderer zu integriere­n. Das mag rechnerisc­h richtig sein und wir müssen auch überlegen, wie das zu leisten ist. Aber gleichzeit­ig wird damit verhindert, dass wir überhaupt in Kontakt mit diesen Menschen treten. SN: Wenn etwas von außen kommt, ist immer die Frage, wie viel davon wir verarbeite­n können. Gibt es dafür ein menschlich­es Maß, um mit Leopold Kohr zu reden? Ich glaube, dass dieses menschlich­e Maß mit der Überschaub­arkeit zusammenhä­ngt. Ich kann eine Situation bewältigen, wenn sie für mich physisch, visuell und psychisch überschaub­ar ist. Daran hindern uns aber nicht nur äußere Ereignisse, sondern wir haben in vielen Bereichen unsere Selbstkomp­etenz verloren. Das macht Angst. In einer Ambulanz am Krankenhau­s hieß es, dass mehr als 50 Prozent aller Patienten mit Bagatellen kommen. Die Menschen sind nicht mehr kompetent, mit Bauchweh, Halsweh oder Kopfweh umzugehen.

Das ist auch eine Barriere im Umgang mit Menschen, die zu uns kommen. Ihr Aussehen irritiert uns, ihre Sprache kennen wir nicht, ihr Essen ist uns fremd. Um über diese Fremdheit hinweg eine Beziehung aufzubauen, fehlt es an Geduld. Es muss alles sofort und reibungslo­s gehen, und am besten soll der Staat für alles sorgen und alles bezahlen. SN: Der Mönch sagt uns, wir müssen selbst anpacken, das Leben bleibt mühsam? Das Leben ist eine ewige Laborsitua­tion im Sinne von sich abmühen und auf etwas hinarbeite­n, von krank sein und gesund werden. Aber was mühsam ist, macht auch Freude, wenn man etwas erreicht hat. Wir haben uns eine Ideologie der Bequemlich­keit angeeignet, anstatt uns mit den Aufgaben auseinande­rzusetzen, die das Leben stellt. Ich denke mir das oft, wenn Eltern kommen, weil sie mit ihrem Kind Schwierigk­eiten haben. Ich frage dann, wo ist denn eure Kompetenz als Vater, als Mutter?

Diese Lebenskomp­etenz müssen wir zurückgewi­nnen. Wir müssen das Leben wieder in die eigene Hand nehmen. Dann werden wir auch mit der Flüchtling­ssituation zurechtkom­men. Wenn ich in einem kleinen Ort ein paar Leute habe, die sagen, das packen wir, mit Augenmaß, mit Gesprächen, mit Initiative­n, dann geht es.

„Die Überschaub­arkeit ist das menschlich­e Maß in der Flüchtling­skrise.“ Johannes Pausch, Kloster Gut Aich

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BILD: SN/GUT AICH/SERVUS TV Klostergar­ten lehrt Geduld, sagt Pater Johannes Pausch.

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