„Leben ist immer ein Labor“
Im Kloster Gut Aich wird ein neuer Kräutergarten angelegt – auch als Symbol dafür, wie Leben gelingen kann: Raum schaffen, geduldig darauf warten, dass etwas gedeiht, und selbst anpacken.
Ein SN-Gespräch mit Pater Johannes Pausch OSB über Zuwanderer im Kräutergarten und die Kunst des Wachsenlassens.
SN: Sie bauen im Kloster Gut Aich einen neuen Kräutergarten, den Sie auch als Symbol für Integration sehen. Was lernen Sie dazu von den Pflanzen?
Pausch: Wichtig scheint mir, dass man einen Raum schafft, der nicht nur in Quadratmetern bemessen ist, sondern der auch einen geistigen Raum symbolisiert, in dem sich etwas oder jemand entwickeln kann und darf. Ich kann eine Pflanze genauso einschränken wie einen Menschen, wenn ich nicht zulasse, dass sie sich mit ihrem Potenzial entfaltet, sondern nur ihre Nützlichkeit sehe und sie nur so haben will, wie ich sie mir vorstelle.
Die Mönche haben immer darauf geachtet, dass Pflanzen ihr Potenzial entfalten können. Das ging so weit, dass im Klosterplan von St. Gallen der Friedhof der Mönche in den Obstgarten verlegt wurde. Die Leiber der Verstorbenen waren der Dünger. Das mag man heute belächeln. Aber da steht eine Geisteshaltung dahinter: Dass ich Nährboden bin für die, die kommen und wachsen und leben. Mit dieser Haltung müssen wir auch den Menschen begegnen, die zu uns kommen. Sie haben ihr Potenzial, ihre Entwicklungsfähigkeit, ihre Kreativität, die wir bisher nicht kennen.
Karl der Große hat auch nicht gewusst, welches Potenzial der Rosmarin hat. Er empfahl den Mönchen, diese Pflanze anzusetzen und Erfahrungen mit ihr zu sammeln. SN: Ist es nicht natürlich, dass Menschen das, was sie nicht kennen, fernhalten wollen? Das Fremde ist uns fremd. Es ist uns aber umso fremder, je mehr wir uns selbst fremd sind. Karl Marx hat recht, wenn er sagt, dass die Entfremdung des Menschen fortschreite. Der Mensch ist entfremdet von seiner Arbeit, seinen Produkten, seinen Beziehungen. Sobald wir darangehen, diese Entfremdung in uns selbst aufzulösen, können wir besser auf das Fremde zugehen , das von außen kommt. Dazu brauchen wir die Intuition. Wenn wir nur rational an die Integration herangehen, dann heißt das: Es dauert sieben Jahre und kostet Tausende Euro, einen Zuwanderer zu integrieren. Das mag rechnerisch richtig sein und wir müssen auch überlegen, wie das zu leisten ist. Aber gleichzeitig wird damit verhindert, dass wir überhaupt in Kontakt mit diesen Menschen treten. SN: Wenn etwas von außen kommt, ist immer die Frage, wie viel davon wir verarbeiten können. Gibt es dafür ein menschliches Maß, um mit Leopold Kohr zu reden? Ich glaube, dass dieses menschliche Maß mit der Überschaubarkeit zusammenhängt. Ich kann eine Situation bewältigen, wenn sie für mich physisch, visuell und psychisch überschaubar ist. Daran hindern uns aber nicht nur äußere Ereignisse, sondern wir haben in vielen Bereichen unsere Selbstkompetenz verloren. Das macht Angst. In einer Ambulanz am Krankenhaus hieß es, dass mehr als 50 Prozent aller Patienten mit Bagatellen kommen. Die Menschen sind nicht mehr kompetent, mit Bauchweh, Halsweh oder Kopfweh umzugehen.
Das ist auch eine Barriere im Umgang mit Menschen, die zu uns kommen. Ihr Aussehen irritiert uns, ihre Sprache kennen wir nicht, ihr Essen ist uns fremd. Um über diese Fremdheit hinweg eine Beziehung aufzubauen, fehlt es an Geduld. Es muss alles sofort und reibungslos gehen, und am besten soll der Staat für alles sorgen und alles bezahlen. SN: Der Mönch sagt uns, wir müssen selbst anpacken, das Leben bleibt mühsam? Das Leben ist eine ewige Laborsituation im Sinne von sich abmühen und auf etwas hinarbeiten, von krank sein und gesund werden. Aber was mühsam ist, macht auch Freude, wenn man etwas erreicht hat. Wir haben uns eine Ideologie der Bequemlichkeit angeeignet, anstatt uns mit den Aufgaben auseinanderzusetzen, die das Leben stellt. Ich denke mir das oft, wenn Eltern kommen, weil sie mit ihrem Kind Schwierigkeiten haben. Ich frage dann, wo ist denn eure Kompetenz als Vater, als Mutter?
Diese Lebenskompetenz müssen wir zurückgewinnen. Wir müssen das Leben wieder in die eigene Hand nehmen. Dann werden wir auch mit der Flüchtlingssituation zurechtkommen. Wenn ich in einem kleinen Ort ein paar Leute habe, die sagen, das packen wir, mit Augenmaß, mit Gesprächen, mit Initiativen, dann geht es.
„Die Überschaubarkeit ist das menschliche Maß in der Flüchtlingskrise.“ Johannes Pausch, Kloster Gut Aich