Unbesiegbare Bakterien
Antibiotika, eine Wunderwaffe der Medizin, wirken immer schlechter. Bei dem Thema ist die Gesundheit von Mensch und Tier eng miteinander verknüpft.
Das Kaninchen niest? Der Hund humpelt? Die Geburt des Kälbchens im Kuhstall verläuft nicht reibungslos? Lauter typische Fälle, in denen der Tierarzt zum Einsatz kommt.
Doch abseits der vielen kleinen und großen Schicksalsgeschichten, die sich während der Sprechstunden und Visiten abspielen, gibt es auch tiermedizinische Themen, bei denen nicht nur der einzelne tierische Patient im Zentrum steht. In Einsatzbereichen wie beispielsweise der Schweinemast werden ganze Herden auf einmal mit Medikamenten versorgt. Metaphylaxe nennt man es, wenn nur wenige Tiere krank sind, aber sicherheitshalber alle im Stall behandelt werden.
Nehmen wir eine bakterielle Infektion. Winzige, krank machende Bakterien nisten sich im Körper ein, vermehren sich, verursachen Durchfälle, bringen Wunden zum Eitern oder verschleimen die Atemwege. In solchen Fällen werden bei Mensch und Tier dieselben Medikamente eingesetzt. Antibiotika.
Hier kommt die Humanmedizin ins Spiel. Sie hat seit Jahren mit resistenten Keimen zu kämpfen wie beispielsweise dem als Krankenhauskeim gefürchteten Bakterium MRSA. Die Veterinärmedizin steht als Mitverursacher in der Kritik, denn in Schweinemastbetrieben haben Bakterien beste Chancen, sich so zu verändern, dass ihnen das Antibiotikum nichts mehr anhaben kann. Bildlich erzählt läuft das so ab: In einer Lunge sitzen 5000 Bakterien, die eine Entzündung verursachen. Eines der Bakterien ist aber anders als die anderen. Durch eine spontane Mutation seiner Gene ist es für das Antibiotikum nicht angreifbar. Solche Mutationen passieren laufend in der Natur, sie sind nur selten von Bedeutung. Der Patient schluckt das Antibiotikum, die Lungenentzündung wird besser, denn 4999 Bakterien sterben ab. Aber das mutierte Bakterium überlebt still und heimlich. Konkurrenzlos kann es sich vermehren, sein mutiertes Gen weitergeben und erneut eine Lungenentzündung auslösen, gegen die jetzt kein Mittel mehr hilft.
Weil gerade in der Schweinemast massenhaft Antibiotika eingesetzt werden, stand beim jüngsten Frühjahrsempfang der Österreichischen Tierärztekammer das Thema der Antibiotikaresistenzen im Mittelpunkt. Als Vertreter der Humanmedizin stellte Florian Thalhammer, Leiter der Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin am AKH Wien, klar, dass man nicht alle Schuld auf die Tierärzte abwälzen könne, auch in der Humanmedizin würden viel zu oft Antibiotika eingesetzt. Selbst in Fällen, in denen sie gar nicht nützen. Ulrich Herzog vom Bundesgesundheitsministerium rechnete vor: Aktuell werden in Österreich im Jahr 116,4 mg Antibiotika pro Kilogramm „Lebendmasse Mensch“(klingt seltsam, nennt sich aber wirklich so) verbraucht.
Für das Kilogramm „Produktionsmasse Tier“sind es 144 mg. Also deutlich mehr. Es gibt Schätzungen, nach denen die Nutztierhaltung global fast doppelt so viel Antibiotika verbraucht wie die Humanmedizin.
In den USA kommen auf ein Kilogramm Fleisch im Schnitt 300 mg Antibiotika, von China ganz zu schweigen. In diesen Ländern ist der Verbrauch deshalb so hoch, weil Antibiotika einen begehrten Nebeneffekt haben: Sie beschleunigen das Wachstum der Tiere – und das rechnet sich für den Erzeuger. In der EU sind Antibiotika seit 2006 als Mastbeschleuniger verboten.
Florian Thalhammer zeichnete ein düsteres Zukunftsszenario: „Im Jahr 2050 werden Infektionskrankheiten wieder extrem sein, weil uns einfach die Behandlungsmöglichkeiten fehlen.“Doch obwohl Ferkel gesund geboren und nur sieben Monate alt werden, scheint der Weg zur antibiotikafreien Schweinemast noch lang und beschwerlich.