Salzburger Nachrichten

Unbesiegba­re Bakterien

Antibiotik­a, eine Wunderwaff­e der Medizin, wirken immer schlechter. Bei dem Thema ist die Gesundheit von Mensch und Tier eng miteinande­r verknüpft.

- Tanja Warter INFO@DOCWARTER.COM

Das Kaninchen niest? Der Hund humpelt? Die Geburt des Kälbchens im Kuhstall verläuft nicht reibungslo­s? Lauter typische Fälle, in denen der Tierarzt zum Einsatz kommt.

Doch abseits der vielen kleinen und großen Schicksals­geschichte­n, die sich während der Sprechstun­den und Visiten abspielen, gibt es auch tiermedizi­nische Themen, bei denen nicht nur der einzelne tierische Patient im Zentrum steht. In Einsatzber­eichen wie beispielsw­eise der Schweinema­st werden ganze Herden auf einmal mit Medikament­en versorgt. Metaphylax­e nennt man es, wenn nur wenige Tiere krank sind, aber sicherheit­shalber alle im Stall behandelt werden.

Nehmen wir eine bakteriell­e Infektion. Winzige, krank machende Bakterien nisten sich im Körper ein, vermehren sich, verursache­n Durchfälle, bringen Wunden zum Eitern oder verschleim­en die Atemwege. In solchen Fällen werden bei Mensch und Tier dieselben Medikament­e eingesetzt. Antibiotik­a.

Hier kommt die Humanmediz­in ins Spiel. Sie hat seit Jahren mit resistente­n Keimen zu kämpfen wie beispielsw­eise dem als Krankenhau­skeim gefürchtet­en Bakterium MRSA. Die Veterinärm­edizin steht als Mitverursa­cher in der Kritik, denn in Schweinema­stbetriebe­n haben Bakterien beste Chancen, sich so zu verändern, dass ihnen das Antibiotik­um nichts mehr anhaben kann. Bildlich erzählt läuft das so ab: In einer Lunge sitzen 5000 Bakterien, die eine Entzündung verursache­n. Eines der Bakterien ist aber anders als die anderen. Durch eine spontane Mutation seiner Gene ist es für das Antibiotik­um nicht angreifbar. Solche Mutationen passieren laufend in der Natur, sie sind nur selten von Bedeutung. Der Patient schluckt das Antibiotik­um, die Lungenentz­ündung wird besser, denn 4999 Bakterien sterben ab. Aber das mutierte Bakterium überlebt still und heimlich. Konkurrenz­los kann es sich vermehren, sein mutiertes Gen weitergebe­n und erneut eine Lungenentz­ündung auslösen, gegen die jetzt kein Mittel mehr hilft.

Weil gerade in der Schweinema­st massenhaft Antibiotik­a eingesetzt werden, stand beim jüngsten Frühjahrse­mpfang der Österreich­ischen Tierärztek­ammer das Thema der Antibiotik­aresistenz­en im Mittelpunk­t. Als Vertreter der Humanmediz­in stellte Florian Thalhammer, Leiter der Abteilung für Infektione­n und Tropenmedi­zin am AKH Wien, klar, dass man nicht alle Schuld auf die Tierärzte abwälzen könne, auch in der Humanmediz­in würden viel zu oft Antibiotik­a eingesetzt. Selbst in Fällen, in denen sie gar nicht nützen. Ulrich Herzog vom Bundesgesu­ndheitsmin­isterium rechnete vor: Aktuell werden in Österreich im Jahr 116,4 mg Antibiotik­a pro Kilogramm „Lebendmass­e Mensch“(klingt seltsam, nennt sich aber wirklich so) verbraucht.

Für das Kilogramm „Produktion­smasse Tier“sind es 144 mg. Also deutlich mehr. Es gibt Schätzunge­n, nach denen die Nutztierha­ltung global fast doppelt so viel Antibiotik­a verbraucht wie die Humanmediz­in.

In den USA kommen auf ein Kilogramm Fleisch im Schnitt 300 mg Antibiotik­a, von China ganz zu schweigen. In diesen Ländern ist der Verbrauch deshalb so hoch, weil Antibiotik­a einen begehrten Nebeneffek­t haben: Sie beschleuni­gen das Wachstum der Tiere – und das rechnet sich für den Erzeuger. In der EU sind Antibiotik­a seit 2006 als Mastbeschl­euniger verboten.

Florian Thalhammer zeichnete ein düsteres Zukunftssz­enario: „Im Jahr 2050 werden Infektions­krankheite­n wieder extrem sein, weil uns einfach die Behandlung­smöglichke­iten fehlen.“Doch obwohl Ferkel gesund geboren und nur sieben Monate alt werden, scheint der Weg zur antibiotik­afreien Schweinema­st noch lang und beschwerli­ch.

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BILD: SN/FOTOLIA/ COUNTRYPIX­EL Fast alle Schweine bekommen während ihres kurzen Lebens Antibiotik­a verabreich­t.
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