„Knappes Ergebnis ist kein guter Start“
Auf wen es wirklich ankommen wird, wenn es darum geht, die tiefen Gräben im Land zu überbrücken. Und warum es für die Regierung mit einem grünen Präsidenten eventuell einfacher wäre, einfach „weiterzuwursteln“.
Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle über ein gespaltenes Land, die Gefahr einer Radikalisierung und was der neue Bundespräsident, aber vor allem der neue Bundeskanzler dagegen tun können und tun müssten. SN: Der Wahlkampf hat Österreich gespalten. Egal ob grün oder blau: Wie kann der künftige Bundespräsident diese Gräben überbrücken? Stainer-Hämmerle: Ein Bundespräsident lebt vor allem von seiner moralischen Autorität, davon, dass er unabhängig und unparteiisch agiert. Sehr viel hängt da natürlich vom Zusammenspiel mit der Bundesregierung ab. Denn unterm Strich muss man sagen: Was die Polarisierung angeht, sind die Bundesregierung, der Bundeskanzler viel mehr gefordert als der Präsident. Denn will der Bundespräsident das Amt nicht beschädigen, hat er sich tunlichst aus innenpolitischen Diskussionen herauszuhalten. SN: Inwiefern hat der Wahlkampf Österreich verändert? Man sieht sehr gut eine starke Polarisierung, eine Spaltung: also etwa, wie Stadt und Land auseinandergedriftet sind, wie die einzelnen Bevölkerungsgruppen. Es ist schon eine Herausforderung, dass diese Polarisierung nicht in eine Radikalisierung übergeht. Denn im Sommer ist zu erwarten, dass das Flüchtlingsthema wieder brisanter wird. SN: Inwiefern Radikalisierung? Dass sich etwa Protest und Unmut auf die Straße verlagert. Man muss nicht Gräben zuschütten, aber zentral ist, dass die Dialogfähigkeit erhalten bleibt. Und da wird besonders spannend, wie sich der neue Bundeskanzler und SPÖ-Chef Kern gegenüber der FPÖ verhält. Denn sollte die jetzt mit ihrem Kandidaten Hofer knapp unterliegen und weiterhin vonseiten der SPÖ von Koalitionen auf Bundesebene ausgeschlossen werden, dann ist das bei der nächsten Nationalratswahl für die Freiheitlichen eine sichere Sache. Weil sie sich weiter als die Ausgegrenzten stilisieren können. Dieser Stilisierung muss man jeglichen Boden entziehen.
Beschäftigen wird uns auch noch die Frage, inwiefern der Bundespräsident legitimiert ist, wenn es nur einen Vorsprung von ein paar Hundert Stimmen für einen der Kandidaten gibt. Wenn man da noch die Zahl der Nichtwähler einrechnet, dann basiert diese Legitimierung sicher nicht mehr auf einer Mehrheit der Bevölkerung. SN: Was heißt das dann? Dass immer wieder darüber debattiert wird – etwa was die Mitsprache des Bundespräsidenten bei der Ministerauswahl etc. angeht. Das knappe Ergebnis ist kein guter Start, aber beschädigen kann man das Amt nur durch die Amtsführung. Und da spielt, was die Polarisierung im Land angeht, wie gesagt, der Kanzler eine viel wichtigere Rolle. Da geht es noch gar nicht darum, eine Koalition in Aussicht zu stellen, sondern vor allem um den Dialog mit den Freiheitlichen. SN: Rot und Schwarz wurden bereits im ersten Wahlgang abgestraft. Welche Themen haben diesmal die Wähler bewegt? Vor allem zwei: die Vorstellungen von Österreichs Rolle in der EU und natürlich das alte Thema „unten gegen oben“. Also die Unzufriedenen gegen jene, die auf Kontinuität setzen. Man darf auch nicht unterschätzen, was für einen Einfluss die Vorkommnisse vom Praterstern (eine junge Frau wurde von drei Asylbewerbern vergewaltigt, Anm.) und vom Brunnenmarkt (eine Frau wurde von einem Kenianer erschlagen, der seit Jahren illegal in Österreich lebte, Anm.) haben. Man kann es so sagen: Die einen haben Angst vor Veränderung, wenn Hofer Bundespräsident wird. Die anderen haben Existenzängste, Angst vor Statusverlust, Angst vor Zuwanderern. SN: Hatten der Rücktritt Werner Faymanns und die Neubesetzung der Regierungsspitze mit Christian Kern letztlich Einfluss auf das Wahlergebnis? Etwas mehr werden wir durch die Analyse der Wahltagsbefragungen wissen. Aber grundsätzlich ist schon zu sagen: Je besser die Stimmung in der Bevölkerung, desto schlechter für die FPÖ. SN: Wäre ein grüner Präsident eine Verschnaufpause für die Regierung? Ja. Jedenfalls, was das internationale Renommee angeht. Aber auch was innenpolitische Querschüsse aus der Hofburg anbelangt. SN: Umgekehrt gefragt: Wie stark würde ein blauer Bundespräsident die Regierung unter Druck setzen? Wir wissen nicht, wie Hofer in der Praxis agieren würde. Er hat aber angekündigt, ein aktiver Bundespräsident sein zu wollen. Das kann von ständigen Zwischenrufen in der Innen- und Europapolitik bis zu Androhungen gehen, die Regierung zu entlassen. Das kann für die Regierung unangenehm werden. SN: Wären mit Hofer in der Hofburg baldige Neuwahlen wahrscheinlicher? Das muss nicht sein. Ein Präsident Hofer kann auch dazu führen, dass die anderen die Reihen schließen – also gegen Hofer und die FPÖ. Es kann in dem Fall sein, dass SPÖ und ÖVP über ihren Schatten springen und doch noch gemeinsam Reformprojekte umsetzen. Jeder Druck erzeugt ja auch Gegendruck. Es kann auch sein, dass die Regierung unter Van der Bellen sehr viel eher weiterwurstelt. Wenn Hofer jetzt knapp verliert, sind die Chancen der FPÖ bei der nächsten NR-Wahl jedenfalls um einiges besser. SN: Das heißt umgekehrt, dass bei einem Sieg Hofers die Chance der FPÖ, bei der nächsten Wahl zu punkten, kleiner würde? Das hängt auch stark von der Arbeit der Koalition ab. Wenn Hofer Bundespräsident wird, führt das auch sicher innerhalb der FPÖ zu einem Konflikt: Da brauchen wir uns nur an Jörg Haider versus Vizekanzlerin Riess-Passer zu erinnern. Also einerseits eine Partei, die Oppositionspolitik macht, andererseits ein Politiker dieser Partei im höchsten Staatsamt. Wenn Hofer zwölf Jahre in der Hofburg bleiben möchte, dann muss er seine Partei „verraten“– oder er beschädigt das Amt und sich selbst, indem er der verlängerte Arm von Strache ist.