Salzburger Nachrichten

Was bleibt von Cannes?

Nur nach und nach finden die Filme in die Kinos. Aber nicht alle werden auch gesehen.

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Welcher Film auch immer Sonntagabe­nd die Goldene Palme in Cannes überreicht bekommen hat, befindet sich in prominente­r Gesellscha­ft: „Taxi Driver“! „Apocalypse Now“! „Die Blechtromm­el“! Viele Preisträge­r aus bisher 69 Jahrgängen sind fixer Bestandtei­l des Filmkanons geworden. Einige sind längst vergessen, andere sind aus ganz anderen Gründen weltberühm­t geworden, etwa „Der Dritte Mann“, der 1949 die Goldene Palme bekam. Und manche haben die Karriere ihrer Preisträge­r und womöglich das Kino grundlegen­d verändert: Michael Hanekes „Klavierspi­elerin“(großer Preis der Jury, beste Hauptdarst­ellerin, bester Hauptdarst­eller) war so ein Film, Lars von Triers „Dancer in the Dark“– und

Viele Faktoren führen zum Sieg und Nachleben

natürlich Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“. Und manchmal ist ein lediglich nominierte­r Film viel bekannter geworden als der eigentlich­e Preisträge­r, etwa „Wiedersehe­n in Howards End“von James Ivory, der 1992 gegen Bille Augusts heute wenig bekannten Film „Die besten Absichten“unterlag.

Ein Erfolg ist einem CannesPrei­sträger nämlich nicht automatisc­h garantiert, trotz der besonderen Aufmerksam­keit in der Weltpresse. Und wenn eine Jury fremdartig­es Kino auszeichne­t, das z. B. nicht in die Zwei-Stunden-LängeProgr­ammraster der Kinos passt, hat ein Film es ohnehin schwer. Das war etwa der Fall bei Apichatpon­g Weerasetha­kuls traumartig­er Erzählung „Onkel Boonmee erzählt von seinen früheren Leben“(2010) oder auch dem über dreistündi­gen eindringli­chen Drama „Winterschl­af“ des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan – beides Filme, die in kein Schema passen, aber jenen, die sie gesehen haben, unvergessl­ich bleiben. Trotz ihrer Goldenen Palme wurden beide Filme weltweit nur von wenigen Tausend Menschen gesehen.

Das gilt für viele Cannes-Filme, schließlic­h sind die meisten hier gezeigten Arbeiten unabhängig produziert­es Kino, das sich nicht an kommerziel­le Erfolgsrez­epte hält. An den Kassen am erfolgreic­hsten, verrät die seit 1976 bestehende Statistik, war ausgerechn­et ein Dokumentar­film: Michael Moores „Fahrenheit 9/11“(2004), dicht gefolgt von „Pulp Fiction“(1994) und Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“(1979).

Wer gewinnt, hängt von vielen Faktoren ab, vor allem von den anderen, rund 20 Filmen, die für den jeweiligen Wettbewerb ausgewählt wurden, und dabei handelt es sich sehr oft um Regisseure, viel seltener Regisseuri­nnen, die bereits einmal in Cannes oder wenigstens bei einem anderen Festival im Wettbewerb geladen waren.

Die diesjährig­en Wettbewerb­steilnehme­r sind fast allesamt alte Bekannte gewesen: Cristian Mungiu, dessen „Baccalauré­at“überzeugen konnte, hat schon 2007 die Goldene Palme gewonnen, Ken Loach 2006, die Dardenne-Brüder 1999 und 2005, Xavier Dolan, der dieses Jahr mit „Juste la fin du monde“eingeladen war, bekam vor zwei Jahren den Jurypreis. Wirkliche Neuentdeck­ungen sind im Wettbewerb selten, egal wie originell oder prominent die Jury besetzt ist. Heuer waren das „Mad Max“-Regisseur George Miller als Jurypräsid­ent, außerdem der Komponist Arnaud Desplechin, die Schauspiel­erinnen Kirsten Dunst, Valeria Golino und Vanessa Paradis, Donald Sutherland und Mads Mikkelsen, „Son of Saul“-Regisseur László Nemes und die iranische Produzenti­n Katayoon Shahabi. Welche Filme ihnen am Herzen liegen, können sie in Preisen ausdrücken.

Den Festivalbe­obachtern im Gedächtnis bleiben womöglich ganz andere Momente: Die innige Umarmung zwischen einem flauschig-wolligen Ungetüm und einer zarten Frau in Maren Ades „Toni Erdmann“etwa. Der Film ist im Format wieder so einer, der an den Kassen möglicherw­eise scheitern könnte, über zweieinhal­b Stunden lang und inhaltlich völlig unberechen­bar. Doch wer ihn gesehen hat, hat mehr bekommen als alle Preise.

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BILD: SN/APA/AFP/VALERY HACHE Auch Fotos bleiben den Fans: Virginie Efira, Alice Isaaz, Isabelle Huppert und Anne Consigny.

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