Eine Komponistin trifft den Schmerzensmann
Mit Musik, Tanz, Poesie und Philosophie erwacht das Schloss Ambras bei Innsbruck zu einem faszinierenden „Museum der Träume“.
INNSBRUCK. Ein einziger Ton des Akkordeons zieht sich wie ein Schmerz durch ein Gewölbe von Schloss Ambras. Legt sich ein zweiter Ton dazu, wird – je nach Intervall – der Schmerz schärfer oder löst sich in der Wonne des Nachlassens. Im Programm steht, Johanna Doderer habe diese Klänge komponiert. Es wird so sein, doch der Musiker Harald Pröckl, der da auf den Stufen sitzt, die ins Gewölbe voller gotischer Skulpturen hinunterführen, spielt die Töne so innig, als wäre jeder Zug am Akkordeon sein Atemzug, jeder Ton sein Körperton. Ihm gegenüber steht ein Schmerzensmann, Ulm, um 1500. Zu ihm hin und von ihm her wachsen die Klänge des Akkordeons.
Derweil schaut der Tänzer Pál Szepesi dem Schmerzensmann ins Gesicht. Dann blickt er ebenso jedem der etwa 20 hier versammelten Zuschauer ins Gesicht – wandert jetzt der Blick des Erlösers? Was ist anders von Skulptur zu Mensch als von Mensch zu Mensch? Johanna Doderers Musik wird heftiger, erst tänzerisch im Dreiertakt, dann wuchtig. Pál Szepesi windet sich, schlägt sich, dass sein nackter Oberkörper errötet, er tanzt zwischen Musiker und Schmerzensmann. Alles endet in dem einen Ton, der in seiner zart eindringlichen Schmerzhaftigkeit nur von einem Akkordeon, nur von Harald Pröckl, nur in diesem gotischen Resonanzraum und nur im Angesicht dieser triumphierenden Leidensskulptur so klingen kann.
Was für ein Eindruck! Was für ein Erwachen dieses Schlosses! Am Samstagabend wurde es erstmals in ein „Museum der Träume“verwandelt, wie dies bereits mehrmals im Kunsthistorischen Museum in Wien zu erleben war. Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf haben das Konzept ersonnen: Erst werden Autoren und Komponisten eingeladen, sich von Exponaten zu Text oder Klang inspirieren zu lassen. Dann kommen Tänzer, Schauspieler und Musiker und vermitteln an zehn Stationen vor Publikum diese neuen Betrachtungsweisen.
„Ich liebe es, vom Blick eines Menschen durchdrungen zu werden“, rezitiert Vivien Löschner. „Ein Blick auf meiner Haut streichelt mich.“Die Schauspielerin steht wie eine Skulptur in einer Nische im Vorraum des Bades der Philippine Welser. Sie steht da nackt. Sie schämt sich nicht, denn sie fordert von den Zuschauern wahrhaftige Blicke. Sie vermittelt Genuss am derart ernsthaften Betrachtetwerden. Und so schauen alle hin, wie sie es heiter ansagt – auf Augen, Na- se, Hals, Brüste, Bauch, Geschlecht, Schenkel, Knie. Beim Hören von Thomas Glavinics Text beruhigt sich der Blick auf ihre Nacktheit. Diese innige Blöße weckt die Ahnung von Schamlosigkeit, wie sie vor dem Sündenfall im Paradies gewesen sein muss.
Vor dem Porträt der Louise Margarethe Prinzessin Arenberg erläutert Katharina Stemberger die raffinierten Erkenntnisse des Philosophen Franz Schuh über die Besonderheiten von aristokratischem Lächeln. Und lauscht man dann in anderen Räumen der famosen Ambraser Porträtgalerie verschiedenen Interpretationen von Charlie Chaplins Lied „Smile! What’s the use of crying?“, so wird das Lächeln der hier Abgebildeten wundersam melancholisch.
Zwischen Harnischen ertönen fantasierte Gedanken eines heutigen russischen Soldaten. Unter den Sternzeichen des Plafonds der Rüstkammer wird in Sternzeichen-Choreografien getanzt. In der BacchusKapelle läuft ein Video: Da schildern Nichtösterreicher mit geschlossenen Augen, was ihnen wichtig ist, dann öffnen sie ihre Augen – als wäre ein Traum vorbei.