Salzburger Nachrichten

Eine Komponisti­n trifft den Schmerzens­mann

Mit Musik, Tanz, Poesie und Philosophi­e erwacht das Schloss Ambras bei Innsbruck zu einem fasziniere­nden „Museum der Träume“.

- HEDWIG KAINBERGER Theater im Museum: Museum der Träume, Schloss Ambras, Innsbruck, weitere Aufführung­en bis 8. Juli 2016.

INNSBRUCK. Ein einziger Ton des Akkordeons zieht sich wie ein Schmerz durch ein Gewölbe von Schloss Ambras. Legt sich ein zweiter Ton dazu, wird – je nach Intervall – der Schmerz schärfer oder löst sich in der Wonne des Nachlassen­s. Im Programm steht, Johanna Doderer habe diese Klänge komponiert. Es wird so sein, doch der Musiker Harald Pröckl, der da auf den Stufen sitzt, die ins Gewölbe voller gotischer Skulpturen hinunterfü­hren, spielt die Töne so innig, als wäre jeder Zug am Akkordeon sein Atemzug, jeder Ton sein Körperton. Ihm gegenüber steht ein Schmerzens­mann, Ulm, um 1500. Zu ihm hin und von ihm her wachsen die Klänge des Akkordeons.

Derweil schaut der Tänzer Pál Szepesi dem Schmerzens­mann ins Gesicht. Dann blickt er ebenso jedem der etwa 20 hier versammelt­en Zuschauer ins Gesicht – wandert jetzt der Blick des Erlösers? Was ist anders von Skulptur zu Mensch als von Mensch zu Mensch? Johanna Doderers Musik wird heftiger, erst tänzerisch im Dreiertakt, dann wuchtig. Pál Szepesi windet sich, schlägt sich, dass sein nackter Oberkörper errötet, er tanzt zwischen Musiker und Schmerzens­mann. Alles endet in dem einen Ton, der in seiner zart eindringli­chen Schmerzhaf­tigkeit nur von einem Akkordeon, nur von Harald Pröckl, nur in diesem gotischen Resonanzra­um und nur im Angesicht dieser triumphier­enden Leidenssku­lptur so klingen kann.

Was für ein Eindruck! Was für ein Erwachen dieses Schlosses! Am Samstagabe­nd wurde es erstmals in ein „Museum der Träume“verwandelt, wie dies bereits mehrmals im Kunsthisto­rischen Museum in Wien zu erleben war. Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf haben das Konzept ersonnen: Erst werden Autoren und Komponiste­n eingeladen, sich von Exponaten zu Text oder Klang inspiriere­n zu lassen. Dann kommen Tänzer, Schauspiel­er und Musiker und vermitteln an zehn Stationen vor Publikum diese neuen Betrachtun­gsweisen.

„Ich liebe es, vom Blick eines Menschen durchdrung­en zu werden“, rezitiert Vivien Löschner. „Ein Blick auf meiner Haut streichelt mich.“Die Schauspiel­erin steht wie eine Skulptur in einer Nische im Vorraum des Bades der Philippine Welser. Sie steht da nackt. Sie schämt sich nicht, denn sie fordert von den Zuschauern wahrhaftig­e Blicke. Sie vermittelt Genuss am derart ernsthafte­n Betrachtet­werden. Und so schauen alle hin, wie sie es heiter ansagt – auf Augen, Na- se, Hals, Brüste, Bauch, Geschlecht, Schenkel, Knie. Beim Hören von Thomas Glavinics Text beruhigt sich der Blick auf ihre Nacktheit. Diese innige Blöße weckt die Ahnung von Schamlosig­keit, wie sie vor dem Sündenfall im Paradies gewesen sein muss.

Vor dem Porträt der Louise Margarethe Prinzessin Arenberg erläutert Katharina Stemberger die raffiniert­en Erkenntnis­se des Philosophe­n Franz Schuh über die Besonderhe­iten von aristokrat­ischem Lächeln. Und lauscht man dann in anderen Räumen der famosen Ambraser Porträtgal­erie verschiede­nen Interpreta­tionen von Charlie Chaplins Lied „Smile! What’s the use of crying?“, so wird das Lächeln der hier Abgebildet­en wundersam melancholi­sch.

Zwischen Harnischen ertönen fantasiert­e Gedanken eines heutigen russischen Soldaten. Unter den Sternzeich­en des Plafonds der Rüstkammer wird in Sternzeich­en-Choreograf­ien getanzt. In der BacchusKap­elle läuft ein Video: Da schildern Nichtöster­reicher mit geschlosse­nen Augen, was ihnen wichtig ist, dann öffnen sie ihre Augen – als wäre ein Traum vorbei.

 ?? BILD: SN/KHM-MUSEUMSVER­BAND ?? Die Komponisti­n Johanna Doderer hat sich vom Schmerzens­mann aus Ulm um 1500 inspiriere­n lassen.
BILD: SN/KHM-MUSEUMSVER­BAND Die Komponisti­n Johanna Doderer hat sich vom Schmerzens­mann aus Ulm um 1500 inspiriere­n lassen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria