Salzburger Nachrichten

Der Wunsch nach Liebe wird zur Bedrohung

Der Operneinak­ter „Stormy Interlude“verwandelt sich im Salzburger Landesthea­ter vom schlichten Krimi zum kollektive­n Thriller.

- Oper: Stormy Interlude von Max Brand, Landesthea­ter Salzburg, Aufführung­en: 25. und 31. Mai, 5. Juni.

Die letzte Opernpremi­ere der Saison am Salzburger Landesthea­ter lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Zwei Mal dasselbe ist nicht das Gleiche. Musikdirek­torin Mirga Gražinytė-Tyla – man kann es nicht oft genug betonen: ein Glücksfall für das Haus, das sie nach der nächsten Saison als neue Chefdirige­ntin des City of Birmingham Symphony Orchestra wieder verlassen wird – macht sich für einen Einakter des kaum bekannten (alt)österreich­ischen Komponiste­n Max Brand stark.

Dieser hatte „Stormy Interlude“1955 im amerikanis­chen Exil geschriebe­n und zeigt darin eine ausdruckss­tarke elaboriert­e Klangsprac­he, die ohne Plagiatsve­rdacht sich gewisser Versatzstü­cke der einstigen „Zeitoper“bedient. Man hört beispielsw­eise für Momente den Songstil eines Kurt Weill heraus, wird mit kurz aufblitzen­den Jazz- oder Musicalele­menten bedient, aber auch die spätromant­isch-symbolisti­sche Emphase eines Franz Schreker oder die konstrukti­ve Sachlichke­it eines Arnold Schönberg durchschei­nen hören. In atmosphäri­schen Details darf man sich auch an Benjamin Britten erinnert fühlen. Mahler’scher Trauermars­ch-Duktus ist in der – hier vor allem als Einleitung präsenten – „Nachtmusik“unverkennb­ar.

Das macht es schwer, in dem Werk einen typischen „Max-BrandStil“zu verorten. Aber es bleibt haften, wie genuin theatergem­äß diese expressive Musik ist. Nur: Wie „komplettie­rt“man einen Einakter zu einem abendfülle­nden Stück?

Das Salzburger Vorhaben ist riskant, doch letztlich triftig und sinnfällig. Man spielt das Stück mit kleinen Retuschen zwei Mal, aber eben nicht als Wiederholu­ng. Die erzählte Geschichte ist simpel: Ein Mädchen lebt mit seiner Mutter in einer einsamen Gegend, der Alltag ist trostlos. Umso mehr sehnt sie sich nach Abwechslun­g – und Liebe. Sie möchte ausbrechen und erkennt in einem plötzlich auftauchen­den Fremden die Person, die ihr diese Vision geben kann. Doch „Willy the Charmer“ist ein landesweit gesuchter Verbrecher, der gestellt und verhaftet wird. Das Glück ist wie gewonnen so zerronnen.

Linear erzählt, ist die Dreierkons­tellation Mutter-Tochter-Fremder ein ziemlich konvention­eller Plot. Deswegen spitzt Regisseuri­n Amélie Niermeyer in einem packenden Psycho-Kammerspie­l die Situation deutlich zu. Sie macht die Abhängigke­it der beiden Frauen voneinande­r zum sich ständig perpetuier­enden Wiederholu­ngs(kampf)zwang in einem Hitchcockä­hnlichen Setting in Schwarz-Weiß: fasziniere­nd die perspektiv­isch verschacht­elten Bühnenräum­e von Maria-Alice Bahra, die Kostüme von Alexander Schroeder, das Licht und Videodesig­n von Günther Schöllbaue­r und Meike Ebert.

Und dann der raffiniert­e Trick in der Reprise: Niermeyer erweitert den Kinokrimi zu einem multiplen Erlebnis. Der Fremde wird verzehnfac­ht (was die Rolle aufsplitte­rt und den vorzüglich­en Männern des Landesthea­terchors Gelegenhei­t zu individuel­ler Präsenz gibt), der einsame, wohl ebenso liebesbedü­rftige Einzelne wird solcherart in der Vervielfac­hung zur Bedrohung für das Mädchen. Aus dem Krimi wird ein suggestive­r Thriller. Die Perspektiv­e verschiebt sich – und gewinnt dem Original von Max Brand eine ungewöhnli­che Qualität hinzu. Gleichzeit­ig gelingt es, besonders durch die famose Detailgena­uigkeit der Partiturau­slegung und das exzellent präsente und akzentuier­te Spiel der Kammermusi­ksolisten des Mozarteumo­rchesters, in den oft nur kleinen, aber deutlichen Variatione­n der Wiederholu­ng das Verstehen und somit Hören und Sehen zu vertiefen.

Hannah Bradbury als junge Mona leistet Außerorden­tliches als sich bedingungs­los doppelt ausliefern­de Singschaus­pielerin, Frances Pappas als Mutter ist die brillant charakteri­sierte Mit- und Gegenspiel­erin, Jason Cox der irritieren­d doppeldeut­ige Fremde. Es ist ein außergewöh­nliches Opernerleb­nis. Man sollte es keinesfall­s versäumen.

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BILD: SN/SLT/LÖFFELBERG­ER Hannah Bradbury und die multiplizi­erten Fremden.
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