Der Wunsch nach Liebe wird zur Bedrohung
Der Operneinakter „Stormy Interlude“verwandelt sich im Salzburger Landestheater vom schlichten Krimi zum kollektiven Thriller.
Die letzte Opernpremiere der Saison am Salzburger Landestheater lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Zwei Mal dasselbe ist nicht das Gleiche. Musikdirektorin Mirga Gražinytė-Tyla – man kann es nicht oft genug betonen: ein Glücksfall für das Haus, das sie nach der nächsten Saison als neue Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra wieder verlassen wird – macht sich für einen Einakter des kaum bekannten (alt)österreichischen Komponisten Max Brand stark.
Dieser hatte „Stormy Interlude“1955 im amerikanischen Exil geschrieben und zeigt darin eine ausdrucksstarke elaborierte Klangsprache, die ohne Plagiatsverdacht sich gewisser Versatzstücke der einstigen „Zeitoper“bedient. Man hört beispielsweise für Momente den Songstil eines Kurt Weill heraus, wird mit kurz aufblitzenden Jazz- oder Musicalelementen bedient, aber auch die spätromantisch-symbolistische Emphase eines Franz Schreker oder die konstruktive Sachlichkeit eines Arnold Schönberg durchscheinen hören. In atmosphärischen Details darf man sich auch an Benjamin Britten erinnert fühlen. Mahler’scher Trauermarsch-Duktus ist in der – hier vor allem als Einleitung präsenten – „Nachtmusik“unverkennbar.
Das macht es schwer, in dem Werk einen typischen „Max-BrandStil“zu verorten. Aber es bleibt haften, wie genuin theatergemäß diese expressive Musik ist. Nur: Wie „komplettiert“man einen Einakter zu einem abendfüllenden Stück?
Das Salzburger Vorhaben ist riskant, doch letztlich triftig und sinnfällig. Man spielt das Stück mit kleinen Retuschen zwei Mal, aber eben nicht als Wiederholung. Die erzählte Geschichte ist simpel: Ein Mädchen lebt mit seiner Mutter in einer einsamen Gegend, der Alltag ist trostlos. Umso mehr sehnt sie sich nach Abwechslung – und Liebe. Sie möchte ausbrechen und erkennt in einem plötzlich auftauchenden Fremden die Person, die ihr diese Vision geben kann. Doch „Willy the Charmer“ist ein landesweit gesuchter Verbrecher, der gestellt und verhaftet wird. Das Glück ist wie gewonnen so zerronnen.
Linear erzählt, ist die Dreierkonstellation Mutter-Tochter-Fremder ein ziemlich konventioneller Plot. Deswegen spitzt Regisseurin Amélie Niermeyer in einem packenden Psycho-Kammerspiel die Situation deutlich zu. Sie macht die Abhängigkeit der beiden Frauen voneinander zum sich ständig perpetuierenden Wiederholungs(kampf)zwang in einem Hitchcockähnlichen Setting in Schwarz-Weiß: faszinierend die perspektivisch verschachtelten Bühnenräume von Maria-Alice Bahra, die Kostüme von Alexander Schroeder, das Licht und Videodesign von Günther Schöllbauer und Meike Ebert.
Und dann der raffinierte Trick in der Reprise: Niermeyer erweitert den Kinokrimi zu einem multiplen Erlebnis. Der Fremde wird verzehnfacht (was die Rolle aufsplittert und den vorzüglichen Männern des Landestheaterchors Gelegenheit zu individueller Präsenz gibt), der einsame, wohl ebenso liebesbedürftige Einzelne wird solcherart in der Vervielfachung zur Bedrohung für das Mädchen. Aus dem Krimi wird ein suggestiver Thriller. Die Perspektive verschiebt sich – und gewinnt dem Original von Max Brand eine ungewöhnliche Qualität hinzu. Gleichzeitig gelingt es, besonders durch die famose Detailgenauigkeit der Partiturauslegung und das exzellent präsente und akzentuierte Spiel der Kammermusiksolisten des Mozarteumorchesters, in den oft nur kleinen, aber deutlichen Variationen der Wiederholung das Verstehen und somit Hören und Sehen zu vertiefen.
Hannah Bradbury als junge Mona leistet Außerordentliches als sich bedingungslos doppelt ausliefernde Singschauspielerin, Frances Pappas als Mutter ist die brillant charakterisierte Mit- und Gegenspielerin, Jason Cox der irritierend doppeldeutige Fremde. Es ist ein außergewöhnliches Opernerlebnis. Man sollte es keinesfalls versäumen.