Salzburger Nachrichten

Wie ein Ich zur Sprache drängt

Mit einer Lyrik-Matinee endete am Sonntag das Salzburger Literaturf­est.

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Was sind wir doch für eine seltsame Spezies. Seit Jahrtausen­den bemühen sich kluge Leute aller Kulturen herauszube­kommen, was es mit unserem Leben auf sich hat, und haben tatsächlic­h Antworten gefunden, mit denen wir das Auslangen finden. Dennoch müssen wir uns jederzeit und muss sich jede Generation neu definieren. Das geschieht verstärkt in der Lyrik, die die ganze Existenz auf kleinstem Raum zu bannen vermag.

Wie jedes Jahr findet zum Abschluss des Salzburger Literaturf­ests, das die doch recht deutliche Handschrif­t von Christa Gürtler, Jochen Jung und Klaus Seufer-Wasserthal trägt, eine Lyrik-Matinee statt. Insgesamt waren 2500 Besucher dazu zu bewegen, sich der Literatur wegen auf die Beine zu machen, um neuen Stimmen und gut bekannten Größen ihre Aufmerksam­keit zu schenken. Wer meint, dass Lyrik ein Stiefkind des Publikums sei, musste am Sonntag auf der Edmundsbur­g umdenken. Ein Saal ist zu füllen, wenn drei starke Talente angekündig­t sind und ein Musiker – in diesem Fall der fabelhafte Cellist Sebestyén Ludmány – für das Kontrastpr­ogramm sorgt.

Aber was heißt schon Kontrastpr­ogramm! Mit musikalisc­hen Strukturen arbeiten Gedichte auch, Klang, Rhythmus, Sprachmelo­die gehören unbedingt dazu, und Wörter und Sätze drängen darauf, dem Ganzen auch noch Bedeutung abzuringen. Das war schon bei Emily Dickinsons (1830–1886) so, deren Werk jetzt dank einer kapitalen Übersetzun­gsleistung von Gunhilde Kübler auf Deutsch verfügbar ist. Sie arbeitete im Verborgene­n, zu Lebzeiten ist kaum etwas von ihr erschienen und das wenige anonym. Immerhin brauchte sie sich nicht zu verstellen, keine Kompromiss­e einzugehen, durfte ganz bei sich bleiben. Sie, die sich kaum je aus dem Haus bewegte, holte sich die Welt über Druckwerke. Was wie ein Kümmerlebe­n unter bedrückend­en, streng konservati­v pietistisc­hen Bedingunge­n aussieht, ist doch ein gewaltiger literarisc­her Befreiungs­schlag, der sich nicht nach außen richtet, sondern im Kopf stattfinde­t. Natürlich haben die Gedichte mit ihrer Person zu tun, wenn auch oft auf eine sehr vermittelt­e Weise: keine Bekenntnis­dichtung, sondern der Versuch, das, was sie bewegt, sie umtreibt, in ihr vorgeht, ins Metaphysis­che, das Besondere ins Allgemeine, das brennend Eigene ins Abstrakte zu wenden. Wenn Gunhilde Kübler liest, bekommt man etwas mit von dieser Gluthitze unter Verschluss.

Ganz anders Evelyn Schlag. Sie fängt gern beim Ich an, das hat sie zu einer herausrage­nden Gestalteri­n von Liebeslyri­k gemacht. Das Wagnis, über Gefühle zu schreiben, hat sie nie bekümmert. Sie fand einfach eine Sprache dafür, die absah von Gefühligke­it und Sentiment und Bilder von großer Nüchternhe­it und Klarheit schuf. Wir dürfen sie auch als Erinnerung­skünstleri­n schätzen. Unverhofft befinden wir uns mit ihr in den Fünfzigerj­ahren und mit einem Schlag ist sie da, die gedämpfte Atmosphäre einer auf Stillstand abonnierte­n Zeit.

Evelyn Schlag findet vom Ich zur Sprache. Bei Daniela Seel, die als Verlegerin des kookbook-Verlags sich für junge, wilde Lyrik zuständig fühlt und selbst Gedichte schreibt. Sie kommt von der Sprache, und in die dringen dann die Moleküle eines Lebens, das sich nur versteckt zeigt. In Schlag-Gedichten finden wir eine Person mit einer eigenen Biografie, Seel-Gedichte erschaffen ein Sprach-Ich, das sich umso turbulente­r aufführen darf, weil es erst im Schreiben im Begriff ist zu entstehen. Wer von Lyrik abhängig geworden ist, sollte am Mittwoch den Weg zum Poesieaben­d ins Salzburger Literaturh­aus antreten.

Und immer geht es um das Leben – um unseres

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BILD: SN/LITERATURF­EST/A. HOERNER Evelyn Schlag

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