Kopf an Kopf
700.000 Wahlkarten entscheiden, wer Präsident wird.
WIEN. Die Entscheidung, wer Bundespräsident in Österreich wird, ist auf Montag vertagt. Denn dann werden die Wahlkarten ausgezählt. Erst dann wird klar sein, ob Alexander Van der Bellen oder Norbert Hofer gewonnen hat. Bei den Stimmen, die am Sonntag in den Wahllokalen abgegeben wurden, lag Norbert Hofer voran, und zwar mit 51,9 zu 48,1 Prozent. Allerdings hatten Wählerinnen und Wähler, die mit Wahlkarte ihre Stimme abgeben, in der Vergangenheit ein deutlich anderes Wahlverhalten. Die Stimmen der Grünen waren überrepräsentiert, die der FPÖ unterrepräsentiert. Die Statistiker haben versucht, diesen Trend in ihren Prognosen für den endgültigen Wahlausgang einzubeziehen. Am späten Sonntagabend gingen alle Hochrechner davon aus, dass letztlich Van der Bellen vorn liegen dürfte. SORA ging davon aus, dass er 2888 Stimmen Vorsprung hat, das Institut für Wahl-, Sozial- und Methodenforschung rechnete damit, dass er um 6000 Stimmen vor Hofer liegen werde. Die Arge Wahlen teilte mit, Van der Bellen müsste 60,2 Prozent der Briefwahlstimmen bekommen, um 200 Stimmen vor Hofer zu sein.
„Ich bin nicht überrascht, dass es so knapp ist.“Alexander Van der Bellen „Wer immer gewinnt, muss das Land einen.“Norbert Hofer
WIEN. Diesmal haben sie gestimmt, die Prognosen, die eine extrem knappe Entscheidung voraussagten. Am Wahlabend stand es unter Hochrechnung der Briefwahlstimmen annähernd 50 zu 50; ohne sie schaute es so aus: Norbert Hofer bekam 51,9 Prozent der Stimmen, Alexander Van der Bellen 48,1 Prozent. Wer nun wirklich das Rennen gemacht hat, wird erst heute, Montagabend, feststehen, wenn alle fast 900.000 Wahlkarten – das entspricht 14 Prozent der Wahlberechtigten – ausgezählt sind. Bisher wurden erst 200.000 ausgezählt.
Sollte übrigens der ungeheure Ausnahmefall eines völligen Stimmengleichstands eintreten, müsste noch einmal gewählt werden. Das bisher knappste Ergebnis gab es im Jahr 1965, als SPÖ-Kandidat Franz Jonas mit 50,7 Prozent den Sieg über ÖVP-Kandidat Alfons Gorbach errang.
So spannend die Stichwahl bis zur letzten Sekunde bleiben wird, so früh haben sich offenbar die Wähler entschieden. Die Wahltagsbefragung von Isa/Sora für den ORF ergab, dass sich 80 Prozent unmittelbar nach dem ersten Wahlgang auf einen der beiden Kandidaten festgelegt haben. Wie sehr den Wählern bewusst war, dass jede Stimme zählt, zeigt die Wahlbeteiligung: Sie lag bei mehr als 70 Pro- zent. Dass die Wahlbeteiligung gegenüber dem ersten Wahlgang (68,5 Prozent) sogar steigt, ist höchst ungewöhnlich.
Ungewöhnlich auch, wie unterschiedlich die Stadt- und die Landbewohner gewählt haben. Auf dem Land wurde im Wesentlichen FPÖMann Hofer gewählt, in den größeren Städten Ex-Grünen-Chef Van der Bellen. Eine Ausnahme bei den Landeshauptstädten ist Eisenstadt, wo Hofer siegte. Besonders gut schnitt der blaue Kandidat in den obersteirischen Industriestädten – alles einstige SPÖ-Hochburgen – ab.
Die Grünen freuten sich enorm über die Aufholjagd Van der Bellens. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wirkte im ersten Moment eher nervös. Offenbar hatte man mit einem klaren Sieg Hofers gerechnet. Strache beklagte, dass das „gesamte verkrustete politische System“mit ausländischer Unterstützung gegen Hofer mobilgemacht habe. Dass die Wahlentscheidung in Österreich mit Argusaugen verfolgt wurde, bestritt Ex-EU-Kommissar Franz Fischler in der via Internet übertragenen Wahlsendung der SN, der Bundesländerzeitungen und der „Presse“nicht: „Die EU will natürlich jemanden an der Staatsspitze sehen, der ohne Wenn und Aber zur EU steht. Da sind bei Hofer Fragen offengeblieben. Es besteht ein Risiko, dass Österreich in der EU wieder mehr an den politischen Rand rücken wird.“Eine ganz andere Meinung vertrat EU-Parlamentarier Andreas Mölzer (FPÖ): Ein Riss gehe durchs Land – und das sei generell neue politische Realität. Mölzer: „Solche Duelle werden wir auch in anderen Ländern sehen.“Deshalb solle die EU die Größe haben und auch patriotische Parteien ernst nehmen. Wieder anders sah es ExEU-Parlamentarier Johannes Voggenhuber (Grüne), der seinen Auftritt für eine Medienschelte nutzte: Die Medien hätten die FPÖ in ihrer Berichterstattung „verharmlost“und den „wirklichen Wahlkampf zwischen Demokratie und Rechtsextremismus“nicht dargestellt. Dem widersprach Mölzer entschieden: „Es gibt keine Medien, die sich für Hofer eingesetzt haben“, die Zuspitzung auf einen „Kampf gegen die extreme Rechte“sei unfair. „Es ist ja nicht so, dass Van der Bellen ein Mann der Mitte wäre.“In jedem Fall, so FPÖ-Mann Mölzer, lasse der Wahlausgang für künftige Wahlgänge hoffen, zumal sich die HoferWähler von heute beim nächsten Mal leichtertun würden, FPÖ-Chef Strache zu wählen. Bei dieser Wahl ist für ihn eine „Hemmschwelle“überschritten worden.
Van der Bellen sieht dem endgültigen Wahlausgang gelassen entgegen: „Ich bin nicht überrascht, dass es so knapp ist. Viele Kommentatoren sollten sich vielleicht selbst beim Ohr nehmen, weil sie mir die Aufholjagd nicht zugetraut haben.“Egal, wie die Wahl ausgehe, er wolle nun die „aufgerissenen Gräben wieder zuschütten“. Das will auch Norbert Hofer. Der Gewinner werde das Land einen müssen.