Salzburger Nachrichten

Kein spanisches Dorf

Leben in der Einschicht: Für den Salzburger Filmemache­r Günter Schwaiger ist Spanien zur zweiten Heimat geworden. Doch was er dort beobachtet, geht weit über den Einzelfall hinaus.

- MAGDALENA MIEDL

Vadocondes liegt irgendwo im Nirgendwo im kastilisch­en Hochland. Hier, wo zehn Monate im Jahr nichts los ist, hat Günter Schwaiger seinen Dokumentar­film „Seit die Welt Welt ist“gedreht: Gerade einmal dreihunder­t Leute wohnen da, die Hälfte davon Pensionist­en. Nur in den Sommermona­ten kommen alle zu Besuch, die hier ihre Wurzeln haben, aber längst in den Städten wohnen oder außerhalb von Spanien, weil auf dem krisengebe­utelten Land keine Jobs zu finden sind. Für die Familie von Gonzalo hingegen macht die Krise wenig Unterschie­d: Schon vorher warf der Bauernhof gerade zum Sterben zu viel ab, jetzt geht es halt allen in Spanien gleich. Der Älteste möchte den Hof übernehmen, der zweite Sohn ist nach seinem Veterinärm­edizinstud­ium arbeitslos, und auch der jüngste ist voller Zukunftsso­rgen. Überleben kann die Familie nur dank des Einkommens der Mutter, die als Ärztin arbeitet. „Wir haben das Leben nicht erfunden“, sagt Gonzalo achselzuck­end, anstatt sich zu beklagen. Manches wird mühsamer, durch sinkende Lebensmitt­elpreise und durch die Zwangsvert­räge, die Saatgutunt­ernehmen den Bauern auferlegen. Aber die wichtigste­n Traditione­n behält die Familie bei, etwa das Sauschlach­ten und das gemeinsame Verarbeite­n des Fleischs.

Regisseur Günter Schwaiger verbindet mit der Familie eine gemeinsame Geschichte: Als er 2004 einen seiner ersten Filme drehte, lernte er Gonzalo kennen, der bei der Exhumierun­g eines Massengrab­es aus der Francozeit mitgeholfe­n hatte. Gonzalos Onkel war in den Vierzigerj­ahren von Soldaten erschossen worden. Er war Gewerkscha­fter gewesen, und das Regime hatte versucht, die gesamte Linke im Dorf auszulösch­en. Jahrzehnte­lang hatte man gewusst, in welchem Massengrab der Onkel liegt. Erst 2003 hatte sich die Familie getraut, den Onkel und viele seiner Schicksals­genossen zu exhumieren.

Mit „Seit die Welt Welt ist“gelingt Schwaiger ein fast meditative­r, dabei klarer Film über eine Familie und deren Alltag, der weit über eine persönlich­e Geschichte hinaus vom Leben an der europäisch­en Peripherie erzählt, die genauso im Lungau oder im Waldvierte­l spielen könnte. Die Schönheit eines Korbes voller Schwammerl, eines Wurfs junger Hunde, von Kornfelder­n mit Wildmohn und von Schweinebl­ut, an dem sich nach der Schlachtun­g die Katzen laben, hält er ebenso fest wie die Trauer um ein sterbendes Dorf: mit aufrichtig­em Interesse an den Menschen und ihren Anliegen, aber nie distanzlos.

„Seit die Welt Welt ist“läuft derzeit im Das Kino.

„Gonzalo bettet Rückschläg­e in sein Lebenskonz­ept ein.“Günter Schwaiger, Filmemache­r

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BILD: SN/(C) GÜNTER SCHWAIGER FILMPRODUK­TION Der Film erzählt vom Leben an der europäisch­en Peripherie.

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