Es war ein Völkermord
Obwohl die Türkei dagegen protestiert, will der Deutsche Bundestag die Massaker an den Armeniern als Genozid einstufen. Eine Genugtuung für die Republik Armenien von heute.
Für die Südkaukasusnation Armenien könnte die Sitzung des Bundestags heute, Donnerstag, zu einem zentralen Erfolgsmoment ihrer langjährigen Außenpolitik werden. Seit Jahrzehnten arbeitet die Ex-Sowjetrepublik darauf hin, dass die Massaker an den Armeniern durch das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg international als Genozid anerkannt werden. Der Bundestag will mit einer Resolution von Union, SPD und Grünen die Gräueltaten als Völkermord verurteilen.
Laut Schätzungen kamen bei der Vertreibung, die vor 101 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Türkei begann, bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben. Die Türkei – Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs – geht von deutlich weniger Toten aus und lehnt den Ausdruck „Genozid“(Völkermord) entschieden ab. „Der Völkermord ist nicht nur ein Problem des armenischen Volkes. Das ist ein Schmerz, den wohlwollende Menschen auf der ganzen Welt teilen“, sagt der armenische Staatspräsident Sersch Sargsjan.
Es enttäuscht viele seiner Landsleute, wenn strategische Erwägungen einer Ächtung als Genozid im Wege stehen. So bleibt die Supermacht USA bisher zurückhaltend – wohl aus Rücksicht auf den NATOPartner Türkei. Und auch Berlin steht mit der erwarteten Resolution unter Druck, gilt Ankara doch als wichtiger Partner in der EU-Flüchtlingskrise.
Zu den „wohlwollenden Menschen“zählt Russlands Präsident Wladimir Putin. Zum 100. Jahrestag 2015 hielt er in Eriwan eine Rede. Ein Besuch der Genozid-Gedenkstätte, deren mächtige Basaltstelen auf einem Hügel mahnend in den Himmel ragen, ist für russische Politiker obligatorisch. Erst im April legte Regierungschef Dmitrij Medwedew hier Blumen nieder.
Russland ist Armeniens engster Verbündeter. Russische Marken prägen das Straßenbild in Eriwan. Das Land mit drei Millionen Einwohnern hängt von Energielieferungen Russlands ab. Militärisch gilt Putins Reich als Schutzmacht. Armenien sieht sich von Feinden umzingelt: Im Westen teilt das Land mehr als 300 Kilometer Grenze mit der Türkei, die wegen des GenozidStreits dicht ist. Im Osten lauert der Erzfeind Aserbaidschan.
Gerade wegen der Vergangenheit ist Armenien so sensibel im jahrzehntealten Konflikt mit Aserbaidschan um das von Baku abtrünnige Gebiet Berg-Karabach. Erst im April war wieder Blut geflossen in der vor allem von Armeniern bewohnten Unruheregion. Mit rund 120 Toten war es die schwerste Eskalation des Konflikts seit gut 20 Jahren. „Wir werden keinen neuen Genozid an Armeniern zulassen“, sagt Sargsjan entschlossen.
Das Andenken an das Leid ist den Armeniern in die Gene übergegangen. Auch die zehn Millionen Mitglieder der Diaspora teilen den Wunsch nach Gerechtigkeit. Längst werden etwa in den USA die Rufe von Armeniern nach Entschädigung und Gerichtsverfahren laut.
Mit Spannung erwarten die Armenier Ende Juni den nächsten „wohlwollenden Gast“: Papst Franziskus. Das katholische Kirchenoberhaupt hatte bereits 2015 offen den „ersten Völkermord im 20. Jahrhundert“gebrandmarkt.
„Ein Schmerz, den auf der ganzen Welt wohlwollende Menschen teilen.“