Salzburger Nachrichten

Es war ein Völkermord

Obwohl die Türkei dagegen protestier­t, will der Deutsche Bundestag die Massaker an den Armeniern als Genozid einstufen. Eine Genugtuung für die Republik Armenien von heute.

- Sersch Sargsjan, Präsident SN, dpa

Für die Südkaukasu­snation Armenien könnte die Sitzung des Bundestags heute, Donnerstag, zu einem zentralen Erfolgsmom­ent ihrer langjährig­en Außenpolit­ik werden. Seit Jahrzehnte­n arbeitet die Ex-Sowjetrepu­blik darauf hin, dass die Massaker an den Armeniern durch das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg internatio­nal als Genozid anerkannt werden. Der Bundestag will mit einer Resolution von Union, SPD und Grünen die Gräueltate­n als Völkermord verurteile­n.

Laut Schätzunge­n kamen bei der Vertreibun­g, die vor 101 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Türkei begann, bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben. Die Türkei – Rechtsnach­folgerin des Osmanische­n Reichs – geht von deutlich weniger Toten aus und lehnt den Ausdruck „Genozid“(Völkermord) entschiede­n ab. „Der Völkermord ist nicht nur ein Problem des armenische­n Volkes. Das ist ein Schmerz, den wohlwollen­de Menschen auf der ganzen Welt teilen“, sagt der armenische Staatspräs­ident Sersch Sargsjan.

Es enttäuscht viele seiner Landsleute, wenn strategisc­he Erwägungen einer Ächtung als Genozid im Wege stehen. So bleibt die Supermacht USA bisher zurückhalt­end – wohl aus Rücksicht auf den NATOPartne­r Türkei. Und auch Berlin steht mit der erwarteten Resolution unter Druck, gilt Ankara doch als wichtiger Partner in der EU-Flüchtling­skrise.

Zu den „wohlwollen­den Menschen“zählt Russlands Präsident Wladimir Putin. Zum 100. Jahrestag 2015 hielt er in Eriwan eine Rede. Ein Besuch der Genozid-Gedenkstät­te, deren mächtige Basaltstel­en auf einem Hügel mahnend in den Himmel ragen, ist für russische Politiker obligatori­sch. Erst im April legte Regierungs­chef Dmitrij Medwedew hier Blumen nieder.

Russland ist Armeniens engster Verbündete­r. Russische Marken prägen das Straßenbil­d in Eriwan. Das Land mit drei Millionen Einwohnern hängt von Energielie­ferungen Russlands ab. Militärisc­h gilt Putins Reich als Schutzmach­t. Armenien sieht sich von Feinden umzingelt: Im Westen teilt das Land mehr als 300 Kilometer Grenze mit der Türkei, die wegen des GenozidStr­eits dicht ist. Im Osten lauert der Erzfeind Aserbaidsc­han.

Gerade wegen der Vergangenh­eit ist Armenien so sensibel im jahrzehnte­alten Konflikt mit Aserbaidsc­han um das von Baku abtrünnige Gebiet Berg-Karabach. Erst im April war wieder Blut geflossen in der vor allem von Armeniern bewohnten Unruheregi­on. Mit rund 120 Toten war es die schwerste Eskalation des Konflikts seit gut 20 Jahren. „Wir werden keinen neuen Genozid an Armeniern zulassen“, sagt Sargsjan entschloss­en.

Das Andenken an das Leid ist den Armeniern in die Gene übergegang­en. Auch die zehn Millionen Mitglieder der Diaspora teilen den Wunsch nach Gerechtigk­eit. Längst werden etwa in den USA die Rufe von Armeniern nach Entschädig­ung und Gerichtsve­rfahren laut.

Mit Spannung erwarten die Armenier Ende Juni den nächsten „wohlwollen­den Gast“: Papst Franziskus. Das katholisch­e Kirchenobe­rhaupt hatte bereits 2015 offen den „ersten Völkermord im 20. Jahrhunder­t“gebrandmar­kt.

„Ein Schmerz, den auf der ganzen Welt wohlwollen­de Menschen teilen.“

 ?? BILD: SN/APA/EPA/VAHRAM BAGHDASARY­AN ?? Ermordet im Osmanische­n Reich: Armenier trauern in Eriwan um die Opfer.
BILD: SN/APA/EPA/VAHRAM BAGHDASARY­AN Ermordet im Osmanische­n Reich: Armenier trauern in Eriwan um die Opfer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria