Der Affenfelsen will britisch bleiben
Die britischen Bürger auf Gibraltar wollen mit großer Mehrheit gegen einen Brexit stimmen. Denn bei einem Ausscheiden des Landes aus der EU fürchten sie um ihre wirtschaftlichen Vorteile.
Viele Balkone der Main Street sind mit dem Union Jack geschmückt. Dies signalisiert, dass diese Stadt unter der Souveränität des Vereinigten Königreichs steht, in dem am 23. Juni über den Brexit abgestimmt wird. Und doch gehen die Uhren in dieser kleinen britischen Oase, in der auf dem markanten 400 Meter hohen „Rock“die letzten wilden Affen Europas leben, anders: Das europäische Herz schlägt hier, in der Kronkolonie Gibraltar an der Südspitze Spaniens, sehr viel heftiger als auf den Britischen Inseln.
90 Prozent der Gibraltarer, von denen die meisten britische Bürger sind, wollen laut Umfragen gegen den EU-Austritt stimmen. Das Votum der etwa 23.000 Stimmberechtigten in der Minikolonie, rund 0,05 Prozent aller britischen Wahlberechtigten, wird das Gesamtergebnis der Abstimmung kaum beeinflussen. Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo, der mit einem „I’m in“-Button am Jackett für die EU wirbt, hat es nicht schwer, die Mehrheit seiner Bürger von den Vorteilen der Europäischen Union zu überzeugen. Denn die Kolonie und ihre 32.000 Bewohner leben vom relativ freizügigen Handel und Personenverkehr mit dem spanischen EU-Nachbarn. 10.000 Spanier kommen jeden Tag zum Arbeiten über die Grenze. Zehn Millionen Tagestouristen fallen pro Jahr in die mehrwertsteuerfreie Kronkolonie ein, um günstig einzukaufen.
Tausende Briefkastenfirmen, etwa von Finanzdienstleistern, Immobilienfirmen und der OnlineSpiele-Industrie, lassen ebenfalls die Kassen klingeln. Was dem spanischen Fiskus überhaupt nicht gefällt, denn die Gewinne werden in Gibraltar mit sehr viel niedrigeren Sätzen versteuert als in Spanien. Auch der Schmuggel von Zigaretten blüht, da ein Päckchen nur etwa die Hälfte dessen kostet, was in Spanien dafür bezahlt werden muss.
Dass dieses Finanzparadies nach einem Brexit trockengelegt werden könnte, deutete bereits Spaniens Außenminister José Manuel GarcíaMargallo an. Schon „am Tag danach“werde man die Souveränität Gibraltars auf den Tisch bringen, sagte García-Margallo. Madrid fordert schon lang, dass Gibraltar, das vor drei Jahrhunderten von Großbritannien erobert worden ist, wieder zu Spanien gehören sollte. Die nur 6,5 Quadratkilometer große Halbinsel sei „der letzte koloniale Überrest in Europa“.
Man werde, verkündete GarcíaMargallo, zunächst über eine „geteilte Souveränität“Gibraltars sprechen – also eine gemeinsame Verwaltung durch Spanien und Großbritannien. Ein alter Vorschlag Madrids, der von den Gibraltarern 2002 in einem Referendum mit 98 Prozent der Stimmen abgeschmettert worden ist. Dementsprechend erteilte Gibraltars Premier Picardo, Chef der sozialistischen LabourPartei, dem neuen spanischen Vorstoß eine klare Absage: „Die britische Souveränität über Gibraltar steht nicht zum Verkauf – Gibraltar wird niemals spanisch sein.“
Doch die Spanier wissen aus Erfahrung, wie man die Gibraltarer unter Druck setzten kann: Zöllner legen dann mit schikanösen Kontrollen an der einzigen Landesgrenze den Verkehr der Koloniehalbinsel lahm.