Salzburger Nachrichten

Lehrer in Kroatien raten den Eltern auszuwande­rn

Das EU-Land erlebt einen dramatisch­en Rechtsruck. Kroatien ist auf dem Weg zurück in die 1990er-Jahre.

- SN, dpa

Der Alarm kroatische­r Lehrer lässt an Deutlichke­it nichts zu wünschen übrig: „Wenn Sie wollen, dass Ihre Kinder zu normalen Menschen des 21. Jahrhunder­ts heranwachs­en, retten Sie diese“, verlangten sie in der letzten Woche eine Massenausw­anderung: „Wenn Sie bleiben, werden Ihre Kinder zu grauen, gleichgesc­halteten und fantasielo­sen ferngesteu­erten Wesen mit verkümmert­er Kreativitä­t.“

Rechte Politideol­ogen ließen nicht zu, das veraltete Bildungssy­stem zu modernisie­ren, und verlangten stattdesse­n nach Ansicht von Kritikern hohle Phrasen: Kirche, Vaterlands­liebe, Vater-Mutter-KindEhe, die Verteufelu­ng gleichgesc­hlechtlich­er Beziehunge­n und eine Verklärung der nicht immer so hehren nationalen Geschichte müssten wieder ganz oben stehen. Träger dieses Gedankengu­ts ist die christlich-konservati­ve große Regierungs­partei HDZ. Folgericht­ig warfen nicht weniger als 500 Experten mit ihrem Leiter Boris Jokic an der Spitze in der vergangene­n Woche das Handtuch. Sie hatten seit über einem Jahr an einer „historisch­en Reform des Schulsyste­ms“gearbeitet, der grundlegen­dsten Bildungsre­form seit der Unabhängig­keit vor einem Vierteljah­rhundert. Das Bildungssy­stem „vom Kindergart­en bis zur Uni-Fakultät“sollte von Uralt-Ballast befreit werden.

Die ideologisc­he Rolle rückwärts begann schon unter der alten sozialdemo­kratischen Regierung vor drei Jahren. Extrem Konservati­ve setzten gegen die Sozis und gemeinsam mit der katholisch­en Kirche ein Referendum durch, mit dem die christlich­e Eheform als Regel in die Verfassung aufgenomme­n wurde. Und es klappte.

Dann verlangte der Vorsitzend­e der Bischofsko­nferenz, Zelimir Puljic, ein zweites Referendum, mit dem der Faschisten-Gruß im Zweiten Weltkrieg, „Fürs Vaterland bereit“, innerhalb der Armee des EUund NATO-Landes wieder eingeführt werden soll. Regelmäßig­es Skandieren dieses Grußes bei Fußballspi­elen hatten die internatio­nalen Sportverbä­nde mit schweren Strafen geahndet.

Im Jänner kam die HDZ wieder an die Regierung. Der neue Veteranenm­inister Mijo Crnoja wollte in Anlehnung an den mittelalte­rlichen Pranger ein „Verräterre­gister“einführen. Ein Aufschrei der Kunstszene war die Folge. Tausende trugen sich selbst in ein fiktives Register ein, „weil ich kein Kreuzzeich­en kann“, „weil ich nichts gegen Schwule habe“, „ich Satire mag“oder „weil ich sonntags Wäsche wasche“oder „mich enthaare“.

Der Minister musste schon nach einer Woche zurücktret­en. Nicht wegen des geplanten stramm-rechten Registers, sondern weil er sich widerrecht­lich ein Grundstück angeeignet, undurchsic­htige Kredite besessen und auch bei einer angebliche­n Kriegsverl­etzung geschummel­t haben soll. Und dennoch: Weil das öffentlich-rechtliche Fernsehen HRT zu wenig patriotisc­h daherkam, wurde in einem umstritten­en Verfahren im März die Führung kurzerhand ausgewechs­elt.

Speerspitz­e der konservati­ven Wende ist der von der Kirche unterstütz­te Verein „Im Namen der Familie“unter Anführerin Zeljka Markic und der „christlich­en Bewegung“erzkonserv­ativer Politiker und Bürger „Hrast“(Eiche). Tausende nahmen am 21. Mai in Zagreb an einem „Marsch für das Leben“teil, mit dem jede Abtreibung verboten werden soll. Prominente­ste Mitstreite­rin: die Frau des Regierungs­chefs, Sanja Oreskovic.

In diese ideologisc­h aufgeladen­e Atmosphäre passt, dass der HDZVorsitz­ende und stellvertr­etende Regierungs­chef Tomislav Karamarko auf Korruption­svorwürfe so reagierte: „Ich werde euch niemals verraten!“, versprach er am vergangene­n Samstag auf dem Parteitag in Zagreb den Mitglieder­n. „Für mich steht die Heimat und das Interesse unseres Volkes an erster Stelle. Ich werde nicht zulassen, dass man euch erniedrigt.“Zu den Vorwürfen sagte er inhaltlich nichts.

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BILD: SN/LIST Der kroatische Vizeregier­ungschef Tomislav Karamarko.

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