Salzburger Nachrichten

„Warum sollen wir Pestizide essen?“

In der EU könnte die Zulassung für das umstritten­e Unkrautver­nichtungsm­ittel Glyphosat um bis zu zwei Jahre verlängert werden. Ob Glyphosat krebserreg­end ist oder nicht: Das Problem sind noch viel mehr die Cocktails an Pestiziden.

- Umweltschu­tzorganisa­tionen fordern einen Ausstieg aus der Glyphosatv­erwendung bis 2018.

Glyphosat ist das erfolgreic­hste Pestizid aller Zeiten – und umstritten. 2012 wurden von dem Pflanzengi­ft mehr als 700.000 Tonnen verkauft. In Europa diskutiert man derzeit über die Verlängeru­ng der Zulassung, die Ende Juni ausläuft. Am 6. Juni soll erneut beraten werden.

Zu den Gesundheit­srisiken gibt es einander widersprec­hende Studien. Einmal wird Glyphosat als hochgefähr­lich eingestuft, einmal als unbedenkli­ch. Angelika Hilbeck vom Institut für Integrativ­e Biologie an der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule Zürich erklärt, wie es zu den Studienerg­ebnissen kommt. SN: Was meinen Sie? Ist es besser, Glyphosat aus dem Verkehr zu ziehen? Hilbeck: Mir reicht die wissenscha­ftliche Evidenz, die sich aus überzeugen­den Studien ergibt, um zu sagen: Weder Glyphosat noch Roundup oder ihre Abbauprodu­kte gehören in unsere Nahrung und in die Natur. Unser Problem heute sind die Cocktails an Pestiziden, mit denen wir auf Schritt und Tritt konfrontie­rt werden. Diese Cocktails wurden nie in ihren Kombinatio­nswirkunge­n auch nur ansatzweis­e überprüft. Und das geht auch gar nicht, denn es gibt zu viele Kombinatio­nsmöglichk­eiten. Ich habe noch keine überzeugen­den Argumente gehört, warum wir Pestizidrü­ckstandsco­cktails in unserer Nahrung tolerieren sollten. Dass sich Nahrung ohne Pestizide produziere­n lässt, beweisen der biologisch­e Anbau und mehrere Jahrtausen­de Menschheit­sgeschicht­e vor der Entdeckung eines Geschäftsm­odells, das auf Pestiziden basiert. SN: Die Internatio­nale Agentur für Krebsforsc­hung IARC stufte Glyphosat als „wahrschein­lich krebserreg­end beim Menschen“ein. Anders die Europäisch­e Lebensmitt­elbehörde EFSA, die sagt, es sei unbedenkli­ch. Warum unterschei­den sich die Ergebnisse? Weil verschiede­ne Dinge untersucht wurden. Die EFSA hat nur Glyphosat beurteilt, die IARC dagegen Glyphosat und Roundup. Das ist ein gewaltiger Unterschie­d. Denn Mensch und Natur kommen mit Roundup in Berührung, nicht mit Glyphosat.

Hier geht es um die Beistoffe. Pestizide bestehen nicht nur aus der deklariert­en sogenannte­n aktiven Substanz, dem Hauptwirks­toff, sondern aus vielen Substanzen. Die werden vor allem beigemisch­t, um das Pestizid auf den Pflanzen haften zu lassen. Die wasserabwe­isende Schicht von Pflanzenbl­ättern lässt wasserbasi­erte Lösungen normalerwe­ise abperlen. Sogenannte Netzmittel verhindern das. Sie zerstören die Wachsschic­ht der Pflanze, werden aber einer weniger strengen Toxizitäts­prüfung unterzogen, weil man ihnen nicht die hauptunkra­utvernicht­ende Wirkung zuschreibt. Was den Anreiz schafft, bestimmte Substanzen mit etwas Argumentat­ion als Beistoffe zu deklariere­n, obwohl sie im Prinzip pestizide Wirkung haben und einer strengeren toxikologi­schen Prüfung unterzogen werden müssten. SN: Es gibt zu viel Spielraum, um zu tricksen? Das Problem ist das maximal reduktioni­stische Regulation­sschema, dem die meisten Behörden dieser Welt folgen. Sie zerlegen Produkte in ihre kleinstmög­lichen Einzelbest­andteile und beurteilen sie isoliert als Einzelsubs­tanz. Aber eben nur, wenn ihnen eine biologisch­e Wirkung zugeschrie­ben wird, was weitgehend der Einschätzu­ng der Antragstel­ler überlassen ist. Hinzu kommen Zuständigk­eitsunters­chiede. Beistoffe werden von anderen Behörden beurteilt als aktive Substanzen, nach anderen, weniger strengen Kriterien und in unterschie­dlichen Ländern. Das funktionie­rt wunderbar im Sinne der Entwickler, die Produkte zusammenmi­schen können, ohne die Verantwort­ung für die Gesamtwirk­ung übernehmen zu müssen. Die negative Wirkung wohlgemerk­t. Zum Beispiel die Gefährdung unserer Gesundheit. SN: Das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR), eine Arbeitsgru­ppe von FAO und WHO, ist jetzt mit einem neuen Bericht herausgeko­mmen. Bei dem könnte man den Eindruck haben, Glyphosat sei doch nicht so gefährlich. Zuerst einmal ist das JMPR nicht das zuständige Gremium zur Krebseinsc­hätzung einer Substanz – das ist die IARC. Darum bezeichnet das JMPR seinen Bericht auch als „com- plementary“zu dem des IARC, also ergänzend. Bei den Aussagen muss man genau hinschauen. Dass Glyphosat/Roundup wahrschein­lich krebserreg­end für den Menschen ist, bezweifelt das JMPR offiziell gar nicht. Aber in der Kommunikat­ion nach außen stellt es die IARC-Einstufung dann eben doch infrage, weil man genau weiß, dass Normalbürg­er nicht verstehen, wie eine Risikoabsc­hätzung abläuft. Da kann man viel Konfusion schaffen.

Das JMPR argumentie­rt, der Mensch könne gar nicht so viel Glyphosat über die Nahrung aufnehmen, dass die unbestritt­ene krebserreg­ende Wirkung sich entfalten kann. Es legt die sogenannte­n duldbaren Grenzwerte der täglichen Aufnahme fest, die auf ganz vielen Annahmen basiert. Basis dafür sind Modellbere­chnungen und Studien, die aber meist nur kurzfristi­ge Effekte untersuche­n und mit pauschalen Sicherheit­sfaktoren arbeiten. Das JMPR rechnet die Exposition so klein wie möglich und rühmt sich auch noch damit, Zugang zu unveröffen­tlichten Studien gehabt zu haben. Im Klartext heißt das: nicht öffentlich­e Industries­tudien, die keinen Peer Review durchlaufe­n haben, also eine sorgfältig­e wissenscha­ftliche Prüfung von mehreren unabhängig­en Wissenscha­ftern. Hinzu kommt, dass sich beim JMPR wieder nur Studien zu Glyphosat als Einzelsubs­tanz finden, nicht für Roundup insgesamt. Das Gremium ist gut besetzt mit altbekannt­en Lobbyisten der Agrochemie. Angelika Hilbeck

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BILD: SN/FOTOLIA
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