„Warum sollen wir Pestizide essen?“
In der EU könnte die Zulassung für das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat um bis zu zwei Jahre verlängert werden. Ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht: Das Problem sind noch viel mehr die Cocktails an Pestiziden.
Glyphosat ist das erfolgreichste Pestizid aller Zeiten – und umstritten. 2012 wurden von dem Pflanzengift mehr als 700.000 Tonnen verkauft. In Europa diskutiert man derzeit über die Verlängerung der Zulassung, die Ende Juni ausläuft. Am 6. Juni soll erneut beraten werden.
Zu den Gesundheitsrisiken gibt es einander widersprechende Studien. Einmal wird Glyphosat als hochgefährlich eingestuft, einmal als unbedenklich. Angelika Hilbeck vom Institut für Integrative Biologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich erklärt, wie es zu den Studienergebnissen kommt. SN: Was meinen Sie? Ist es besser, Glyphosat aus dem Verkehr zu ziehen? Hilbeck: Mir reicht die wissenschaftliche Evidenz, die sich aus überzeugenden Studien ergibt, um zu sagen: Weder Glyphosat noch Roundup oder ihre Abbauprodukte gehören in unsere Nahrung und in die Natur. Unser Problem heute sind die Cocktails an Pestiziden, mit denen wir auf Schritt und Tritt konfrontiert werden. Diese Cocktails wurden nie in ihren Kombinationswirkungen auch nur ansatzweise überprüft. Und das geht auch gar nicht, denn es gibt zu viele Kombinationsmöglichkeiten. Ich habe noch keine überzeugenden Argumente gehört, warum wir Pestizidrückstandscocktails in unserer Nahrung tolerieren sollten. Dass sich Nahrung ohne Pestizide produzieren lässt, beweisen der biologische Anbau und mehrere Jahrtausende Menschheitsgeschichte vor der Entdeckung eines Geschäftsmodells, das auf Pestiziden basiert. SN: Die Internationale Agentur für Krebsforschung IARC stufte Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ein. Anders die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA, die sagt, es sei unbedenklich. Warum unterscheiden sich die Ergebnisse? Weil verschiedene Dinge untersucht wurden. Die EFSA hat nur Glyphosat beurteilt, die IARC dagegen Glyphosat und Roundup. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Denn Mensch und Natur kommen mit Roundup in Berührung, nicht mit Glyphosat.
Hier geht es um die Beistoffe. Pestizide bestehen nicht nur aus der deklarierten sogenannten aktiven Substanz, dem Hauptwirkstoff, sondern aus vielen Substanzen. Die werden vor allem beigemischt, um das Pestizid auf den Pflanzen haften zu lassen. Die wasserabweisende Schicht von Pflanzenblättern lässt wasserbasierte Lösungen normalerweise abperlen. Sogenannte Netzmittel verhindern das. Sie zerstören die Wachsschicht der Pflanze, werden aber einer weniger strengen Toxizitätsprüfung unterzogen, weil man ihnen nicht die hauptunkrautvernichtende Wirkung zuschreibt. Was den Anreiz schafft, bestimmte Substanzen mit etwas Argumentation als Beistoffe zu deklarieren, obwohl sie im Prinzip pestizide Wirkung haben und einer strengeren toxikologischen Prüfung unterzogen werden müssten. SN: Es gibt zu viel Spielraum, um zu tricksen? Das Problem ist das maximal reduktionistische Regulationsschema, dem die meisten Behörden dieser Welt folgen. Sie zerlegen Produkte in ihre kleinstmöglichen Einzelbestandteile und beurteilen sie isoliert als Einzelsubstanz. Aber eben nur, wenn ihnen eine biologische Wirkung zugeschrieben wird, was weitgehend der Einschätzung der Antragsteller überlassen ist. Hinzu kommen Zuständigkeitsunterschiede. Beistoffe werden von anderen Behörden beurteilt als aktive Substanzen, nach anderen, weniger strengen Kriterien und in unterschiedlichen Ländern. Das funktioniert wunderbar im Sinne der Entwickler, die Produkte zusammenmischen können, ohne die Verantwortung für die Gesamtwirkung übernehmen zu müssen. Die negative Wirkung wohlgemerkt. Zum Beispiel die Gefährdung unserer Gesundheit. SN: Das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR), eine Arbeitsgruppe von FAO und WHO, ist jetzt mit einem neuen Bericht herausgekommen. Bei dem könnte man den Eindruck haben, Glyphosat sei doch nicht so gefährlich. Zuerst einmal ist das JMPR nicht das zuständige Gremium zur Krebseinschätzung einer Substanz – das ist die IARC. Darum bezeichnet das JMPR seinen Bericht auch als „com- plementary“zu dem des IARC, also ergänzend. Bei den Aussagen muss man genau hinschauen. Dass Glyphosat/Roundup wahrscheinlich krebserregend für den Menschen ist, bezweifelt das JMPR offiziell gar nicht. Aber in der Kommunikation nach außen stellt es die IARC-Einstufung dann eben doch infrage, weil man genau weiß, dass Normalbürger nicht verstehen, wie eine Risikoabschätzung abläuft. Da kann man viel Konfusion schaffen.
Das JMPR argumentiert, der Mensch könne gar nicht so viel Glyphosat über die Nahrung aufnehmen, dass die unbestrittene krebserregende Wirkung sich entfalten kann. Es legt die sogenannten duldbaren Grenzwerte der täglichen Aufnahme fest, die auf ganz vielen Annahmen basiert. Basis dafür sind Modellberechnungen und Studien, die aber meist nur kurzfristige Effekte untersuchen und mit pauschalen Sicherheitsfaktoren arbeiten. Das JMPR rechnet die Exposition so klein wie möglich und rühmt sich auch noch damit, Zugang zu unveröffentlichten Studien gehabt zu haben. Im Klartext heißt das: nicht öffentliche Industriestudien, die keinen Peer Review durchlaufen haben, also eine sorgfältige wissenschaftliche Prüfung von mehreren unabhängigen Wissenschaftern. Hinzu kommt, dass sich beim JMPR wieder nur Studien zu Glyphosat als Einzelsubstanz finden, nicht für Roundup insgesamt. Das Gremium ist gut besetzt mit altbekannten Lobbyisten der Agrochemie. Angelika Hilbeck