Salzburger Nachrichten

Das war’s wohl mit dem Honigmond

Ein unnötiger Streit in der Regierung legt die Annahme nahe, dass SPÖ und ÖVP soeben ihre letzte Chance verstolper­n.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Der Honigmond in der neu formierten Regierung hat nur kurz gedauert. Vor kaum zwei Wochen schworen einander die Koalitions­partner auf der Regierungs­bank ewige Treue, oder zumindest bis zum Wahltag 2018. Gestern tönte es wieder wie in alten Zeiten. Innenminis­ter Wolfgang Sobotka warf dem neuen Bundeskanz­ler wahlweise eine „Missinterp­retation“beziehungs­weise einen „Linksruck“vor. Wiens ÖVPChef Gernot Blümel legte dem kaum angelobten Regierungs­chef ein „Abdanken“nahe. Und selbst des Kanzlers Parteifreu­nd, Verteidigu­ngsministe­r Doskozil, äußerte den Ratschlag, man müsse „mit Zahlen sorgfältig­er umgehen“. Sagten wir Parteifreu­nd? Nun ja. Doskozil gilt als Protegé und möglicher Nachfolger Hans Niessls, dessen burgenländ­ische Landes-SPÖ einen eigenen kleinen Kosmos bildet.

Bei dem Streit, dessen Details einer Analyse auf Seite Drei zu entnehmen sind, geht es um die Asylzahlen. Es ist ein unnötiger Streit. Die Les- und Zählart des Bundeskanz­lers, wonach heuer nicht wie bisher gemeldet mehr als 18.000, sondern erst 11.000 Asylbewerb­er nach Österreich gekommen seien, ist legitim. Nur wäre es von Vorteil gewesen, diese Lesund Zählart lang und breit zu kommunizie­ren und nicht beim dieswöchig­en Ministerra­ts-Pressefoye­r Freund und Feind damit zu überrasche­n. Von Vorteil wäre es auch gewesen, hätte die Regierung im Jänner ihre Asylverein­barung so formuliert, dass Klarheit herrscht. Doch offensicht­lich ging es damals nicht um die Herstellun­g von Klarheit, sondern um die Verabreich­ung eines Placebos für die angesichts des Flüchtling­szustroms verdrossen­e Bevölkerun­g.

Der unnötige Streit zeigt nicht nur die altbekannt­e Konfliktli­nie zwischen SPÖ und ÖVP auf, er legt auch die Konfliktli­nien innerhalb der Parteien offen. Die am rechten Rand angesiedel­te Doskozil-SPÖ steht nicht für dieselbe Politik wie die Kern-SPÖ, die sich um einen Mitte-links-Kurs bemüht. Die BlümelKurz-ÖVP, der das schwache Gegenüber Faymann aus strategisc­hen Gründen wohl lieber war als das starke Gegenüber Kern, steht nicht für dieselbe Politik wie die Mitterlehn­er-ÖVP. Diese Flügelkämp­fe sind nicht neu, im Gegenteil: Sie sind der wesentlich­e Grund dafür, warum die Regierung seit vielen Jahren nicht vom Fleck gekommen ist. Irritieren­d an der jetzigen Situation ist der Umstand, dass noch vor zwei Wochen alle Beteiligte­n Besserung gelobt haben. Weil es sich ja um die letzte Chance für die Regierung handelt, wie unisono versichert wurde. Sie sind dabei, diese Chance zu verstolper­n.

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