Das war’s wohl mit dem Honigmond
Ein unnötiger Streit in der Regierung legt die Annahme nahe, dass SPÖ und ÖVP soeben ihre letzte Chance verstolpern.
Der Honigmond in der neu formierten Regierung hat nur kurz gedauert. Vor kaum zwei Wochen schworen einander die Koalitionspartner auf der Regierungsbank ewige Treue, oder zumindest bis zum Wahltag 2018. Gestern tönte es wieder wie in alten Zeiten. Innenminister Wolfgang Sobotka warf dem neuen Bundeskanzler wahlweise eine „Missinterpretation“beziehungsweise einen „Linksruck“vor. Wiens ÖVPChef Gernot Blümel legte dem kaum angelobten Regierungschef ein „Abdanken“nahe. Und selbst des Kanzlers Parteifreund, Verteidigungsminister Doskozil, äußerte den Ratschlag, man müsse „mit Zahlen sorgfältiger umgehen“. Sagten wir Parteifreund? Nun ja. Doskozil gilt als Protegé und möglicher Nachfolger Hans Niessls, dessen burgenländische Landes-SPÖ einen eigenen kleinen Kosmos bildet.
Bei dem Streit, dessen Details einer Analyse auf Seite Drei zu entnehmen sind, geht es um die Asylzahlen. Es ist ein unnötiger Streit. Die Les- und Zählart des Bundeskanzlers, wonach heuer nicht wie bisher gemeldet mehr als 18.000, sondern erst 11.000 Asylbewerber nach Österreich gekommen seien, ist legitim. Nur wäre es von Vorteil gewesen, diese Lesund Zählart lang und breit zu kommunizieren und nicht beim dieswöchigen Ministerrats-Pressefoyer Freund und Feind damit zu überraschen. Von Vorteil wäre es auch gewesen, hätte die Regierung im Jänner ihre Asylvereinbarung so formuliert, dass Klarheit herrscht. Doch offensichtlich ging es damals nicht um die Herstellung von Klarheit, sondern um die Verabreichung eines Placebos für die angesichts des Flüchtlingszustroms verdrossene Bevölkerung.
Der unnötige Streit zeigt nicht nur die altbekannte Konfliktlinie zwischen SPÖ und ÖVP auf, er legt auch die Konfliktlinien innerhalb der Parteien offen. Die am rechten Rand angesiedelte Doskozil-SPÖ steht nicht für dieselbe Politik wie die Kern-SPÖ, die sich um einen Mitte-links-Kurs bemüht. Die BlümelKurz-ÖVP, der das schwache Gegenüber Faymann aus strategischen Gründen wohl lieber war als das starke Gegenüber Kern, steht nicht für dieselbe Politik wie die Mitterlehner-ÖVP. Diese Flügelkämpfe sind nicht neu, im Gegenteil: Sie sind der wesentliche Grund dafür, warum die Regierung seit vielen Jahren nicht vom Fleck gekommen ist. Irritierend an der jetzigen Situation ist der Umstand, dass noch vor zwei Wochen alle Beteiligten Besserung gelobt haben. Weil es sich ja um die letzte Chance für die Regierung handelt, wie unisono versichert wurde. Sie sind dabei, diese Chance zu verstolpern.