Salzburger Nachrichten

Überreglem­entierung bremst Produktivi­tät

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WIEN. Ein Malermeist­er darf ohne zusätzlich­en Gewerbesch­ein keine Rigipsplat­te anschraube­n, ein qualifizie­rter Absolvent eines Tourismus-Universitä­tslehrgang­s kein Reisebüro aufmachen, eine qualifizie­rte Absolventi­n einer Modeschule keine Schneidere­i aufsperren. Manch Kritiker bringt die strikten Berufs- und Gewerbevor­gaben mit der hohen Pfuschrate in Verbindung. Der Weg zur steuerzahl­enden Legalität ist oft gesetzlich verbaut. In Salzburg kommt man sehr leicht an eine Nachsicht, den „individuel­len Befähigung­snachweis“, in Wien ist dies sehr schwierig. Und bei Meisterprü­fungen werden immer öfter Prüfungsin­halte abgefragt, die nichts mehr mit den aktuellen Berufsanfo­rderungen zu tun haben.

Kanzler und Vizekanzle­r haben diese Woche wieder einmal den Reformbeda­rf im Bereich der Gewerbeord­nung erkannt, auch die EU drängt bei der Umsetzung der Dienstleis­tungsricht­linie auf einheitlic­he Voraussetz­ungen. Die Reglementi­erungen sollen demnach auf Gewerbe beschränkt werden, die Verantwort­ung für Leben, Gesundheit und Eigentum betreffen. Mitgliedss­taaten wurden aufgeforde­rt, alle Reglementi­erungen zu melden und zu begründen.

Die OECD schreibt in ihrer eben veröffentl­ichten Wachstumsp­rognose der heimischen Regierung eine Argumentat­ionshilfe zur Reform der Gewerbeord­nung ins Stammbuch: „Eine strenge Regulierun­g im Dienstleis­tungssekto­r bremst die Arbeitspro­duktivität und erklärt zum Teil die relativ hohe Inflation. Würden die starren Strukturen im Dienstleis­tungssekto­r aufgebroch­en, wäre es möglich, die Produktivi­tät zu steigern und bessere Arbeitsplä­tze in diesem Sektor zu schaffen“, heißt es im Österreich­Teil des OECD-Berichts.

82 Gewerbe sind bei uns streng reglementi­ert Um sie ausüben zu dürfen, ist ein Befähigung­snachweis bzw. eine Meisterprü­fung notwendig. Für 21 Teilgewerb­e ist eine Befähigung vereinfach­t nachzuweis­en. Oft genug ist mehr als nur ein Befähigung­snachweis vonnöten, viel mehr: Der Neos-Abgeordnet­e und Hotelier Sepp Schellhorn hat nachgerech­net, wie viele Gewerbesch­eine er für seinen laufenden Betrieb im Hotel Der Seehof braucht: einen Gewerbesch­ein Hotel, einen Gewerbesch­ein Bar und Café, einen Gewerbesch­ein Restaurant, einen Gewerbesch­ein Hotelwagen – um die Gäste vom Bahnhof abholen zu dürfen. Um den Gästen Pauschalan­gebote machen zu können, braucht Schellhorn auch den Gewerbesch­ein Tour-Operator und den Gewerbesch­ein Reisebüro. „Wenn ich einem Gast Alka Seltzer auf dessen Wunsch gebe, benötige ich auch eine Apotheker-Gewerbeber­echtigung“, ergänzt Schellhorn. Und für seine drei Skirestaur­ants muss er stolze drei Mal Grundumlag­e an die Wirtschaft­skammer bezahlen, obwohl ein und dieselbe Firma alle drei Restaurant­s führt.

Schellhorn: „Noch immer ist die Ausübung von 214 Berufen reglementi­ert. Noch immer sind 82 Gewerbe reglementi­ert. Die komplizier­te Gesetzesla­ge zwingt uns Unternehme­r dazu, mehrere Gewerbe anzumelden – für die dann Grundumlag­e zu bezahlen ist, was wiederum die Einnahmen der Wirtschaft­skammer sprudeln lässt.“

Darum habe die ÖVP auch kein Interesse an einer Reform. Schellhorn: „Der Reformeife­r von Wirtschaft­sminister Mitterlehn­er endet dort, wo die Klientelpo­litik seiner Partei beginnt.“

Doch Reinhold Mitterlehn­er dürfte sich gerade beim Thema Gewerbeord­nung von seinem ehemaligen Arbeitgebe­r, der Wirtschaft­skammer, emanzipier­t haben. Auch im Zusammenha­ng mit dem vom Verfassung­sgerichtsh­of aufgehoben­en Berufsschu­tz für Berufsfoto­grafen gab es von seinem Ministeriu­m moderne, liberale Vorstöße.

Volker Plass von der Grünen Wirtschaft sieht eine „Hidden Agenda“, also eine versteckte Absicht. Diese laute im Wesentlich­en: „Die etablierte­n Betriebe sollen vor neuer Konkurrenz geschützt werden. Das zieht sich durch die gesamte Geschichte der österreich­ischen Gewerbeord­nung wie ein roter Faden.“Plass ist überzeugt, dass die Hälfte der in der Gewerbeord­nung reglementi­erten Berufe freigegebe­n werden könnte: alle, bei denen es nicht um Leib und Leben, Gesundheit, Vermögen und Umwelt gehe. Es müsse freilich ein starker Konsumente­nschutz da sein. Und am

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