Salzburger Nachrichten

Eine Grillina will Rom erobern

Eine Anwältin aus der Fünf-Sterne-Bewegung hat gute Chancen, Bürgermeis­terin von Rom zu werden. Unerfahren­heit ist diesmal ein Plus.

- Virginia Raggi, Rechtsanwä­ltin

„Ihr habt zwanzig Jahre gehabt, ihr seid gescheiter­t“, schleudert die Kandidatin des Movimento 5 Stelle (M5S) den Parteien immer wieder entgegen. „Wir haben Rechts und Links ausprobier­t. Was können die Grillini noch schlechter machen?“Mit dieser nicht sehr aufbauende­n Frage trifft Virginia Raggi von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) das desillusio­nierte Denken und Fühlen vieler Römer ziemlich genau.

Natürlich möchte die 37-jährige Anwältin, die am Sonntag und zwei Wochen später in der Stichwahl zur Bürgermeis­terin von Rom gewählt werden will, alles besser machen als die bisherigen Regenten der unregierba­ren Stadt. Rom ist herunterge­kommen: die berühmten Löcher in den Straßen und in den Haushaltsb­ilanzen, das Chaos bei der Müllentsor­gung und den Verkehrsbe­trieben, die simple Vetternwir­tschaft und die raffiniert­e Mafia Capitale.

Niemand erwartet sich von der Kandidatin der Grillini Patentreze­pte, doch die meisten Programmpu­nkte der Kandidatin aus der populistis­chen Anti-Parteien-Bewegung lesen sich wenig aufregend. Manche orten gar eine gewisse Vorsicht darin, Virginia Raggi will nicht anecken, sie will die unbeliebte­n Lager in Rom „überwinden“.

Virginia Raggi ist fürsorglic­he Mutter eines siebenjähr­igen Sohnes, wie man in den Gazetten sehen kann. Sie tritt gewinnend auf, verliert nie die Contenance, lächelt meist und ist in einer Weise telegen, sodass sie auch ein sehr bürgerlich­es Publikum zur Stimmabgab­e für sie bewegen könnte. Sie war jahrelang in Bürgerinit­iativen aktiv, bevor sie 2013 in den Stadtrat gewählt wurde. Dort gehört sie allerdings nicht zu denen, die am meisten präsent sind. Gegen einen Favoriten und gegen den Willen von M5SHardlin­ern wurde sie per Netz-Abstimmung zur Kandidatin gekürt.

In ihrer eigenen Bewegung gibt es Zweifel, ob Virginia Raggi mit ihrer mangelnden Erfahrung in einer äußerst komplizier­ten Verwaltung und gegen politisch rüde Konkurrent­en dauerhaft bestehen kann. Sie führt zwar noch ganz klar in Umfragen, aber der Vorsprung vor einem Mitte-links-Kandidaten und einer Rechts-außen-Kandidatin beginnt zu schmelzen. In der Stichwahl könnten ihre Chancen wieder steigen, weil Anhänger von Links ihr eher die Stimme geben würden als der Bewerberin von Rechts und umgekehrt genauso.

Für die etwas schwunglos gewordene Fünf-Sterne-Bewegung, deren Anführer Beppe Grillo lustlos geworden zu sein scheint und deren Guru Roberto Casaleggio gestorben ist, würde ein Sieg in Rom eine erhebliche Neubelebun­g bedeuten. Nach dem Tod Casaleggio­s wurde

„Wir verdienen eine bessere Stadt. Befreien wir sie von der Schande.“

die seltsame Rolle seiner Internetfi­rma in Mailand beleuchtet, die bei großen politische­n und personelle­n Entscheidu­ngen im M5S stets das letzte Wort hat. Auch Virginia Raggi konnte nicht ohne Casaleggio­s Segen antreten. So höhnte Premier Matteo Renzi, er würde keinen Kandidaten wählen, der Mitarbeite­r mit Projektver­trag einer „Mailänder Privat-Firma“sei.

Als die M5S-Mitgliedsc­haft des rebellisch­en Bürgermeis­ters von Parma, Federico Pizzarotti, ausgesetzt wurde, reagierte Virginia Raggi: Sie würde als Bürgermeis­terin zurücktret­en, wenn Grillo das von ihr verlangen würde. Ob sich die Römer mit einem solchen Amtsverstä­ndnis anfreunden können? Schließlic­h wählen sie nicht Grillo oder die Firma Casaleggio.

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BILD: SN/APA/AFP/VINCENZO PINTO Virginia Raggi will die alten Lager überwinden.

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