Politisch ist Frankreich schon im Endspiel
Kurz vor Schluss seiner Amtszeit sucht Staatspräsident François Hollande nachzuweisen, dass sein Land doch zu Reformen fähig ist.
Und am Horizont das Gespenst Marine Le Pen
Einige Wochen lang wollen die Europäer einfach alle Krisen vergessen. Die Ballzauberer sollen dafür sorgen, sobald ihre Europameisterschaft angepfiffen wird. Frankreich soll beschwingter Gastgeber eines Fußballfestes sein. Stattdessen aber sehen wir kurz vor dieser EM ein Land im Ausnahmezustand. In die Begeisterung der Fußballfreunde mischt sich die Sorge der Europäer, ob das Sportspektakel reibungslos ablaufen wird.
Zum einen weiß man nicht, ob man sich in den kommenden Wochen dort sicher fühlen kann. Die französischen Behörden treffen zwar enorme Sicherheitsvorkehrungen. Doch die Terrorgefahr liegt weiterhin über dem Land. Gewiss ist Paris schon früher von terroristischen Attacken getroffen worden. Aber gerade die Attentate vom November 2015 haben Frankreichs Metropole schwer erschüttert. Trotzig leben die Menschen seither ihren Alltag weiter. Man ignoriert die Gefahr neuer Gewalttaten, aber mit einem mulmigen Gefühl.
Zum anderen ist die Nation in Aufruhr. Es gibt Proteste gegen die Regierung, was nichts Neues ist. Man revoltiert gegen Reformen, wieder einmal. Staatschef François Hollande steht unter starkem Stress. Er bekommt jetzt die Quittung für schlechtes Regieren. Vier Jahre seiner Präsidentschaft hat Hollande mehr oder minder verplempert. Er zögerte und zauderte, statt dringend nötige Veränderungen anzupacken. Er lenkte mit starken außenpolitischen Auftritten gern vom innenpolitischen Stillstand ab. Heute ist Hollande der un- beliebteste Präsident in Frankreichs jüngerer Geschichte.
Mit einer besser laufenden Konjunktur und kleinen, kosmetischen Korrekturen – so streute der Staatspräsident zu Beginn seiner Amtszeit als These aus – ließen sich die Probleme des Landes lösen. Frankreich brauche nicht die bittere Reformmedizin, so sollte suggeriert werden, die der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder vor gut einem Jahrzehnt Deutschland verabreicht hatte.
Tatsächlich aber ist Frankreich unter Hollandes Regie wirtschaftlich zurückgefallen. Eine konstant massive Arbeitslosigkeit von zehn Prozent macht dem Land zu schaffen; sie ist jetzt fast zwei Mal so hoch wie in Großbritannien und gut doppelt so hoch wie in Deutschland. Frankreichs Schuldenberg nimmt stetig zu; er beträgt bald 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Erst im letzten Jahr seiner Präsidentschaft reißt Hollande das Ruder herum. Er will mit einer als moderat eingestuften Arbeitsmarktreform doch noch einen Modernisierungsschub auslösen. Hollande hat seinen Kurswechsel aber nicht plausibel erklärt und ruft deswegen eine große Protestwelle hervor. Linke Rebellen in der Sozialistischen Partei, die Frondeure, verweisen darauf, dass diese Reform nicht Teil von Hollandes Wahlprogramm gewesen sei. Besonders die Jungen sind enttäuscht von diesem Präsidenten; sie haben das Vertrauen verloren und erwarten nichts Gutes mehr. In erster Linie aber macht die kommunistisch orientierte Gewerkschaft CGT, die in Konkurrenz zur sozialistischen Gewerkschaft CFDT steht, auf rabiate Weise mobil gegen diese Reform.
Gäbe die Regierung nun nach, wäre dies ein Eingeständnis völligen Versagens. Premierminister Manuel Valls müsste zurücktreten. Präsident Hollande verwandelte sich, amerikanisch ausgedrückt, endgültig in eine „lahme Ente“. Am Horizont tauchte, drohender denn je, die Möglichkeit auf, dass Marine le Pen von der rechtsextremen Nationalen Front bei der Präsidentschaftswahl 2017 triumphieren könnte. Schon jetzt sammelt sie Punkte mit der Propaganda, dass Frankreich außerhalb der Europäischen Union und gegen die Globalisierung reüssieren würde.
In grelles Licht rücken in diesen Tagen Frankreichs Grundprobleme: Von einer „blockierten Gesellschaft“ist hier schon seit langer Zeit die Rede. Kein Präsident hat es geschafft, diese Verkrustung aufzubrechen. Das Land ist und bleibt reformresistent. Zu stark erscheint nach wie vor die Polarisierung zwischen Rechts und Links, zwischen Bürgern und Elite. Wie feindliche Heere stehen einander gerade Arbeitgeber und Gewerkschafter gegenüber. Es gibt keine Mitbestimmung nach deutschem Modell. Man denkt lieber in Kategorien des Klassenkampfs. Weil es keine sozialen Partner gibt, ist auch der soziale Frieden fern. Frankreich muss Kompromiss und Konsens erst lernen.