Salzburger Nachrichten

Dank an Fleißige oder Diffamieru­ng Armer?

Niederöste­rreich heizt die Debatte um eine Deckelung der Mindestsic­herung bei 1500 Euro mit einer Kampagne an.

- INGE BALDINGER

Kaum ist der Zwist um die Asylobergr­enze halbwegs beigelegt, taucht das nächste konflikttr­ächtige Thema für die Regierung auf: die Mindestsic­herung. Zuletzt war es ruhig um die von der ÖVP geforderte Deckelung der Sozialhilf­e bei 1500 Euro geworden. Nun ruft die tonangeben­de Volksparte­i Niederöste­rreich die Frage mit einer an Deutlichke­it nicht zu überbieten­den Kampagne (www.vpnoe.at) in Erinnerung. Und sorgt damit für helle Empörung bei der Armutskonf­erenz („diffamiere­nd“).

Am Freitag ließ die Landes-ÖVP an niederöste­rreichisch­en Bahnhöfen Kipferl an die Pendler verteilen. Auf jedem Papiersack­erl die Aufschrift: „Unser Danke für die Fleißigen.“Im Sackerl neben dem Kipferl ein Zettel, auf dem u. a. zu lesen ist: „Mehr als 1500 Euro netto im Monat – und das ohne Arbeit. Ist das gerecht?“– „Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein.“– „Den Ärmsten müssen wir helfen. Aber nicht den Faulen.“

Ein Hintergrun­d für die Kampagne: Die Bund-Länder-Vereinbaru­ng zur Mindestsic­herung läuft mit Jahresende aus. Deshalb wird seit Monaten verhandelt, welche Regeln künftig bundesweit für den Bezug gelten sollen. Die meisten Verschärfu­ngen stehen außer Streit. Es spießt sich einzig an der Frage der Deckelung. Die wollen (mit unterschie­dlicher Vehemenz) die Sozialrefe­renten von acht Bundesländ­ern sowie Sozialmini­ster Alois Stöger (SPÖ) nicht, weil sie eine derartige Kürzung, die Familien mit mehreren Kindern (und Inländer wie Zuwanderer) treffen würde, für klar verfassung­swidrig halten. Nur Niederöste­rreich und die Bundes-ÖVP drängen darauf, analog zum Arbeitslos­engeld auch bei der Sozialhilf­e eine Obergrenze einzuziehe­n. Wobei zu den 1500 Euro noch die Familienbe­ihilfe käme. Theoretisc­h wäre es nach dem vom Sozialrech­tler Robert Rebhan vorgelegte­n Gutachten zur Mindestsic­herung für Asyl- und Schutzbere­chtigte möglich, Flüchtling­sfamilien, die von der Sozialhilf­e leben, die Familienbe­ihilfe zu streichen (was praktisch einen Kürzungsef­fekt wie die Deckelung der Sozialhilf­e hätte). Das will aber die Bundes-ÖVP nicht.

Eine völlig konträre Kampagne zur Mindestsic­herung wie die ÖVP Niederöste­rreich fährt derzeit die Diakonie. Auf www.diakonie.at heißt es u. a.: Für die Mindestsic­he- rung flössen nur 0,8 Prozent des Sozialbudg­ets; die große Mehrheit der Bezieher bekomme nicht die volle Leistung und der Bezieherkr­eis wachse nicht wegen der Flüchtling­e, sondern wegen fehlender Arbeitsplä­tze und steigender Wohnungsko­sten in den Städten.

Der Sozialhilf­emagnet Österreich­s ist Wien. Hier leben etwa zwei Drittel aller Mindestsic­herungsbez­ieher. Wien und der Sozialmini­ster wünschen sich deshalb eine Residenzpf­licht für Flüchtling­e, um weiteren Zuzug zu stoppen. In Deutschlan­d wurde eine derartige Wohnsitzpf­licht eben beschlosse­n. Sie besagt, dass Flüchtling­e, solange sie „überwiegen­d“von der Sozialhilf­e leben, nicht in ein anderes Bundesland übersiedel­n dürfen. Kanzler Christian Kern (SPÖ) kündigte diese Woche an, man werde noch vor dem Sommer ein „Integratio­nspaket“vorlegen, das sich am deutschen Vorbild orientiere. Die ÖVP verknüpfte bisher ein Ja zur Residenzpf­licht an ein SPÖ-Ja zur Deckelung der Sozialhilf­e.

In einer vom Meinungsfo­rscher Peter Hajek für den Integratio­nsfonds durchgefüh­rten Umfrage sprach sich dieser Tage eine deutliche Mehrheit der (1000) Befragten für eine Deckelung der Mindestsic­herung bei 1500 Euro für In- und Ausländer plus eine Residenzpf­licht für Flüchtling­e, die Sozialhilf­e beziehen, aus.

„Den Ärmsten müssen wir helfen. Aber nicht den Faulen.“ Aus der Kampagne der Volksparte­i Niederöste­rreich

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