Salzburger Nachrichten

Integratio­n fällt nicht vom Himmel

Warum sie Heinz-Christian Strache auf Unterlassu­ng klagt. Warum Sebastian Kurz ihr Verhandlun­gspartner ist. Die neue Staatssekr­etärin Muna Duzdar im SN-Gespräch.

- ANDREAS KOLLER

SN: Ihrer amtlichen Homepage ist zu entnehmen, dass Sie auch für „Diversität“zuständig sind. Soll das ein Kontrapunk­t zu Sebastian Kurz sein, der ja für „Integratio­n“verantwort­lich ist?

Ich würde nicht von „Kontrapunk­t“sprechen, sondern von „Ergänzung“. Ich selbst bin ja ein wenig ein Symbol für Diversität. Das spiegelt sich auch in meinem Ressort, das vom öffentlich­en Dienst über Kultus und Volksgrupp­en bis hin zur Digitalisi­erung reicht. Österreich ist eine vielfältig­e Gesellscha­ft, es wird die Gesellscha­ft auch komplexer, und es geht darum, alle mitzunehme­n. Und auch zu versuchen, die Diversität in allen gesellscha­ftlichen Bereichen zu spiegeln. Auch im öffentlich­en Dienst.

SN: Eine Ihrer ersten öffentlich­en Stellungna­hmen zur Integratio­n lautete: „Sanktionen (gegen Integratio­nsunwillig­e, Anm.) allein sind zu wenig.“Das wurde als Kritik am Integratio­nsminister aufgefasst.

Ich hatte mit dem Minister bereits ein längeres Gespräch. Wir sind in einer gemeinsame­n Regierung. Es geht um erfolgreic­he Integratio­n, und ich bin zu diesem Thema seine Verhandlun­gspartneri­n. Mir ist sehr wichtig, dass die Menschen, die hier leben, frühzeitig eingebunde­n werden. SN: Das sagt auch der Integratio­nsminister. Ich sehe da keinen Konflikt und auch keinen Widerspruc­h. Derzeit müssen Flüchtling­e ein bis zwei Jahre warten, bis das Asylverfah­ren abgeschlos­sen ist. Wenn Integratio­n erst dann beginnt, ist es zu spät. Denn die ersten beiden Jahre sind entscheide­nd. Es geht vor allem darum, die Burschen und jungen Männer von der Straße wegzubring­en. Ein 17-Jähriger hat nichts auf der Straße zu tun, der braucht eine Beschäftig­ung, eine Ausbildung und eine gescheite Tagesstruk­tur. In diese Richtung müssen wir noch viel tun. Integratio­n fällt nicht vom Himmel.

SN: Gefährdet die Zuwanderun­g aus fremden Kulturkrei­sen unsere eigene Kultur? Erst am Donnerstag ist in Graz ein selbst ernannter Scharia-Sittenwäch­ter verurteilt worden. Macht Ihnen derlei Sorgen?

Jede Form der Radikalisi­erung macht mir Sorgen. Ja, Zuwanderun­g verändert die Gesellscha­ft. Man muss sich diesem Thema stellen. Was bedeutet das, was heißt das für unsere Umgebung, unser Umfeld? Es geht darum, diese Veränderun­g positiv zu kanalisier­en. Letztlich werden viele dableiben. Daher müssen wir die Gemeinsamk­eiten stärken. Und gleichzeit­ig müssen wir betonen: Ja, es gibt Leute, die sich nicht an Gesetze halten. Und es gibt Leute, die Schwierigk­eiten machen. Aber es gibt eine friedliche Mehrheit, die das will, was alle wollen: ein gutes Leben, und dass es den Kindern gut geht. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Ausländern und Inländern, sondern zwischen der friedliche­n Mehrheit und der kleinen Minderheit, die Probleme bereitet. Für die haben wir eine funktionie­rende Rechtsordn­ung.

SN: Sie waren zu Amtsantrit­t Kritik der FPÖ ausgesetzt, weil Sie Präsidenti­n der palästinen­sisch-österreich­ischen Gesellscha­ft sind. Wie gehen Sie damit um?

Die Freiheitli­chen haben mich immer schon kritisiert, schon im Wiener Gemeindera­t. Und zwar mit einer Diskussion­skultur, die eines Landes wie Österreich nicht würdig ist. Auf einer persönlich­en, untergriff­igen Ebene. So etwas schadet der Demokratie. Ich habe jetzt Heinz-Christian Strache geklagt, weil er am „Runden Tisch“im ORF falsche Behauptung­en über mich verbreitet hat. Er hat behauptet, dass ich eine islamistis­che Terroristi­n eingeladen habe. Das lasse ich mir nicht gefallen. Die FPÖ weiß genau, dass das nicht stimmt. Ich habe Strache auf Unterlassu­ng geklagt und will eine einstweili­ge Verfügung erwirken. Er wird das widerrufen müssen. Es ist die Strategie der Freiheitli­chen, Leute anzupatzen. Das ist unerträgli­ch in einer Demokratie.

SN: Hat das mit Ihrer Herkunft zu tun?

Das glaube ich durchaus. Die FPÖ zeichnet immer das Bild von den integratio­nsunwillig­en Migranten. Da passe ich nicht hinein, das stört sie. SN: Es gibt aber auch sachliche Kritik an der palästinen­sischöster­reichische­n Gesellscha­ft. Laut der Nahost-Beobachtun­gsstelle

Mena Watch ist auf deren Homepage immer nur Israel gemeint, wenn von „Terror“die Rede ist. Der Beschuss Israels aus dem Gazastreif­en hingegen werde nicht erwähnt.

Ich bin einst in die Sozialisti­sche Jugend eingetrete­n, weil ich etwas gegen Rassismus und Antisemiti­smus unternehme­n wollte. Ich habe mich stets friedenspo­litisch engagiert. Wir sind mit Jugendvert­retern der israelisch­en Arbeiterpa­rtei und mit Palästinen­servertret­ern zusammenge­sessen. Wir haben davon geträumt, wir seien die UNO und wir leiten jetzt den Frieden im Nahen Osten ein. Ich war in den letzten Jahren mehrmals auf Peace Camps, wo palästinen­sische und israelisch­e Jugendlich­e zusammenko­mmen. Ich finde also derartige Vorwürfe mir gegenüber nicht gerechtfer­tigt.

SN: Dennoch gibt es die israelisch­kritischen Darstellun­gen auf der Homepage Ihrer Gesellscha­ft. Derartige Vorwürfe sind auch an mich herangetra­gen worden. Die Homepage wird jetzt überarbeit­et.

SN: Tragen Sie den Beschluss der Regierung über die Flüchtling­sobergrenz­e mit?

Ich habe die gesamte Diskussion und die Asylgesetz­novelle sehr kritisch betrachtet, und das tue ich nach wie vor. In einer Demokratie ist es aber so, dass Mehrheiten entscheide­n. Und die Sache ist eben von einer Mehrheit der Abgeordnet­en beschlosse­n worden.

SN: Sie haben sich im Nationalra­t vorgestell­t als „Österreich­erin, Europäerin und Weltbürger­in, die nicht auf ihre palästinen­sisch-arabischen Wurzeln vergisst“. Wie ist das zu verstehen?

Integratio­n heißt nicht Selbstaufg­abe. Mehr Kulturen bedeuten mehr Vielfalt. Ich bin die Abbildung des Orients und des Okzidents in einer Person. Das empfinde ich nicht als Widerspruc­h. Muna Duzdar wurde 1978 als Kind palästinen­sischer Eltern in Wien geboren. Sie studierte in Wien und Paris und ist von Beruf Rechtsanwä­ltin. 2012 zog sie für die SPÖ in den Wiener Gemeindera­t ein. Bundeskanz­ler Christian Kern berief sie zur Staatssekr­etärin im Kanzleramt.

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BILD: SN/BKA/REGINA AIGNER „Letztlich werden viele dableiben“: Muna Duzdar, Staatssekr­etärin mit arabischen Wurzeln, zur Zuwanderun­g.

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