Integration fällt nicht vom Himmel
Warum sie Heinz-Christian Strache auf Unterlassung klagt. Warum Sebastian Kurz ihr Verhandlungspartner ist. Die neue Staatssekretärin Muna Duzdar im SN-Gespräch.
SN: Ihrer amtlichen Homepage ist zu entnehmen, dass Sie auch für „Diversität“zuständig sind. Soll das ein Kontrapunkt zu Sebastian Kurz sein, der ja für „Integration“verantwortlich ist?
Ich würde nicht von „Kontrapunkt“sprechen, sondern von „Ergänzung“. Ich selbst bin ja ein wenig ein Symbol für Diversität. Das spiegelt sich auch in meinem Ressort, das vom öffentlichen Dienst über Kultus und Volksgruppen bis hin zur Digitalisierung reicht. Österreich ist eine vielfältige Gesellschaft, es wird die Gesellschaft auch komplexer, und es geht darum, alle mitzunehmen. Und auch zu versuchen, die Diversität in allen gesellschaftlichen Bereichen zu spiegeln. Auch im öffentlichen Dienst.
SN: Eine Ihrer ersten öffentlichen Stellungnahmen zur Integration lautete: „Sanktionen (gegen Integrationsunwillige, Anm.) allein sind zu wenig.“Das wurde als Kritik am Integrationsminister aufgefasst.
Ich hatte mit dem Minister bereits ein längeres Gespräch. Wir sind in einer gemeinsamen Regierung. Es geht um erfolgreiche Integration, und ich bin zu diesem Thema seine Verhandlungspartnerin. Mir ist sehr wichtig, dass die Menschen, die hier leben, frühzeitig eingebunden werden. SN: Das sagt auch der Integrationsminister. Ich sehe da keinen Konflikt und auch keinen Widerspruch. Derzeit müssen Flüchtlinge ein bis zwei Jahre warten, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist. Wenn Integration erst dann beginnt, ist es zu spät. Denn die ersten beiden Jahre sind entscheidend. Es geht vor allem darum, die Burschen und jungen Männer von der Straße wegzubringen. Ein 17-Jähriger hat nichts auf der Straße zu tun, der braucht eine Beschäftigung, eine Ausbildung und eine gescheite Tagesstruktur. In diese Richtung müssen wir noch viel tun. Integration fällt nicht vom Himmel.
SN: Gefährdet die Zuwanderung aus fremden Kulturkreisen unsere eigene Kultur? Erst am Donnerstag ist in Graz ein selbst ernannter Scharia-Sittenwächter verurteilt worden. Macht Ihnen derlei Sorgen?
Jede Form der Radikalisierung macht mir Sorgen. Ja, Zuwanderung verändert die Gesellschaft. Man muss sich diesem Thema stellen. Was bedeutet das, was heißt das für unsere Umgebung, unser Umfeld? Es geht darum, diese Veränderung positiv zu kanalisieren. Letztlich werden viele dableiben. Daher müssen wir die Gemeinsamkeiten stärken. Und gleichzeitig müssen wir betonen: Ja, es gibt Leute, die sich nicht an Gesetze halten. Und es gibt Leute, die Schwierigkeiten machen. Aber es gibt eine friedliche Mehrheit, die das will, was alle wollen: ein gutes Leben, und dass es den Kindern gut geht. Die Trennlinie verläuft nicht zwischen Ausländern und Inländern, sondern zwischen der friedlichen Mehrheit und der kleinen Minderheit, die Probleme bereitet. Für die haben wir eine funktionierende Rechtsordnung.
SN: Sie waren zu Amtsantritt Kritik der FPÖ ausgesetzt, weil Sie Präsidentin der palästinensisch-österreichischen Gesellschaft sind. Wie gehen Sie damit um?
Die Freiheitlichen haben mich immer schon kritisiert, schon im Wiener Gemeinderat. Und zwar mit einer Diskussionskultur, die eines Landes wie Österreich nicht würdig ist. Auf einer persönlichen, untergriffigen Ebene. So etwas schadet der Demokratie. Ich habe jetzt Heinz-Christian Strache geklagt, weil er am „Runden Tisch“im ORF falsche Behauptungen über mich verbreitet hat. Er hat behauptet, dass ich eine islamistische Terroristin eingeladen habe. Das lasse ich mir nicht gefallen. Die FPÖ weiß genau, dass das nicht stimmt. Ich habe Strache auf Unterlassung geklagt und will eine einstweilige Verfügung erwirken. Er wird das widerrufen müssen. Es ist die Strategie der Freiheitlichen, Leute anzupatzen. Das ist unerträglich in einer Demokratie.
SN: Hat das mit Ihrer Herkunft zu tun?
Das glaube ich durchaus. Die FPÖ zeichnet immer das Bild von den integrationsunwilligen Migranten. Da passe ich nicht hinein, das stört sie. SN: Es gibt aber auch sachliche Kritik an der palästinensischösterreichischen Gesellschaft. Laut der Nahost-Beobachtungsstelle
Mena Watch ist auf deren Homepage immer nur Israel gemeint, wenn von „Terror“die Rede ist. Der Beschuss Israels aus dem Gazastreifen hingegen werde nicht erwähnt.
Ich bin einst in die Sozialistische Jugend eingetreten, weil ich etwas gegen Rassismus und Antisemitismus unternehmen wollte. Ich habe mich stets friedenspolitisch engagiert. Wir sind mit Jugendvertretern der israelischen Arbeiterpartei und mit Palästinenservertretern zusammengesessen. Wir haben davon geträumt, wir seien die UNO und wir leiten jetzt den Frieden im Nahen Osten ein. Ich war in den letzten Jahren mehrmals auf Peace Camps, wo palästinensische und israelische Jugendliche zusammenkommen. Ich finde also derartige Vorwürfe mir gegenüber nicht gerechtfertigt.
SN: Dennoch gibt es die israelischkritischen Darstellungen auf der Homepage Ihrer Gesellschaft. Derartige Vorwürfe sind auch an mich herangetragen worden. Die Homepage wird jetzt überarbeitet.
SN: Tragen Sie den Beschluss der Regierung über die Flüchtlingsobergrenze mit?
Ich habe die gesamte Diskussion und die Asylgesetznovelle sehr kritisch betrachtet, und das tue ich nach wie vor. In einer Demokratie ist es aber so, dass Mehrheiten entscheiden. Und die Sache ist eben von einer Mehrheit der Abgeordneten beschlossen worden.
SN: Sie haben sich im Nationalrat vorgestellt als „Österreicherin, Europäerin und Weltbürgerin, die nicht auf ihre palästinensisch-arabischen Wurzeln vergisst“. Wie ist das zu verstehen?
Integration heißt nicht Selbstaufgabe. Mehr Kulturen bedeuten mehr Vielfalt. Ich bin die Abbildung des Orients und des Okzidents in einer Person. Das empfinde ich nicht als Widerspruch. Muna Duzdar wurde 1978 als Kind palästinensischer Eltern in Wien geboren. Sie studierte in Wien und Paris und ist von Beruf Rechtsanwältin. 2012 zog sie für die SPÖ in den Wiener Gemeinderat ein. Bundeskanzler Christian Kern berief sie zur Staatssekretärin im Kanzleramt.