Die Mutter des Lungaus wird verjüngt
Die größte Salzburger Pfarrkirche auf dem Land ist die derzeit größte Kirchenbaustelle.
MARIAPFARR. Die Mutterpfarrkirche des Lungaus zeigt sich in bisher ungekannter Weite und Lichtheit. Wer in Mariapfarr die Kirche betritt, erkennt kaum noch den einst ergrauten, von hinten her geduckten Raum – so hell, so leuchtend! Ist das dieselbe Kirche wie voriges Jahr? Ja, vorn an der Chorwand breitet die Gottesmutter wie seit über 500 Jahren ihren Schutzmantel aus. Die liebliche Frau ist hier so übermächtig, dass sie sogar den Schmerzensmann auf ihrem Arm trägt – ein Bild der im Erkennen eines erlösenden Phänomens aufgelösten Zeit, wie es in dieser Kirche mehrere gibt.
Freilich, die Wände sind frisch geweißelt, erfolgt hier doch die substanziellste Sanierung seit mehr als einem halben Jahrhundert; dafür haben Diözese, Gemeinde, Land, Bundesdenkmalamt und viele Spender rund 1,8 Mill. Euro aufgebracht – nicht eingerechnet die Stunden freiwilliger Helfer. Noch betörender als das Weiß der Wände zwischen den steinsichtigen Bögen aus Lungauer Rauwacke ist der weiße Boden. Ihn nach Schotter oder Asphalt zu betreten, vermittelt momentan eine erhebende Leichtigkeit – fast wie auf Wasser. Doch sogleich antwortet wieder die eigene Körpermasse auf die eigentliche Substanz unter den Sohlen: Stein.
Was für ein Stein! Der Schaidberger Steinbruch südlich von Obertauern, dessen Brocken schon die Römer als Meilensteine gesetzt haben, ist längst ausgebeutet. Dennoch habe Steinrestaurator Erich Reichl aus Hallein noch einzelne Steine pflücken können, berichtet Landeskonservatorin Eva Hody. Um im Kirchenboden „hässliche Ausflickungen in Zement“zu ersetzen, sei allerdings das Material knapp gewesen. Also habe der Restaurator die Brocken in Zement eingegossen, um in einer Schneidemaschine möglichst dünne und viele Platten zu gewinnen, die auf der Rückseite armiert worden seien, um Bruch zu verhindern. Das Ergebnis umschreibt Eva Hody als „fantastisch schönen historischen Fußboden“. Sie lobt nicht nur deshalb Pfarrer Bernhard Rohrmoser, der beim Renovieren der inneren Raumschale der Qualität jedes Primat einräumt.
Und einen Schaidberger Findling hat der Steinmetz für einen Volksaltar so bearbeitet, dass die Schauseite den gewachsenen Fels zeigt. Erzbischof Franz Lackner wird ihn am 15. August feierlich weihen.
Eine zweite Überraschung wird der Hochaltar. Zum einen entfalten die gemalten spätgotischen Tafeln nach dem Entfernung von Blasen, Fehlstellen und Schmutz eine betörende Farbkraft. Mit rätselhafter Geste begrüßt da Joachim seine Anna: Tiefernst blickend berührt er mit dem Daumen ihr Kinn. Ein König bringt sogar ein türkisblaues Füllhorn dem Jesuskind. Und dieses Büblein hier soll ja den Mariapfarrer Kaplan Joseph Mohr zum „Knaben in lockigem Haar“inspiriert haben. Christian Haller, für Denkmalschutz zuständiger Salzburger Landesbeamter, reiht den Schöpfer dieser Gemälde in die Donauschule ein, er tippt gar auf Erhard Altdorfer, Bruder Albrecht Altdorfers.
Zum anderen bekommt der Altar seine neogotische Fassung zurück. Restaurator Heinz Michael hat Teile des Gesprenges des 19. Jahrhunderts, die bei der Restaurierung 1946/47 – wie er sagt – „heruntergerissen“worden seien, auf Dachböden oder in Winkeln aufgestöbert. Nun wird der Altar, soweit vorhanden, so rekonstruiert, wie ihn ein Foto von 1895 zeigt. Wie viel Mühe darin steckt, zeigt der Arbeitsaufwand Heinz Michaels und seiner Werkstatt allein für den Schrein des Hochaltars: rund 1000 Stunden.
Mit welch liebevollem Fachwissen der Lungauer Restaurator jedes Detail beobachtet, verrät etwa sein Hinweis auf den Rahmen der Bilder: Die kobaltblauen Rillen sind von besonderem Rot umgeben – Eisenrot wurde auf Holz aufgetragen und mit Krapplack überzogen. Das Eisenrot ist ein dem Rost verwandtes Pigment, gewonnen aus eisenhältigem Gestein – einst in Lungauer Bergwerken abgebaut und jenen frühen Reichtum bedingend, von dem die Mutterkirche zeugt. Zum Unterschied von Schrein und Bildern nach- und vorher stellt Heinz Michael fest: „Wie Tag und Nacht!“
Jene Gnadenmutter im Hochaltar, die bis ins 19. Jahrhundert Wallfahrer angezogen und den einstigen Reichtum der 923 erstmals erwähnten Kirche mitverursacht hat, ist verloren. Ihre nun restaurierte Nachfolgerin ist von etwa 1870.
Die dritte Überraschung bieten die Fresken. Jene auf dem Gewölbe der Georgskapelle leuchten in Farben so zart wie die Töne der mit hauchdünner Posaune oder kleiner Harfe musizierenden Engel. Warum springen die älteren, romanischen Fresken im Chor direkter ins Auge? Landeskonservatorin Eva Hody verrät, dass der damalige Restaurator Bruno Malanik die Ende der 1940er- Jahre entdeckten Originale „ein bisschen trügerisch“überarbeitet habe: Damals hätten Kunsthistoriker über den gotischen Zackenstil diskutiert, und Bruno Malanik habe in den Lungauer Fresken nicht nur die Farben aufgepeppt, sondern auch ein paar Zacken dazugemalt. Auffrischung und Ergänzung sind ihm so gut gelungen, dass die Denkmalschützer dies als Kuriosum der Restauriergeschichte belassen.
Großzügig war das Denkmalamt auch für einen Durchbruch: Da der Haupteingang auf der Südseite nur über Stiegen zu erreichen ist, wurde im Westen für barrierefreien Zugang ein neues Portal gebrochen.
Und: Für das kurzzeitig berüchtigte Mariapfarrer Gitter ist ein neuer Platz gefunden. Monatelang war gestritten worden. „Das war nicht friktionsfrei“, bestätigt Diözesankonservator Roland Kerschbaum. Die einen beharrten auf der Position zwischen Apsis und Sitzbänken, die anderen wollten den Messraum nicht durch das markante Barockkunstwerk gespalten haben. Nachdem das Denkmalamt das Ansuchen der Pfarre um „Versetzung aus liturgischen Gründen“genehmigt hat, ist entschieden: Es wird hinter die letzte Sitzbank montiert. Roland Kerschbaum konzediert: „Es hat Holprigkeiten gegeben, doch in zwei Monaten ist Einweihung.“
Das Gitter sei das einzige bedeutende Inventar, das nicht restauriert, sondern – mangels dafür nötiger 180.000 Euro – nur gereinigt werde, erläutert Heinz Michael. So verbirgt noch das Schwarz des 19. Jahrhunderts das barocke Smalteblau und die goldenen Blattspitzen. Doch Eva Hody vom Bundesdenkmalamt beteuert: „Wir wünschen uns sehr, dass es restauriert wird, und stellen Förderung in Aussicht.“
„Bis 15. August muss alles fertig sein.“