Jagdszenen bei der EM in Marseille haben weitreichende Konsequenzen
Wie in Marseille am Wochenende der Traum von einem friedlichen Fußballfest in die Brüche ging. Die Befürchtungen, dass es nicht die letzten Fan-Attacken bei der EM waren, sind allgegenwärtig. Auch die Folgen.
Die Fan-Gewalt in Marseille und Nizza hat einen Schatten auf den EM-Start geworfen. Besondere Sorge rufen die Ausschreitungen russischer Fans im Stadion beim Spiel gegen England am Samstagabend in Marseille hervor. Hier griffen eindeutig die getroffenen Sicherheitsmaßnahmen nicht. Die UEFA bessert nach. Ob das reicht, wird sich schnell beweisen müssen. Wie konnte es zu der Eskalation der Fan-Gewalt kommen? Mögliche Ausschreitungen von Fans standen für die französische Polizei immer auf der Agenda, wie auch die Terrorabwehr. Den Vorwurf, nicht auf die Gewalt vorbereitet gewesen zu sein, weisen die Gastgeber daher zurück. Auffällig ist das strikte Vorgehen der Sicherheitskräfte mit Einsatz von Tränengas und massivem Schlagstockeinsatz. Eine Politik der Deeskalation hat es offenbar nicht gegeben. Was lief in Marseille schief? Praktisch ungehindert konnten russische Hooligans über eine Absperrung in einen Block mit englischen Fans gelangen. Hier haben die Sicherheitsvorkehrungen der UEFA nicht funktioniert. Private Wachmänner sollten ein Aufeinandertreffen der Fan-Gruppen eigentlich verhindern. Auch konnten russische Fans Feuerwerkskörper ins Stadion schmuggeln. Wie reagiert die UEFA?
Die Krawalle im Stadtzentrum von Marseille ließ die UEFA noch unkommentiert. Nach dem Vorfall im Stadion wurde aber gehandelt. Das Exekutivkomitee traf sich am Sonntag. Die Aufstockung der Stewards zur Separierung der Fans wurde für die nächsten Spiele sofort beschlossen. Auch die Disziplinarkommission kam gleich zusammen und eröffnete ein Verfahren gegen den russischen Verband. Was droht den Teams?
Für das Verhalten der Fans im Stadion droht Russland nun eine Sanktion nach Artikel 16 der UEFAGesetze. Das kann eine Verwarnung sein, eine Geldstrafe, ein Punktab- zug für die EM oder einen anderen Wettbewerb oder sogar der Turnierausschluss. Da Russland bereits 2012 negativ auffiel, dürfte das Urteil nicht zu milde ausfallen – auch als Abschreckung. Die UEFA hat am Sonntag auch klar gestellt, dass bei weiteren Ausschreitungen auch die Engländer von der EM ausgeschlossen werden könnten. Hat das Geschehen Auswirkung auf die WM 2018 in Russland?
Russlands Funktionäre leugnen traditionell jedes Problem mit rassistischen oder gewalttätigen Fans. Noch in Marseille stellte Sportminister Witali Mutko die Frage, was die Ereignisse mit der WM 2018 zu tun hätten. Aus seiner Sicht: nichts. Doch der Weltfußballverband FIFA wird langsam hellhörig. In einem Statement wurde am Sonntag versichert, dass der kommende WMGastgeber die Erfahrungen der EM in sein Sicherheitskonzept aufnehmen werde. Und was ist mit den Engländern? Im Stadion gab es offenbar im Gegensatz zum Stadtzentrum von Marseille keine Vergehen englischer Fans. Deswegen greifen auch die Disziplinarregeln nicht. Aber die UEFA hat eine Hintertür. Paragraf 65 der Statuten erlaubt dem Exekutivkomitee, nach „Recht und Billig- keit“bei unvorhergesehen Fällen Strafen auszusprechen. Der englische Fußballverband FA reagierte Sonntagabend auf die Androhung eines Ausschlusses durch das UEFA-Exekutivkomitee mit „allergrößter Ernsthaftigkeit.“ Was bedeuten die Ausschreitungen für den Turnierverlauf?
Für die EM kann die Hooligangewalt zu einem Partykiller werden. Bekommen die Sicherheitskräfte das Problem nicht in den Griff, drohen schon bald neue Ausschreitungen. An Konfliktpotenzial mangelt es nicht. Am Mittwoch spielt Russland in Lille gegen die Slowakei. England einen Tag später im benachbarten Lens gegen Wales. Deshalb will die britische Regierung weitere Polizisten zur Unterstützung nach Frankreich entsenden. Die französische Regierung plant nun auch ein Alkoholverbot in „sensiblen Zonen“während der EM. Wird der Kampf gegen Terror nun vernachlässigt?
Das ist nicht vorstellbar. Noch gibt es auch keine Informationen über die Strategie der staatlichen Sicherheitskräfte bei den kommenden Partien. Klar ist aber auch, dass die französische Polizei seit Monaten an der Belastungsgrenze arbeiten muss.