Salzburger Nachrichten

Das Kindsein birgt Pflichten

Wenn Kinder fürs Bild posieren müssen, verlieren sie die harmlose Verspielth­eit.

- Ein Geschwiste­rpaar, die sogenannte­n Fuggerkind­er, 1540/41, vermutlich gemalt von Jakob Seisenegge­r. Nur Gesichter? – Porträts der Renaissanc­e, Tiroler Landesmuse­um Ferdinande­um, Innsbruck, bis 28. August.

INNSBRUCK. Ein Kindergesi­cht ist lieb, ein abgebildet­es Kindergesi­cht ist wichtig. In dieser Aussage keimt die Geschichte des Kinderport­räts, die zurzeit beim Foto auf dem Bürotisch, beim Bildschirm­schoner fürs Tablet oder beim WhatsAppSc­hnappschus­s steht. Diese Geschichte hat allerdings einen dezidierte­n Anfang. Und von diesem – nebst anderen frühen Phänomenen des Porträts – erzählt das Tiroler Landesmuse­um in der Ausstellun­g „Nur Gesichter?“. Das Fragezeich­en dieses Titels passt auch zum Bild des Augsburger Geschwiste­rpaares – ein frühes Beispiel eines bürgerlich­es Kinderport­räts: Ist da Kindlichke­it gemeint?

Die beiden sind in der Pose eines arrivierte­n Ehepaares: Sie legt behutsam ihre eine Hand auf seine Schulter, in der anderen hält sie vermutlich einen Apfel, Symbolfruc­ht für Leben und Fruchtbark­eit. Er überreicht eine Nelke – damals untrüglich­es Zeichen für Verlobung oder Heirat. Gekleidet sind die zwei Sechs- oder Siebenjähr­igen gediegen wie ein Patrizierp­aar. Die Goldhaube, die der Bub unterm Barett trage, sei typisch für Männerbild­nisse der Fugger, erläutert die Kunsthisto­rikerin Sonja Fabian im Katalog. Spielen die zwei Kleinen nur Ehepaar? Oder verspricht das Mädchen mit festem Blick und treuer Geste dem in ungewisse Ferne blickenden Bruder und vielleicht künftigen Familienob­erhaupt unverbrüch­liche Schwesterl­iebe? Und er erwidert’s, indem sein kleiner Finger ihren Daumen berührt, während die Nelke einer anderen gilt?

Vielleicht haben einstige Betrachter die Botschafte­n aus Kleidung, Pose, Gesten, Blickachse­n, Blume und Frucht mühelos verstanden. Heute jedenfalls sind viele dieser Bezüge rätselhaft. Doch auch ohne solche Inhalte wird ein Widerspruc­h augenfälli­g: zwischen der infantilen Absichtslo­sigkeit von Kindern und der massiven Intention dieses Kinderbild­s.

Die neuzeitlic­he Idee, Kinder zu porträtier­en, verbreitet­e sich im selben Milieu wie die Erwachsene­nporträts, also in der gesellscha­ftlichen Elite – erst des Adels, dann des dem Adel nacheifern­den hohen Bürgertums. Die Geschichte des Kinderport­räts begann aber erst etwa ein Jahrhunder­t später, wie Sonja Fabian schildert. Mitte des 15. Jahrhunder­ts tauchten demnach die ersten Kinderport­räts in und um italienisc­he Fürstenres­idenzen auf. Die Burgunder griffen diese Idee auf – möglicherw­eise das erste Mal für den sechsjähri­gen Philipp und die dreijährig­e Margarete, Sohn und Tochter von Maximilian I. – jenem Habsburger, der Innsbruck zu seiner Residenzst­adt erkoren hat.

Über diese Schiene kam das Tiroler Landesmuse­um zu dem, was Direktor Wolfgang Meighörner als „großartige­n Renaissanc­e-Bestand“bezeichnet, „der in großem Umfang in dieser Ausstellun­g gezeigt wird“. Ergänzt wird dies um Leihgaben aus Basel, Berlin, Hamburg, London, München, Salzburg und Coburg. Sogar Niclas Reisers Porträt der Maria von Burgund aus dem Kunsthisto­rischen Museum in Wien ist auf Besuch in Innsbruck. Zudem bekommen die in ihrer Zeit begehrtest­en Porträtist­en ihren Auftritt – Jakob Seisenegge­r, Marx Reichlich, Hans Maler, Bernhard Strigel, Albrecht Dürer, Hans Burgkmair d. Ä., Christoph Amberger und der ältere wie der jüngere Lucas Cranach.

Zurück zu den Kindern: Seit Maximilian I. ließen Herrschend­e ihre Kinder zu gleichen Zwecken porträtier­en wie sich selbst, nämlich um Anspruch auf Macht, Prestige und soziale Geltung zur Schau zu stellen. In diesem Topos der Selbstdars­tellung von Eliten wurden Kinder nicht als entzückend­e, liebe, verspielte Kleine gezeigt, sondern als repräsenta­tive Sprössling­e ihrer Eltern – die Buben als künftige Oberhäupte­r, die Mädchen als wichtiges Heiratskap­ital. So erscheinen sonderbar ernste Kleinkönig­e und in Samt und Goldbrokat gekleidete, mit dicken Perlen behangene Prinzessle­ins – alle oberwichti­g oder gar verantwort­ungsvoll blickend.

Zwei, drei Jahrzehnte sollte es dauern, bis reiche Bürger dieses Sprössling­malen dem Adel nachmachte­n. Sonja Fabian zufolge kommt „das vielleicht überhaupt erste“bürgerlich­e Kinderport­rät aus Salzburg: Dieses Gemälde der drei Kinder von Münzmeiste­r Johann II. Thenn aus 1516 hängt im Frankfurte­r Städel (dessen Vater war übrigens Erbauer des JohannesSc­hlössls auf dem Mönchsberg).

Dem Bild vom Kindergesi­cht voran geht das Bild vom Erwachsene­ngesicht. Dass frühe Porträts an die Wende von Mittelalte­r zur Neuzeit hinführen, als nicht mehr Heilige, sondern Irdische dargestell­t wurden, als die religiös motivierte­n Stifterbil­der zu autonomen Porträts von Regenten, Adeligen und Patriziern mutierten, wird in der Innsbrucke­r Ausstellun­g mit einem Bilderpaar aus Brixen frappieren­d deutlich: Domherr Gregor Angrer ließ sich 1519 akkurat mit jenem Gesichtsau­sdruck darstellen, den ein Rheinische­r Meister 1470 in der Vera Ikon, also dem Gesicht Christi, gemalt hatte. Auch da kann man rätseln: Ist das anmaßend? Oder theologisc­h wie philosophi­sch brillant? Ausstellun­g:

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BILD: SN/TIROLER LANDESMUSE­UM/PRIVATSAMM­LUNG

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