Salzburger Nachrichten

Fußballfah­nen in den Mistkübel

Eine Niederlage – und schon ist alles furchtbar?! Der Umgang mit der Nationalma­nnschaft zeigt, wie dem Land die Mitte abhandenko­mmt.

- Bernhard Flieher BERNHARD.FLIEHER@SALZBURG.COM

An einer Kreuzung stecken zwei rotweiß-rote Fahnen in einem Mistkübel. Die Niederlage gegen Ungarn ist eine halbe Stunde alt. Der Frust übernimmt das Kommando schnell und tut es in Form der Übertreibu­ng. Ist das nun besonders „österreich­isch“? Eher nicht. Und doch existiert neuerdings eine massive Lust, das Extreme auszuloten. Das liegt an einer g’schlampert­en Haltung zur Wirklichke­it, einer grausliche­n Lust zur Polarisier­ung und zum Verweigern von Realitäten. Der unbedachte Hype – und nun das reflexarti­ge Jammern – um das Nationalte­am eignet sich ideal zur Analyse dieser Kultur der Ignoranz von Fakten. Was wurde da über „Geheimfavo­ritenrolle“geplappert. Aber wer wurde in der gepriesene­n Qualifikat­ion zur EURO geschlagen? Schweden und Russland – beide traten bei der EURO bisher erbarmungs­würdig auf. Nur hat da offenbar niemand hingeschau­t. Der Glanz des Vergangene­n wurde da schon vom Glitzern der Zukunft abgelöst. Vergessen wird die Gegenwart.

Die Erinnerung ist ein Sonnenstra­hl, vor den sich die Wolke der Gegenwart drängt. Und mit der dauernden Erzählung des Gewesenen erheben sich Erwartungs­haltungen, die allzu übermächti­g werden. Da kann einem in der Frustbeoba­chtung schon der Spruch des legendären Fußballtra­iners Bill Shankly einfallen: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod (...). Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!“Das passiert, weil Fußball als Projektion­sfläche und Fluchtraum dient. Und – bei aller hier eingestand­enen Liebe zu diesem Spiel: Es ist halt auch die weltgrößte Ablenkungs­gaudi.

Die allzu rasch entsorgten Fahnen im Mistkübel – eine überzogene Reaktion – taugen so als Symbol für einen Verlust der Mitte, einen Verlust an Vernunft und Realitätss­inn. Oh, wie schön hätte es werden können?! Ein bisschen wäre der Zustand der Erstarrung, der dieses Land umweht, mit Toren bekämpft worden. Jubelgesän­ge hätten marktschre­ierische, populistis­che Politparol­en übertönt. Leider nein! Aber es werden schon im Ton der Banalität die Durchhalte­parolen gesungen. Von denen ist’s nicht weit zum übermäßige­n Wünschen und zum (Alb-)Träumen. Und jetzt kommt Portugal. Da täte ein bisschen Realitätss­inn gut oder zumindest eine stabile Mitte (auch auf dem Feld).

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