Fußballfahnen in den Mistkübel
Eine Niederlage – und schon ist alles furchtbar?! Der Umgang mit der Nationalmannschaft zeigt, wie dem Land die Mitte abhandenkommt.
An einer Kreuzung stecken zwei rotweiß-rote Fahnen in einem Mistkübel. Die Niederlage gegen Ungarn ist eine halbe Stunde alt. Der Frust übernimmt das Kommando schnell und tut es in Form der Übertreibung. Ist das nun besonders „österreichisch“? Eher nicht. Und doch existiert neuerdings eine massive Lust, das Extreme auszuloten. Das liegt an einer g’schlamperten Haltung zur Wirklichkeit, einer grauslichen Lust zur Polarisierung und zum Verweigern von Realitäten. Der unbedachte Hype – und nun das reflexartige Jammern – um das Nationalteam eignet sich ideal zur Analyse dieser Kultur der Ignoranz von Fakten. Was wurde da über „Geheimfavoritenrolle“geplappert. Aber wer wurde in der gepriesenen Qualifikation zur EURO geschlagen? Schweden und Russland – beide traten bei der EURO bisher erbarmungswürdig auf. Nur hat da offenbar niemand hingeschaut. Der Glanz des Vergangenen wurde da schon vom Glitzern der Zukunft abgelöst. Vergessen wird die Gegenwart.
Die Erinnerung ist ein Sonnenstrahl, vor den sich die Wolke der Gegenwart drängt. Und mit der dauernden Erzählung des Gewesenen erheben sich Erwartungshaltungen, die allzu übermächtig werden. Da kann einem in der Frustbeobachtung schon der Spruch des legendären Fußballtrainers Bill Shankly einfallen: „Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod (...). Ich versichere Ihnen, dass es viel ernster ist!“Das passiert, weil Fußball als Projektionsfläche und Fluchtraum dient. Und – bei aller hier eingestandenen Liebe zu diesem Spiel: Es ist halt auch die weltgrößte Ablenkungsgaudi.
Die allzu rasch entsorgten Fahnen im Mistkübel – eine überzogene Reaktion – taugen so als Symbol für einen Verlust der Mitte, einen Verlust an Vernunft und Realitätssinn. Oh, wie schön hätte es werden können?! Ein bisschen wäre der Zustand der Erstarrung, der dieses Land umweht, mit Toren bekämpft worden. Jubelgesänge hätten marktschreierische, populistische Politparolen übertönt. Leider nein! Aber es werden schon im Ton der Banalität die Durchhalteparolen gesungen. Von denen ist’s nicht weit zum übermäßigen Wünschen und zum (Alb-)Träumen. Und jetzt kommt Portugal. Da täte ein bisschen Realitätssinn gut oder zumindest eine stabile Mitte (auch auf dem Feld).