Versklavt, geflohen, vergessen
Mehr als 6000 jesidische Frauen und Kinder sind im Nordirak vom IS verschleppt worden. Wer fliehen konnte, ist heute mehr denn je auf Hilfe angewiesen.
Lamya Taha ist fürs Leben gezeichnet. Das Gesicht der 18-Jährigen ist übersät mit Narben, ihr rechtes Auge fehlt. Und das sind nur die sichtbaren Verletzungen.
Die junge Frau lebte in einem Dorf der jesidischen Minderheit im Norden des Iraks, als im Sommer 2014 die Schergen des „Islamischen Staates“(IS) einfielen. Sie verübten in der Region das schlimmste Massaker, das die im Lauf der Geschichte immer wieder verfolgte Gruppe der Jesiden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erlebt hat. Tausende Männer wurden ermordet, ihre Frauen und Kinder verschleppt und versklavt. Mehr als 3500 von ihnen sind nach Angaben des in Deutschland lebenden Irakers Mirza Dinnay noch zwei Jahre später in den Händen des IS. 2700 konnten fliehen.
Taha ist eine von denen, die entkommen konnten. Sie begleitete diese Woche die irakische Frauenärztin Nagham Nawzat Hasan nach Brüssel. Hasan wurde im EU-Parlament für ihr zivilgesellschaftliches Engagement mit dem Silver Rose Award ausgezeichnet. Vor der Belagerung durch den IS setzte sie sich in ihrer Heimat für Frauenrechte ein. Heute kümmert sie sich vor allem um Fälle wie jenen von Taha.
Zum einen versorgt Hasan die körperlichen Wunden. Vergewaltigung und Folter hinterlassen Spuren, genau wie die Tatsache, dass viele Frauen in Kellern oder ohne ausreichend Nahrung gehalten wurden. Hasan berichtet von Mangelernährung und Hepatitis.
Mindestens so schwer wie die körperlichen wiegen die psychischen Verletzungen, die die Entführer zu verantworten haben. „Sie haben die Seele und Menschenwürde dieser Frauen zerstört“, sagt Hasan. Heilen könnten diese Wunden im Irak kaum. Es fehle an ausgebildetem Personal, die traumatisierten Frauen könnten in den provisorischen Flüchtlingslagern nicht ausreichend versorgt werden.
Mirza Dinnay hat daher die humanitäre Aktion „Luftbrücke Irak“ ins Leben gerufen – ursprünglich für im Krieg verletzte Kinder. Über das Programm sind nunmehr 1100 Jesidinnen zur Behandlung nach Deutschland gekommen, wo sie später auch bleiben können.
Das würde sich auch Taha wünschen, die etliches zu verarbeiten hat: Ihre Eltern wurden vom IS ermordet, sie selbst verschleppt und versklavt, mehrfach vergewaltigt und gefoltert. Mehrmals wurde sie an andere IS-Männer weiterverkauft, unter anderem nach Mossul und in die syrische IS-Hochburg Rakka. Nach mehreren Fluchtversuchen und einem Selbstmordversuch konnte Taha schließlich entkommen. Sie gelangte an ein Mobiltelefon und nahm Kontakt zu ihren verbliebenen Verwandten auf.
Gemeinsam mit zwei Freundinnen war Taha entkommen – eines der Mädchen war erst neun Jahre alt, so wie viele, die verschleppt wurden. Als sie im Nordirak das Niemandsland am Ende des IS-Gebiets erreichten, trat eines der Mädchen auf eine Mine. Bei der Explosion zog sich Taha ihre schweren Verletzungen im Gesicht zu, ihre Weggefährtinnen starben beide.
Mirza Dinnays Verein holte die traumatisierte Frau schließlich über ein Schengen-Visum zur ärztlichen Versorgung nach Deutschland. Sollten nicht weitere Plätze im Programm „Luftbrücke“geschaffen werden, muss Taha aber im August wieder zurück in den Irak.
Sowohl Hasan als auch Dinnay hoffen nun, dass sich weitere EULänder der Aktion anschließen. „Es gibt Bemühungen mit Italien und Portugal“, berichtete der EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ) am Mittwoch. Er selbst hat erst kürzlich das Krisengebiet im Nordirak besucht. 400.000 Jesiden sind dort vor dem IS geflüchtet.
„Sie haben die Seele und Menschenwürde dieser Frauen zerstört.“Nagham Nawzat Hasan, Ärztin