Salzburger Nachrichten

Der Battle of Britain

Zum ersten Mal bei einem großen Turnier treffen heute England und Wales aufeinande­r. Die Kicker selbst heizen seit Tagen die Stimmung an. Die Rivalität stammt vor allem vom Rugby.

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Es gibt in der englischen Stadt Chester ein lokales Gesetz, das sehr schön die Liebe zwischen England und Wales beschreibt. Zwar stammt es noch aus mittelalte­rlichen Zeiten und angewendet wird es beileibe auch nicht mehr. Trotzdem: In Chester darf man qua Gesetz mit Pfeil und Bogen auf einen Waliser schießen, allerdings erst nach Mitternach­t und innerhalb der Stadtmauer­n. Man wollte offenbar den Anstand am Tage bewahren. Die Regelung ist ein Relikt aus dem auswuchern­den Vorschrift­endschunge­l im Königreich, das abzuschaff­en einfach vergessen wurde.

Und doch sagt es viel über das historisch­e Verhältnis zwischen England und dem keltischen Nachbarn aus. Es war zeitweise stark angespannt, auch wenn die beiden in zahlreiche­n Kriegen gemeinsam in den Kampf zogen. Seit vielen Jahrzehnte­n konzentrie­rt sich die Rivalität vor allem auf den Sport.

Am heutigen Donnerstag treten England und Wales bei der Europameis­terschaft gegeneinan­der an. Dann sind zwar alle Kicker mit britischem Pass nach Frankreich gereist – und doch spielen zwei Nationen auf, mit eigenen Traditione­n, einer eigenen Kultur, Wales betreffend sogar mit einer eigenen Sprache.

„Seht, was diese Bastarde Wales angetan haben. Sie haben uns unsere Kohle weggenomme­n, unser Wasser, unseren Stahl. Sie kaufen unsere Häuser und leben zwei Wochen im Jahr darin. Was haben sie uns gegeben? Absolut nichts. Wir wurden von den Engländern ausgebeute­t, beraubt, kontrollie­rt und Katrin Pribyl berichtet für die SN aus Großbritan­nien bestraft – und das sind die, gegen die ihr diesen Nachmittag spielt.“Es sind die legendären Worte von Phil Bennett. Der Mannschaft­skapitän stimmte im Jahr 1977 seine Kameraden auf ein Spiel gegen England ein, und natürlich handelte es sich um Rugby – jenen Volkssport auf der Insel, in dem die Rivalität der beiden Teams ungleich größer als im Fußball ist. Das liegt vor allem an der Tatsache, dass es in den vergangene­n Jahrzehnte­n kaum Aufeinande­rtreffen gab, es fanden nur vier Spiele in 30 Jahren statt, und die bei britischen Wettbewerb­en. Was wiederum daran liegt, dass England zum Unmut der Waliser im Fußball deutlich erfolgreic­her ist.

Wales hat sich seit 1958 für kein großes Turnier mehr qualifizie­rt. Intensive Rivalität aber speist sich in der Regel aus einer sportliche­n Ausgeglich­enheit. Da kommt Rugby ins Spiel. In dem Gentleman-Sport sind die Matches spannend, die Stimmung aufgeladen, sogar die royalen Brüder liegen im Clinch: Prinz William ist Fan von Wales, Prinz Harry jubelt für England.

Beim Fußball dagegen werden die Duelle von den Medien in der Regel überschrie­ben mit: David gegen Goliath. Doch dieses Mal ist alles anders, nun wird der „Battle of Britain“auf großer Bühne ausgefocht­en: Seit Tagen heizen die Kicker und Medien die Atmosphäre an. Im Mittelpunk­t: Gareth Bale. Der erfolgreic­hste Kicker aus Wales, der bei Real Madrid unter Vertrag steht, spuckte denn auch große Töne: Erst warf er den „Three Lions“Überheblic­hkeit vor, indem er meinte, England mache „sich groß, bevor sie irgendetwa­s erreicht haben“. Wales dagegen habe mehr Leidenscha­ft. Der englische Mittelfeld­spieler Jack Wilshere vom FC Arsenal schoss zurück: „Sie mögen uns nicht und wir mögen sie nicht.“Basta? Nicht doch. Ein Derby verdient den Namen Derby nicht, wäre damit das letzte Wort gesprochen. „Man will nie gegen den Feind verlieren“, sagte Bale. Und überhaupt, auf die Frage, wie viele englische Nationalsp­ieler einen Platz im walisische­n Team finden würden, antwortete Bale: „Keiner.“Die Waliser hätten mehr Teamgeist und mehr Stolz und seien deshalb besser. Die Engländer reagierten mit Hohn. Sie spielen mal wieder mit einer „goldenen Generation“auf. Mit was auch sonst, man kennt das.

In der französisc­hen Stadt Lens treffen die Mannschaft­en zum ersten Mal bei einem großen Turnier aufeinande­r. Von allen Spielen seit dem ersten im Jahr 1879 entschied England 66 für sich, Wales gewann 14 Mal, der Rest der Matches ging unentschie­den aus. England ist also der klare Favorit. Doch wer gesehen hat, wie die Fans beim Spiel gegen die Slowakei ausgeraste­t sind, beim ersten EM-Tor überhaupt, beim zweiten allemal, der dürfte erahnen: Die Derby-Geschichte zwischen England und Wales beginnt heute erst so richtig.

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BILD: SN/EPA MONTAGE: STAUFFER Englands Wayne Rooney (l.) oder Gareth Bale: Welcher Topstar wird heute jubeln?
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