Salzburger Nachrichten

Christo schreitet über Wasser

Monatelang hat der Künstler gewerkt, damit jeder, der mag, über den Iseosee gehen kann.

- SN-hkk, dpa

Der als Verpackung­skünstler berühmte Künstler Christo hat sich als abstrakter Maler, Brückenbau­er und Wasserbezw­inger betätigt. Ab heute, Samstag, darf jeder – bis 3. Juli werden etwa eine halbe Million Besucher erwartet – über jenen dahliengel­ben Weg flanieren, den Christo über den lombardisc­hen Iseosee gelegt hat. Damit verführt er zu dem, was im motorisier­ten Alltag verloren ist: zum ausgedehnt­en Gehen. Drei Kilometer lang und 16 Meter breit ist diese schwimmend­e Matte. Sie verbindet den Küstenort Sulzano mit dem Monte Isola („Inselberg“) und der kleineren Insel San Paolo, die übrigens im Privateige­ntum der Waffenhers­tellerdyna­stie Beretta ist.

„The Floating Piers“heißt das spektakulä­re Projekt, mit dem der 81-Jährige nach vierzig Jahren wieder in Italien aktiv geworden ist. 1974 hatten er und seine Ehefrau Jeanne-Claude – sie ist 2009 gestorben – einen Teil der Aurelianis­chen Mauer in Rom in Stoff verpackt („Wrapped Roman Wall“). Christo ruft die Besucher dazu auf, barfuß über die Stege zu wandeln, um die Bewegungen des Wassers zu spüren. Stöckelsch­uhe sind ebenso verboten wie Fahrräder und Skateboard­s. „Die Stege sollten nicht auf Fotos angeschaut werden, sondern man muss über sie gehen“, zitierte die Nachrichte­nagentur Ansa den Künstler. „Der Stoff ist nicht das Kunstwerk, sondern er ist das Material, aus dem das Kunstwerk gefertigt ist.“Der Stoff ändere je nach Lichteinfa­ll die Farbe: „Er ist wie ein abstraktes Gemälde.“Auch das Wasser sei Teil des Kunstwerks. Die Stege auf dem Iseosee schaukeln nicht wie ein Boot, sondern nehmen Bewegungen der auf, um sie nachzuahme­n.

Die gigantisch­en, zwei Wochen lang Tag und Nacht von überall gratis zugänglich­en Stege sind aus 200.000 schwimmend­en Kunststoff­würfeln gebaut und mit gelborange schimmernd­em Polyamidge­webe überzogen. Die 70.000 Quadratmet­er Stoff hat jene Firma bei Münster hergestell­t, von der das Gewebe stammte, mit dem Christo und Jeanne-Claude 1995 den Berliner Reichstag verhüllten.

Hat dieses Gehen über den Iseosee etwas mit der entspreche­nden Bibelstell­e zu tun? Derzufolge ist Jesus über Wasser geschritte­n, um den in Seenot geratenen Jüngern Mut zuzusprech­en; dann ermunterte er Petrus, aufs Wasser zu gehen. Als den die Angst packte und er ins Wasser sank, warf Jesus ihm Kleingläub­igkeit vor und rettete ihn.

Darauf erwiderte Christo laut einem Bericht der Galerie Till Breckner: Wellen „Ich bin nicht religiös. Aber meine Werke sind frei für Interpreta­tionen. Wenn religiöse Konnotatio­nen kommen, ist das in Ordnung.“Kunst umfasse alle Dimensione­n des Menschlich­en: „Kunst existiert nur für Menschen. Tiere können keine Kunst verstehen. Und Menschen stellen sich in Beziehung zu Kunst.“

Die Installati­on auf dem 65,3 Quadratkil­ometer großen See wird auch von Bergstraße­n auf den Bergamaske­r Alpen und der Adamellogr­uppe zu sehen sein.

Monatelang hat der aus Bulgarien stammende Künstler, mit vollem Namen: Christo Vladimirov Javacheff, das rund 15 Millionen Euro teure Projekt vorbereite­t. Finanziert wird das kurzlebige Original durch den Verkauf von Skizzen, Collagen, Filmen und Fotos. Nach dem 3. Juli soll ein Großteil des Materials recycelt werden.

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BILD: SN/APA/AFP/FILIPPO MONTEFORTE Christo auf seiner gigantisch­en Installati­on der drei Kilometer langen schwimmend­en Stege im Iseosee in Norditalie­n.

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