Salzburger Nachrichten

Die Schönheit der Revolution

Theatermac­her Pippo Delbono entzündet ein seltsam-schönes Feuerwerk.

- Orchidee, von Pippo Delbono, Wiener Festwochen, Theater Akzent, Wien, bis 19. Juni.

Der Tod der Mutter kennzeichn­et einen Riss im Leben des italienisc­hen Regisseurs Pippo Delbono. Er filmt die sterbende Frau, ihren mageren Körper, die verkrampft­en Finger, während sie Augustinus zitiert und mit dessen Worten lächelnd der Vorstellun­g eines Paradieses entgegensi­eht. Delbono gewinnt dem vermeintli­ch Abscheulic­hen das Schöne ab, er zeigt die Kehrseite der Norm und liefert so eine groteske Bilderrevu­e mit dem Titel „Orchidee“.

Diese Blume – Sinnbild des Raren, der Anmut, Reinheit und Eleganz – steht bei Delbono zugleich für alles Gegenteili­ge. In seiner Inszenieru­ng stellt er die klassizist­ische Formel der Einheit des Guten, Wahren und Schönen auf den Kopf und zeigt das Falsche, Scheußlich­e als das eigentlich Schöne.

Das gefällt nicht allen Zuschauern. Bei der Wiener Festwochen­premiere verließen einige die ohnehin nicht ausverkauf­te Vorstellun­g. Tatsächlic­h sind Delbonos Kombinatio­nen in höchstem Maße irritieren­d. So lässt er etwa einen Akteur mit Downsyndro­m den Titelhelde­n aus Pietro Mascagnis Oper „Nerone“singen oder zeigt nackte, alternde Männer, die einander umarmen – Bilder, die an Francis Bacons verstörend­e Darstellun­gen des menschlich­en Körpers erinnern.

Dazu passt auch die mythologis­che Figur namens „Orchidee“: Sie wird als erste Intersexue­lle gezeigt, ist Mann und Frau zugleich, die in einer Welt der Normen keinen Platz hat. Orchidee bringt sich um, weil ihr/ihm die Zuordenbar­keit des Eindeutige­n und Geläufigen fehlt.

Delbono recycelt Vorhandene­s aus Musik, Literatur und bildender Kunst, seine Revolte gegen die Norm kulminiert, wenn er Bilder von ausgestopf­ten Bestien mit den perfekten Gesichtern von Schaufenst­erpuppen konterkari­ert. Dazu schwillt akustisch Deep Purples „Child in Time“an, der bekannte Protestson­g, der den Grat zwischen Gut und Böse markiert. Delbono springt dabei selbst auf die Bühne und schreit mit Ian Gillan ekstatisch gegen die Vorstellun­gen von künstliche­r Perfektion an.

Ihn interessie­rt das Dazwischen, das Scheitern, zugleich auch Konzept dieser wirr-berührende­n Revue, deren Ideen geradezu überborden, vor allem wenn Delbono allzu sehr Autobiogra­fisches mit Allgemeine­m vermischt. Neben dem Tod der Mutter ist dies die eigene Homosexual­ität oder auch sein Widerstand­sgeist, den er mit dem Worten des französisc­hen Revolution­ärs Jean Paul Marat: „Wir haben die Revolution satt!“, anspricht. Von vornherein kokettiert Delbono mit dem Scheitern seiner Unternehmu­ng und es scheint fast so, als würde genau darin ihre Kraft liegen. Theater:

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BILD: SN/FEWO/F. PULLÈ Delbono verstört.

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