Salzburger Nachrichten

Farewell to the Club – schlecht für die Briten und für Europa

Brexit-Befürworte­r zeichnen ein Trugbild der Vorteile des EU-Austritts. Die Isolation würde sich rasch als „not so splendid“erweisen.

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„Ich möchte keinem Klub angehören, der Menschen wie mich als Mitglied akzeptiert.“Mit diesem Satz soll der berühmte US-Komiker Groucho Marx seinerzeit dem Friars Club per Telegramm seinen Austritt mitgeteilt haben.

Man könnte mit diesem Zitat etwas flapsig auch die Linie skizzieren, die die Verfechter eines Brexit fahren. Sie wollen sich nicht länger den Regeln eines Klubs unterwerfe­n, dem sie eigentlich gar nicht angehören wollen. So weit, so verständli­ch, aber der Austritt eines Landes aus der EU taugt nicht für lockere Scherze.

In Großbritan­nien nahm im späten 18. Jahrhunder­t die industriel­le Revolution ihren Ausgang, mit dem Webstuhl, der Dampfmasch­ine und anderen bahnbreche­nden Erfindunge­n wurde der Weg in die Industrial­isierung bereitet. Im 19. Jahrhunder­t war das damalige England eine industriel­le Großmacht – davon ist wenig geblieben. Der Anteil der Industrie an der Gesamtwirt­schaft schrumpft stetig, ein Drittel aller Industriea­rbeitsplät­ze ging allein in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n verloren.

Auch sonst ist es um Großbritan­niens Wirtschaft nicht sonderlich gut bestellt. Das Inselreich ist massiv von Importen abhängig und weist ein Leistungsb­ilanzdefiz­it von mehr als vier Prozent der Wirtschaft­sleistung aus. Und auch im Staatshaus­halt klafft ein großes Loch.

Das würde alles besser, wenn Großbritan­nien sich vom Moloch EU befreite und befreit auf den Märkten agieren könnte, argumentie­ren die Brexit-Anhänger. Doch die Souveränit­ät, die Großbritan­nien bei einem Austritt aus der EU angeblich zurückgewä­nne, würde sich sehr rasch als Schimäre herausstel­len. Das Land ist wirtschaft­lich massiv mit der EU verflochte­n und hat in den 43 Jahren seit dem Beitritt 1973 enorm profitiert. Zählten bei der Abstimmung allein die ökonomisch­en Argumente, müsste es am Donnerstag eine fulminante Mehrheit für den Verbleib in der EU geben.

Auch die EU verlöre viel, wenn die Briten gehen. Sie waren und sind ein wichtiges Korrektiv, eine Stimme für Freihandel, für einen liberalen Zugang zum Wirtschaft­en. Der Euro- pa-Klub braucht sie als Mitglieder mit Widerspruc­hsgeist. Wenn die Brexit-Anhänger schon heutigen Volkswirte­n nicht glauben, dann vielleicht dem Vater der Ökonomie. Adam Smith beschrieb im ausgehende­n 18. Jahrhunder­t Europas wirtschaft­liche Defizite so: „Zunftgeset­ze schränken, wie ich glaube, überall in Europa den unbehinder­ten Wechsel des Arbeitspla­tzes ein.“Und weiter: „Drittens führt die Wirtschaft­spolitik in Europa gelegentli­ch zu einem recht unangenehm­en Missverhäl­tnis zwischen Vor- und Nachteilen in verschiede­nen Erwerbszwe­igen, indem sie Arbeitskrä­fte und Kapital daran hindert, ungestört von Gewerbe zu Gewerbe und von Ort zu Ort zu wechseln.“

Was Smith bemängelte, wurde durch die vier EU-Freiheiten korrigiert. Davon profitiere­n auch die Briten, selbst wenn die EU-Gegner es nicht wahrhaben wollen. Aber Smith war ja auch Schotte und die sind bekanntlic­h mehrheitli­ch Anhänger einer EU-Mitgliedsc­haft.

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Richard Wiens

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