Russland sprintet an Rio vorbei
Der Internationale Leichtathletikverband sperrt die russischen Leichtathleten für die Olympischen Sommerspiele in Brasilien. Moskaus Reaktion schwankt zwischen Ärger und Hoffnung.
Die ersten russischen Reaktionen fielen sehr knapp aus. „Russland sprintet an den Olympischen Spielen in Rio vorbei“, titelte die Internetzeitung gazeta.ru. Die Entscheidung sei zu erwarten gewesen, erklärte Sportminister Witali Mutko. „Wir werden reagieren.“
Am Freitag entschied der Internationale Leichtathletikverband (englisch kurz IAAF) in Wien, die Sperre der russischen Leichtathletikmannschaft vor den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro nicht aufzuheben. Die russischen Sportler waren im vergangenen November aufgrund eines Berichts der Welt-Anti-DopingAgentur WADA über systematisches und umfassendes Doping von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen worden.
Russland erwartete die Entscheidung seit Tagen mit gespannter Unruhe. Präsident Wladimir Putin erklärte noch Stunden vor der Entscheidung des IAAF, man dürfe die Sportler nicht kollektiv für die Regelverstöße verantwortlich machen: „Der russische Staat wird Doping immer bekämpfen.“
Für zusätzliche Nervosität sorgte ein am Mittwoch veröffentlichter Bericht der WADA. Dessen Einzelheiten waren zwar schon seit Wochen bekannt. Aber die Aussagen der britischen Drogenfahnder, die nach der Suspendierung der russischen Anti-Doping-Agentur in Russland tätig waren, bestätigten frühere Vorwürfe der WADA, die russischen Leichtathleten dopten systematisch und mit Unterstützung des Staates. Laut diesem Bericht scheiterten mehr als 700 Dopingkontrollen, weil die betroffenen Athleten verschwanden oder sich in Militärgarnisonen aufhielten, zu denen man den Briten keinen Zugang gewährte. WADA-Generaldirektor David Howman erklärte die Dopingbekämpfung der Russen für „nicht ausreichend“.
Er sei von Howmans Worten „erschüttert“, hielt Sportminister Witali Mutko noch am Donnerstag dagegen. Sechs Monate hätten die Briten die russische Leichtathletik kontrolliert, aber nur zwei Fälle echten Dopings entdeckt. „Es gab etwa 100 Forderungen an unsere Leichtathletik, die alle konsequent erfüllt worden sind.“Mutko hatte mit einem Brief an den IAAF für eine Zulassung seiner Leichtathleten in Rio geworben. Auch Jelena Issinbajewa, die Doppelolympiasiegerin im Stabhochsprung, verlangte in einem offenen Brief ein Startrecht für alle sauberen russischen Sportler: „Der Schöpfer der olympischen Bewegung – Pierre de Coubertin – sagte, die Olympischen Spiele dienten dazu, die Persönlichkeit der Sportler zu entwickeln.“Sie und andere ehrliche Sportler hätten eine wichtige Rolle als Vorbildfiguren für die Stefan Scholl berichtet für die SN aus Moskau Jugend. Auch russische Kinder benötigten Helden.
Noch gibt es in Russland die Hoffnung, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) wenn nicht der kompletten Mannschaft, so doch zumindest den unverdächtigen russischen Leichtathleten eine Starterlaubnis erteilen werde. „Das IOC besitzt das Recht, sie bei seiner Sitzung am 21. Juni doch zu Olympia zuzulassen“, schreibt die Nachrichtenagentur Tass. Ex-Sprintweltmeisterin Olga Bogoslowskaja erklärte gegenüber Radio Business FM, die sauberen russischen Athleten könnten ohne Zweifel ihren Olympiastart vor Gericht erstreiten.
Unklar ist, wie Russland reagieren wird, wenn das IOC die Sperre bestätigt. Der Publizist Witali Tretjakow schlug schon vor Wochen vor, Russland solle die Olympischen Spiele ganz boykottieren. Der kremlnahe Politologe Alexei Muchin äußerte sich im SN-Gespräch gelassener: „Wir werden fordern, dass künftig auch andere Länder so streng kontrolliert werden wie Russland. Wir werden mehr Transparenz bei der Auswertung der Proben verlangen.“Denn alle Dopingproben, die zur Disqualifizierung der Russen geführt hätten, seien in US-Labors untersucht worden.
Auch andere Stimmen in Russland äußern vermehrt Unmut über das internationale Anti-DopingSystem. Die WADA selbst habe jahrelang alle Dopingprobleme in Russland ignoriert, sie solle deshalb selbst disqualifiziert werden, schrieb die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“. Der organisierte und umfassende Dopingbetrieb, der Russland vorgeworfen werde, existiere in allen Ländern. „Die Frage ist nur, wer erwischt wird.“