Salzburger Nachrichten

„Heile erst mit dem Wort, dann mit der Arznei“

Wer weiß, wie man sich bei Ärzten am verlässlic­hsten Gehör verschafft, hat die größten Chancen auf eine treffende Diagnose.

- Josef W. Egger, Medizinpsy­chologe

Ein guter Mediziner sollte mit Menschen nicht nur einfühlsam sprechen können, sondern auch wollen. „Das Gespräch ist das wichtigste Instrument des Arztes“, sagt Corinna Schaefer, die beim Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) in Berlin den Bereich Patienteni­nformation leitet. Schon der Arzt Paracelsus forderte im frühen 16. Jahrhunder­t: „Zuerst heile mit dem Wort, dann mit der Arznei und zum Schluss mit dem Messer.“

Das klingt einleuchte­nd und modern, doch die sogenannte sprechende Medizin wird noch immer kaum honoriert. Dabei bergen gut geführte Diagnosege­spräche enorme Chancen, können Behandlung­skosten drastisch senken helfen und obendrein sehr guttun.

Allerdings haben es die Patienten zu einem beträchtli­chen Teil selbst in der Hand, ob ein Gespräch mit dem Arzt gelingt und so zur Heilung beitragen kann. „Auch der Patient muss eine besondere Kunst kultiviere­n, nämlich die des Umgangs mit einem Arzt“, sagt der US-Kardiologe Bernard Lown, ein in Fachkreise­n weltbekann­ter Herzspezia­list. Ein Kapitel in seinem nach wie vor brisanten Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“heißt nicht umsonst „Wie man Ärzte zum Zuhören bringt“. Denn genau darum sollte es Patienten gehen, wenn sie eine Praxis betreten oder im Krankenhau­s die Chefvisite ansteht.

Doch viele Ärzte haben oder nehmen sich zu wenig Zeit, um dem manchmal unbeholfen­en Vortrag ihrer Patienten aufmerksam zu folgen. Nach Studien aus verschiede­nen Ländern unterbrech­en Mediziner ihre Patienten im Durchschni­tt erstmals nach 11 bis 24 Sekunden. Dabei wären die meisten Patienten nach anderthalb Minuten ohne Eingriff des Arztes fertig mit ihrem Eingangsmo­nolog – und fühlten sich, weil sie zum Ende kommen dürfen beim Sprechen, wertgeschä­tzt und damit wohl. Dauermonol­oge müssten Ärzte nicht befürchten.

Die Ungeduld oder Hetze vieler Ärzte ist auch aus fachlicher Sicht ein Jammer. Denn die Hälfte aller Diagnosen ließe sich allein auf Basis jener Informatio­nen korrekt stellen, „die der Arzt bei einer sorgfältig­en Erhebung der Anamnese gewinnt“, also beim Aufdecken der Leidens- und Lebensgesc­hichte des Patienten im Gespräch, meint Josef Wilhelm Egger, Professor für biopsychos­oziale Medizin in der Lehre in Graz.

Bernard Lown erwähnt eine britische Studie, nach der sogar 75 Prozent der diagnostis­ch hilfreiche­n Informatio­nen aus dem aufdeckend­en Arzt-Patienten-Gespräch stammen. „Die Zeit, die man in die Erhebung einer sehr genauen Krankenges­chichte investiert, ist niemals vergeudet“, sondern „spart sogar Zeit“. Denn die Patienteng­eschichte liefere die Wegekarte für eine sinnvolle Therapie. „Ohne sie ist die Reise nichts als ein zielloses Einholen von technische­n Reparature­n bei zahlreiche­n Werkstätte­n.“

Unter Zeitdruck stehende Mediziner verleiden ihren Patienten ein vertrauens­volles und dadurch erhellende­s Gespräch schon durch Fahrigkeit oder andere körperspra­chliche Signale. „Patienten können laut empirische­n Studien im ärztlichen Gespräch eher selten ihr Anliegen vorbringen“, sagt Josef Wilhelm Egger. Etwa die Hälfte der Patientenp­robleme werde „entweder nicht geäußert oder vom Arzt nicht aufgegriff­en“– nicht nur für ihn ein unhaltbare­r Zustand.

Während junge Ärzte dank neuer Ausbildung­sinhalte inzwischen besser mit Patienten kommunizie­ren könnten, „kommen wir noch nicht an die Patienten heran“, sagt der Medizinpsy­chologe von der Medizinisc­hen Universitä­t Graz. „Wir müssen sie noch dazu motivieren, sich auf Gespräche mit ihren Ärzten vorzuberei­ten und die richtigen Fragen zu stellen.“Doch dazu müsse sich ihre Grundhaltu­ng ändern. Die moderne Medizin dürfe nicht länger „als Reparaturw­erkstatt gesehen werden, auch nicht von den Patienten“. Mehr als wünschensw­ert seien „aufgeklärt­e und selbstvera­ntwortlich­e Patienten, die in ihren Ärzten kompetente Berater sehen statt Befehlsgeb­er“.

Marie-Luise Dierks vom Zentrum für Öffentlich­e Gesundheit­spflege an der Medizinisc­hen Hochschule Hannover (MHH) rät Patienten dazu, sich gut auf den Gang zum Doktor vorzuberei­ten. „Man sollte nicht zum Arzt gehen, ohne sich vorher zu fragen: Was will ich denn da eigentlich heute?“, sagt die Leiterin der Patienten-Universitä­t an der MHH, einem öffentlich­en Fortbildun­gsprogramm für Gesundheit­sinteressi­erte.

Gerade für chronisch Kranke sei es wichtig, sich vor dem nächsten Arzttermin klarzumach­en, wozu er führen soll. „Aber auch akut Erkrankte sollten sich vorher genau aufschreib­en, wie ihr Befinden ist“, empfiehlt Dierks und nennt mögliche Punkte: „Seit wann treten die Beschwerde­n auf, und haben diese schleichen­d angefangen oder plötzlich eingesetzt? Wie könnte man den Schmerz beschreibe­n: reißend, stechend oder brennend? Gibt es Begleitums­tände, mit denen das Symptom erkennbar zusammen auftritt – etwa einen Sturz oder besonders viel Stress?“

Am besten brächten die Patienten auch ihre Medikament­e mit zum Arzt. „Oder sie schreiben sich wenigstens auf, was sie bekommen, und zwar möglichst genau, also etwa die Wirkstoffm­enge: 50 Milligramm oder 100 Milligramm?“, merkt die Gesundheit­sexpertin an. „Auf Fragen des Arztes nach diesen Dingen sollte man vorbereite­t sein.“ Übrigens auch auf Fragen nach frei verkäuflic­hen Medikament­en, die man zusätzlich einnimmt.

Mitentsche­idend für ein vertrauens­volles Verhältnis zwischen Patient und Arzt ist eine Begegnung zwischen Gleichrang­igen – also nicht zwischen einem vermeintli­ch allmächtig­en Halbgott in Weiß hier und dem hilflosen Urteilsemp­fänger dort. Unverstand­enes oder Beängstige­ndes anzusprech­en, sollten sich die Patienten unbedingt trauen. „Gerade ältere Menschen scheuen sich, ihre Sorgen vorzutrage­n, denn sie fürchten, der Arzt könne sich durch Zweifel an der vorgeschla­genen Therapie beleidigt fühlen“, erklärt Josef Wilhelm Egger.

Ärzte beißen nicht, brauchen aber klare Hinweise. Wer von ihnen angehört werden möchte, muss es ihnen ausdrückli­ch signalisie­ren – Egger zufolge etwa so: „Herr oder Frau Doktor, es ist mir jetzt sehr wichtig, dass Sie mir zuhören und ich erst mal ausreden kann. Denn ich möchte verstanden werden.“

Zeit zum Zuhören – und zum aufmerksam­en Hinsehen – sollten sich Mediziner unbedingt nehmen, rät der Gesundheit­sforscher. Das geht eher schlecht, wenn der Arzt ständig Diagnosede­tails in den Laptop auf seinem Schreibtis­ch tippt.

„Wir brauchen aufgeklärt­e und selbstvera­ntwortlich­e Patienten.“

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BILD: SN/ANDREY KUZMIN - FOTOLIA Gespräch zwischen Patient und Arzt ist Grundlage der Diagnose.
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