„Heile erst mit dem Wort, dann mit der Arznei“
Wer weiß, wie man sich bei Ärzten am verlässlichsten Gehör verschafft, hat die größten Chancen auf eine treffende Diagnose.
Ein guter Mediziner sollte mit Menschen nicht nur einfühlsam sprechen können, sondern auch wollen. „Das Gespräch ist das wichtigste Instrument des Arztes“, sagt Corinna Schaefer, die beim Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) in Berlin den Bereich Patienteninformation leitet. Schon der Arzt Paracelsus forderte im frühen 16. Jahrhundert: „Zuerst heile mit dem Wort, dann mit der Arznei und zum Schluss mit dem Messer.“
Das klingt einleuchtend und modern, doch die sogenannte sprechende Medizin wird noch immer kaum honoriert. Dabei bergen gut geführte Diagnosegespräche enorme Chancen, können Behandlungskosten drastisch senken helfen und obendrein sehr guttun.
Allerdings haben es die Patienten zu einem beträchtlichen Teil selbst in der Hand, ob ein Gespräch mit dem Arzt gelingt und so zur Heilung beitragen kann. „Auch der Patient muss eine besondere Kunst kultivieren, nämlich die des Umgangs mit einem Arzt“, sagt der US-Kardiologe Bernard Lown, ein in Fachkreisen weltbekannter Herzspezialist. Ein Kapitel in seinem nach wie vor brisanten Buch „Die verlorene Kunst des Heilens“heißt nicht umsonst „Wie man Ärzte zum Zuhören bringt“. Denn genau darum sollte es Patienten gehen, wenn sie eine Praxis betreten oder im Krankenhaus die Chefvisite ansteht.
Doch viele Ärzte haben oder nehmen sich zu wenig Zeit, um dem manchmal unbeholfenen Vortrag ihrer Patienten aufmerksam zu folgen. Nach Studien aus verschiedenen Ländern unterbrechen Mediziner ihre Patienten im Durchschnitt erstmals nach 11 bis 24 Sekunden. Dabei wären die meisten Patienten nach anderthalb Minuten ohne Eingriff des Arztes fertig mit ihrem Eingangsmonolog – und fühlten sich, weil sie zum Ende kommen dürfen beim Sprechen, wertgeschätzt und damit wohl. Dauermonologe müssten Ärzte nicht befürchten.
Die Ungeduld oder Hetze vieler Ärzte ist auch aus fachlicher Sicht ein Jammer. Denn die Hälfte aller Diagnosen ließe sich allein auf Basis jener Informationen korrekt stellen, „die der Arzt bei einer sorgfältigen Erhebung der Anamnese gewinnt“, also beim Aufdecken der Leidens- und Lebensgeschichte des Patienten im Gespräch, meint Josef Wilhelm Egger, Professor für biopsychosoziale Medizin in der Lehre in Graz.
Bernard Lown erwähnt eine britische Studie, nach der sogar 75 Prozent der diagnostisch hilfreichen Informationen aus dem aufdeckenden Arzt-Patienten-Gespräch stammen. „Die Zeit, die man in die Erhebung einer sehr genauen Krankengeschichte investiert, ist niemals vergeudet“, sondern „spart sogar Zeit“. Denn die Patientengeschichte liefere die Wegekarte für eine sinnvolle Therapie. „Ohne sie ist die Reise nichts als ein zielloses Einholen von technischen Reparaturen bei zahlreichen Werkstätten.“
Unter Zeitdruck stehende Mediziner verleiden ihren Patienten ein vertrauensvolles und dadurch erhellendes Gespräch schon durch Fahrigkeit oder andere körpersprachliche Signale. „Patienten können laut empirischen Studien im ärztlichen Gespräch eher selten ihr Anliegen vorbringen“, sagt Josef Wilhelm Egger. Etwa die Hälfte der Patientenprobleme werde „entweder nicht geäußert oder vom Arzt nicht aufgegriffen“– nicht nur für ihn ein unhaltbarer Zustand.
Während junge Ärzte dank neuer Ausbildungsinhalte inzwischen besser mit Patienten kommunizieren könnten, „kommen wir noch nicht an die Patienten heran“, sagt der Medizinpsychologe von der Medizinischen Universität Graz. „Wir müssen sie noch dazu motivieren, sich auf Gespräche mit ihren Ärzten vorzubereiten und die richtigen Fragen zu stellen.“Doch dazu müsse sich ihre Grundhaltung ändern. Die moderne Medizin dürfe nicht länger „als Reparaturwerkstatt gesehen werden, auch nicht von den Patienten“. Mehr als wünschenswert seien „aufgeklärte und selbstverantwortliche Patienten, die in ihren Ärzten kompetente Berater sehen statt Befehlsgeber“.
Marie-Luise Dierks vom Zentrum für Öffentliche Gesundheitspflege an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) rät Patienten dazu, sich gut auf den Gang zum Doktor vorzubereiten. „Man sollte nicht zum Arzt gehen, ohne sich vorher zu fragen: Was will ich denn da eigentlich heute?“, sagt die Leiterin der Patienten-Universität an der MHH, einem öffentlichen Fortbildungsprogramm für Gesundheitsinteressierte.
Gerade für chronisch Kranke sei es wichtig, sich vor dem nächsten Arzttermin klarzumachen, wozu er führen soll. „Aber auch akut Erkrankte sollten sich vorher genau aufschreiben, wie ihr Befinden ist“, empfiehlt Dierks und nennt mögliche Punkte: „Seit wann treten die Beschwerden auf, und haben diese schleichend angefangen oder plötzlich eingesetzt? Wie könnte man den Schmerz beschreiben: reißend, stechend oder brennend? Gibt es Begleitumstände, mit denen das Symptom erkennbar zusammen auftritt – etwa einen Sturz oder besonders viel Stress?“
Am besten brächten die Patienten auch ihre Medikamente mit zum Arzt. „Oder sie schreiben sich wenigstens auf, was sie bekommen, und zwar möglichst genau, also etwa die Wirkstoffmenge: 50 Milligramm oder 100 Milligramm?“, merkt die Gesundheitsexpertin an. „Auf Fragen des Arztes nach diesen Dingen sollte man vorbereitet sein.“ Übrigens auch auf Fragen nach frei verkäuflichen Medikamenten, die man zusätzlich einnimmt.
Mitentscheidend für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Patient und Arzt ist eine Begegnung zwischen Gleichrangigen – also nicht zwischen einem vermeintlich allmächtigen Halbgott in Weiß hier und dem hilflosen Urteilsempfänger dort. Unverstandenes oder Beängstigendes anzusprechen, sollten sich die Patienten unbedingt trauen. „Gerade ältere Menschen scheuen sich, ihre Sorgen vorzutragen, denn sie fürchten, der Arzt könne sich durch Zweifel an der vorgeschlagenen Therapie beleidigt fühlen“, erklärt Josef Wilhelm Egger.
Ärzte beißen nicht, brauchen aber klare Hinweise. Wer von ihnen angehört werden möchte, muss es ihnen ausdrücklich signalisieren – Egger zufolge etwa so: „Herr oder Frau Doktor, es ist mir jetzt sehr wichtig, dass Sie mir zuhören und ich erst mal ausreden kann. Denn ich möchte verstanden werden.“
Zeit zum Zuhören – und zum aufmerksamen Hinsehen – sollten sich Mediziner unbedingt nehmen, rät der Gesundheitsforscher. Das geht eher schlecht, wenn der Arzt ständig Diagnosedetails in den Laptop auf seinem Schreibtisch tippt.
„Wir brauchen aufgeklärte und selbstverantwortliche Patienten.“