Feine, kleine Schwester
Menorca. Von wegen unbekannt und bedeutungslos. Mallorcas Nachbarinsel ist reich an Geschichte, Natur, Stränden und Städten.
„Viele kennen Menorca nicht und denken an eine Verwechslung mit Mallorca“, sagt Georgina. Sie weiß Bescheid, schließlich lebt die Regensburgerin seit Jahrzehnten als Reiseleiterin auf der Baleareninsel. Und sie kennt auch die Vorzüge der kleineren Schwester, der großen ähnlich und doch grundverschieden. Nach einigen Schnitzern zu Beginn des Tourismus vor 45 Jahren und dem Hochziehen von Hoteltürmen an den schönsten Stränden wurde die Notbremse gezogen. „Die Naturschützer haben weitere derartige Projekte verhindert – zum Wohle der Insel. Stattdessen sind viele neue Feriendörfer entstanden“, sagt die Reiseleiterin. Die fügen sich im landestypischen Stil ganz gut in die immergrüne Landschaft und in die ursprünglichen Baugepflogenheiten ein. Die nur 59 Kilometer lange und 16 Kilometer breite Insel ist von einer mediterranen Macchie überzogen, von wilden Olivenund Mastixbäumen, Pinien und Steineichen, von pink blühenden Mariendisteln, weißen Zistrosen und gelbem Ginster. „Aber an der Küste kann es ganz karg sein. Mit Steinen und Felsen, wie eine Mondlandschaft“, beschreibt Georgina. Menorca ist eben „steinreich“. Doch die Bewohner der Insel wissen sich seit jeher zu helfen: Bereits die Römer schafften die Steine beiseite, um Agrarland zu gewinnen, Häuser und Mauern gegen Erosion, Tiere und Nachbarn zu bauen. Etwa 15.000 Kilometer umfasst dieses Mauernetz heute noch und gibt mit Dörfern, Bauernhöfen und Weiden ein hübsches Bild ab. „Mauerbauer ist auch heute ein wichtiger Beruf. Der Fachmann kostet gut 70 Euro die Stunde“, sagt Georgina. Mit Stein gebaut wurde allerdings schon vor den Römern, wie die auf der Insel verstreuten prähistorischen Gemeinschaftsgräber, die sogenannten Navetas, und die Talaiots und Taulas genannten Türme aus 1000 bis 650 vor unserer Zeitrechnung bezeugen. Eine der besterhaltenen ist die Naveta des Tudons in der Nähe von Ciutadella.
In den letzten Jahren wurde auch der Weinbau wieder belebt. Das größte Weingut mit 25 Hektar und einer Jahresproduktion von 100.000 Flaschen ist Binifadet in Sant Lluis. Dort wird Merluzo, Chardonnay, Merlot, Syrah und Cava serviert und auch gleich verkauft. Die Aromen sind außergewöhnlich. „Unser Wein schmeckt mineralisch, nach Erde und Salz. Da wir keine Berge auf der Insel haben, bringt der Wind die Frische – und die Leichtigkeit des Weins“, erklärt Winzerin Silvia.
Große Unterschiede gibt es auch zwischen den Städten der Insel: Maó, hoch über dem größten Naturhafen der Insel gelegen, ist von der einstigen britischen Herrschaft geprägt. Dazu gehören auch die Festungsanlage La Mola, die Insel Isla del Rei zwischen Maó und Es Castell, die Kirchen Santa Maria und La Concepciòn. Ciutadella hingegen versteht sich als die „spanischere“Stadt mit Adelspalästen, Altstadtgassen, palmengesäumten Plätzen, Bischofssitz, Festung und natürlich auch einem Hafen. Und beim Shoppen bietet Menorca der großen Schwester Paroli. Begehrt sind hier die in allen Farben angebotenen Ledersandalen mit Sohlen aus Autoreifen. „Alle tragen sie. Auch die spanische Königsfamilie. Menorquiner werden mit diesen Sandalen wahrscheinlich schon geboren“, kichert die Verkäuferin Dolores in einem der Geschäfte.
Gerade einmal 90.000 Einwohner zählt die Insel, ihre Hinweisschilder verwirren die Gäste manchmal. „Einmal sind die Ortsnamen auf Spanisch, dann wieder auf Katalanisch angeschrieben. Oder in verschiedenen Versionen“, weiß Busfahrer Juan. Aber im Grunde komme man überall hin. Küstenwege, Buchten, Schluchten und Höhlen verbindet etwa der 180 Kilometer lange Fernwanderweg Camí de Cavalls, der „Pferdeweg“. Ein Mietauto empfiehlt sich für die Sandstrände und Badeplätze mit glasklarem Wasser, die Fischerorte, Leuchttürme, den Naturpark Es Grau oder für den Berg El Toro, die mit 357 Metern höchste Erhebung der Insel. Dort lässt sich dann in bester Gesellschaft – einer riesigen Christusstatue, eines Klosters und mehrerer Antennen – der grandiose Rundumblick über die kleine, feine Insel in aller Ruhe genießen.