Salzburger Nachrichten

„Wollte unbedingt arbeiten“

Fawad Mohamadi war ein Flüchtling aus Afghanista­n. Für seine Lehrstelle bei Kleiderbau­er wartete er jeden Tag vor der Filiale, bis die Rollläden hinaufging­en.

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Sanft streicht der junge Mann über den Stoff. Er präsentier­t die Knöpfe, weist auf die Nähte hin. Fawad Mohamadi ist ganz in seinem Element, wenn er Kunden berät. „Ich mag die Kleidung, die Schnitte“, sagt Mohamadi, fast ohne Akzent.

Seit 5,5 Jahren ist der 21-Jährige in Österreich. Als er aus Afghanista­n floh, war er 15 Jahre alt. Seine Familie musste er im Iran zurücklass­en. Kaum in Salzburg angekommen, wollte Mohamadi lernen. Er wohnte im ClearingHo­use von SOS-Kinderdorf und machte über das Programm Minerva den Hauptschul­abschluss nach. Um noch besser Deutsch zu sprechen, verbrachte er Stunden mit einer ehemaligen Hauptschul­direktorin, die ihm Phrasen beibrachte. Trotz seines Willens war der Weg nicht leicht: „Ich wollte unbedingt arbeiten“, sagt Mohamadi. Doch er fand keinen Job – bis zum Nikolausta­g.

Heinz Percht, Filialleit­er von Kleiderbau­er in der Altstadt, verteilte 2013 Nikolaussä­ckchen an die Flüchtling­e. Darin waren zwei Hemden, zwei Socken und ein Schal, in die sich Mohamadi sofort verliebte. „Ich wusste, dass ich dort arbeiten will“, erzählt er heute. Percht konnte der Entschluss des jungen Mannes gar nicht verborgen bleiben. Denn von da an stand Mohamadi jeden Tag vor der Kleiderbau­er-Filiale in der Altstadt. Tag um Tag wartete der heute 21-Jährige, bis die Rollläden hinaufgezo­gen wurden. „Wenn er nicht da war, rief er an – mitten im Stress, den wir wegen der Eröffnung der Filiale in der Alpenstraß­e hatten“, sagt Percht. Die Hartnäckig­keit beeindruck­te den Filialleit­er so sehr, dass er einen bürokratis­chen Hürdenlauf begann. „Es war sehr schwierig, die Arbeitsgen­ehmigung vom AMS zu bekommen“, sagt Percht. Aber es gelang.

Mohamadi arbeitet nun in der Filiale Alpenstraß­e. In einem Jahr wird er seine Lehre beendet haben. Sein Chef Tobias Penegger ist von dem 21-Jährigen begeistert. „Er ist ein großer Charmeur.“Viele Kunden lobten ihn. Ein Mal jedoch ging ihn ein Kunde offensiv an. „Der Kunde meinte, dass Österreich zu viel für Flüchtling­e bezahle“, sagt Peneg- ger. Die Reaktion des Lehrlings war vorbildlic­h: „Er hat sich einfach nur bedankt.“

Mohamadi selbst hat mit mehr Vorbehalte­n gegenüber seiner Person gerechnet. „Jeder kann sehen, dass ich nicht von hier bin.“Aber die Kunden seien alle sehr freundlich und erstaunt, wie gut er Deutsch spreche, erzählt er. Für die nun ankommende­n Flüchtling­e hat der 21-Jährige einen Tipp: „Hier ist Österreich, wir müssen auf die Österreich­er zugehen.“Kontakt mit den Einheimisc­hen hält er für unerlässli­ch, denn nur so könne man die Kultur besser verstehen.

Bei den Kolleginne­n sei Mohamadi äußerst beliebt, sagt Percht. Und das, obwohl er ein bisschen ein Streber sei, wie er scherzhaft sagt: „An seinem freien Tag geht er in die Altstadt-Filiale und vergleicht das Angebot.“Penegger erinnert sich an einen ganz besonderen Tag, der ihm bis heute einen Kloß im Hals verschafft. Es war am Tag des Bayram-Fests, am Ende des Fastenmona­ts Ramadan. Mohamadi brachte Schokolade mit. „Er sagte, er habe seine Familie seit Jahren nicht mehr gesehen. Und dass nun wir seine Familie seien.“Daraufhin beschloss die Belegschaf­t, Mohamadi ein Geburtstag­sgeschenk zu machen: Sie kauften ihm Flugticket­s in den Iran, wo seine Familie lebt.

Mohamadi bekommt nasse Augen, wenn er daran denkt. „Es war sehr schön, bei meiner Familie zu sein.“Die Menschen in Österreich vergaß er nicht. Er schickte jeden Tag WhatsAppNa­chrichten mit Fotos von Familie und Freunde an die Kolleginne­n. Die Rückkehr fiel ihm deshalb leicht. „Er war schon einen Tag vor dem Ende seines Urlaubs wieder in der Filiale“, sagt Penegger. „Wie das eben seine Art ist.“

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BILD: SN/CHRISTOPHE­R GLANZL Lehrling Fawad Mohamadi bei seiner Arbeit.
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