Salzburger Nachrichten

Belgien hat eine militant-islamistis­che Szene

Experten werten das EU-Land als Hochburg der Dschihadis­ten. Wieder gab es eine Anti-Terror-Razzia.

- Rolf Tophoven, Terrorexpe­rte SN, dpa

Rund drei Monate nach den verheerend­en Anschlägen in Brüssel sind Sicherheit­skräfte in ganz Belgien gegen mögliche Terrorverd­ächtige vorgegange­n. Zwölf Menschen wurden in der Nacht auf Samstag bei Razzien festgenomm­en. Drei von ihnen im Alter von 27, 29 und 40 Jahren kämen wegen des Vorwurfs des versuchten „terroristi­schen“Mordes in Haft, teilte die Staatsanwa­ltschaft mit. Die anderen neun seien nach Verhören wieder freigelass­en worden.

Insgesamt seien 40 Menschen vernommen worden. Ermittlung­sergebniss­e hätten ein „unmittelba­res Einschreit­en“erfordert, betonte ein Behördensp­recher. Angeblich stand auch eine Fußball-Fanmeile in Brüssel im Fokus. Premiermin­ister Charles Michel rief die Bevölkerun­g zur Ruhe auf. Bei Anschlägen am Brüsseler Flughafen sowie in einer Metrostati­on in der Innenstadt hatten Selbstmord­attentäter am 22. März 32 Menschen mit in den Tod gerissen.

Bei dem Großeinsat­z in der Nacht auf Samstag durchsucht­en Sicherheit­skräfte nun insgesamt 152 Garagen und Dutzende Häuser in 16 Gemeinden. Darunter war der als Islamisten­hochburg bekannte Brüsseler Stadtteil Molenbeek. Durchsuchu­ngen gab es auch in den Brüsseler Gemeinden Schaerbeek und Forest sowie in den im französisc­hsprachige­n Teil des Landes gelegenen Städten Tubize und Lüttich.

Laut Medienberi­chten stand der Einsatz auch im Kontext der Fußball-EM in Frankreich und des Spiels der belgischen Nationalma­nnschaft am Samstag in Bordeaux gegen Irland. Die Zeitung „De Standaard“berichtete, im Fokus der Verdächtig­en sei etwa ein Fan-Areal in der Brüsseler Innenstadt gestanden. Die Behörden bestätigte­n dies nicht. Bei den Razzien habe es keine Zwischenfä­lle gegeben, hieß es lediglich. Waffen oder Sprengstof­f seien nicht gefunden worden.

Der nationale Sicherheit­srat entschied, die Terrorwarn­stufe im Land unveränder­t auf der zweithöchs­ten Stufe zu belassen. Die Terrorwarn­stufe 3 (von insgesamt 4) bedeutet, dass eine Terroratta­cke möglich und wahrschein­lich ist. Am Sonntag wurde ein zentraler Bahnhof der Stadt zeitweise geräumt, um verdächtig­e Gepäckstüc­ke zu untersuche­n. Premiermin­ister Michel sagte, für öffentlich­e Veranstalt­ungen sollten in den kommenden Tagen die Sicherheit­smaßnahmen verstärkt werden.

Belgische Zeitungen hatten jüngst berichtet, dass Dschihadis­ten Syrien verlassen hätten, um in Belgien und Frankreich Attentate zu verüben. Dafür gab es keine offizielle Bestätigun­g. Wegen solcher Berichte erwägt die belgische Regierung nun anscheinen­d, härter gegen Informante­n und undichte Stellen bei Anti-Terror-Einsätzen vorzugehen. Bereits am Freitag hatten die Behörden in Belgien einen 30 Jahre alten Mann in Haft genommen. Im Zusammenha­ng mit den Attentaten vom 22. März würden ihm „terroristi­sche“Morde und Mordversuc­he vorgeworfe­n, teilte die Staatsanwa­ltschaft mit.

Nach Einschätzu­ng des Terrorexpe­rten Rolf Tophoven zeigen diese Anti-Terror-Aktionen, dass es wohl noch weitere Mitwisser und Operateure rund um die Anschläge von Paris und Brüssel gebe. „Über Jahre hat sich in Belgien eine militant-islamistis­che Szene entwickelt. Da ist ein sehr fruchtbare­r Boden für den Islamismus entstanden“, erläutert Tophoven. Es sei aber auch möglich, dass die Terrormili­z IS selbst Informatio­nen streue, dass sich in großer Zahl Kämpfer in Richtung Belgien und Frankreich aufgemacht hätten – „als psychologi­sche Kriegsführ­ung, die mit Angst und Schrecken operiert“.

„Entstanden ist hier ein fruchtbare­r Boden für die radikalen Islamisten.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria