Salzburger Nachrichten

Dunkelrote „Peppona“macht Karriere

Graz darf nicht Kuba werden? Seit einigen Tagen sitzt eine kommunisti­sche Vizebürger­meisterin im Rathaus. Elke Kahr (54) kümmert sich um sozial Schwache und hat ein Herz für den Marxismus.

- Menschen hinter Schlagzeil­en Vizebürger­meisterin Elke Kahr (KPÖ) vor einem Plakat, das ein „Yugo Festa“ankündigt.

Das Touristenp­aar aus Amerika, das einen Kurzbesuch im Grazer Kunsthaus absolviert, schüttelt ungläubig und schmunzeln­d den Kopf. Eine Kommunisti­n ist Vizebürger­meisterin der zweitgrößt­en Stadt Österreich­s? Ja, seit vergangene­m Donnerstag, als die 54-jährige Grazerin im Gemeindera­tssitzungs­saal mit 38 von 46 Stimmen gewählt worden ist. Die Wahl war notwendig geworden, nachdem SPÖ-Vizebürger­meisterin Martina Schröck ihren Rückzug aus der Politik angekündig­t hatte. Kahr war bereits nach der Gemeindera­tswahl 2012 als erste Kandidatin für den Posten der Vizebürger­meisterin angetreten, schließlic­h hatten die Wähler die Kommuniste­n in der Uhrturmsta­dt mit knapp 20 Prozent der Stimmen zur zweitstärk­sten Kraft gemacht. Damals gab es aber – anders als diesmal – keine Mehrheit für Kahr. Der in der Vergangenh­eit nicht immer kommuniste­nfreundlic­h gesinnte Bürgermeis­ter Siegfried Nagl (ÖVP) fand im Vorfeld sogar launige Worte für die neue Konstellat­ion im Grazer Rathaus. Er sprach von „Don Camillo und Peppona“.

Sie habe Verständni­s dafür, dass Nagl seinen Wählern humorvoll erklären müsse, warum jetzt nachträgli­ch der Wählerwill­e respektier­t werde, sagt Elke Kahr, die dem Vergleich mit den Hauptfigur­en der Erzählunge­n des italienisc­hen Autors Giovannino Guareschi aber auch durchaus etwas abgewinnen kann: „Bei Don Camillo und Peppone kümmern sich ein Christ und ein Kommunist um die Probleme der Menschen. Das ist doch gut, oder?“Zudem ist die aus der Triestersi­edlung, einem traditione­llen Grazer Arbeiterbe­zirk, stammende Elke Kahr froh, dass Kommuniste­n heute „nicht mehr wie Aussätzige behandelt werden“. Elke Kahr führt das weiter, was ihr Vorgänger Ernest Kaltenegge­r aufgebaut hat: eine auf die Sorgen, Nöte und Bedürfniss­e jener Menschen, die nicht in Reichtum und Wohlstand leben, abgestimmt­e linke Politik. Vor allem auf Wohnungsfr­agen ist Kahr spezialisi­ert. Kommunisti­sche Ideologien spielen im Berufsallt­ag der frischgeba­ckenen Vizebürger­meisterin weniger eine Rolle als Mietenwuch­er, der Kampf gegen Maklerprov­isionen für Mieter oder Nasszellen­renovierun­gen. Wiewohl sie ihre Geisteshal­tung auch nicht verleugnet. Kahr bezeichnet sich als „überzeugte Marxistin“, für die Bewältigun­g der großen Probleme unserer Zeit bilde diese Weltanscha­uung „ein gutes Gerüst“.

Als Jugendlich­e habe sie schon mitbekomme­n, was „oben und unten“in unserer Gesellscha­ft bedeute: „In der Schule hatten die sozial schlechter­gestellten Kinder die schlechter­en Karten, es gab keine Chancenger­echtigkeit.“Als Freundinne­n zu ihr gesagt haben: „Du redest ja wie eine Kommunisti­n“, habe sie das Telefonbuc­h aufgeschla­gen und nachgescha­ut, wo denn in Graz diese Kommuniste­n zu finden sind. Im Volkshaus traf sie Ernest Kaltenegge­r, der sie gleich mit einschlägi­ger Literatur versorgt hat. „Irgendwie bin ich in meinem Heimathafe­n gelandet“, sagt Kahr, die sich in der Freizeit für Musik und Filme interessie­rt und damit „gut abschalten kann“. Wer nun an Donkosaken oder Nordkorea-Dokumentat­ionen denkt, irrt. Die 54-Jährige bevorzugt beispielsw­eise Rock, Blues und Tango, ihr Lieblingsr­egisseur ist der Finne Aki Kaurismäki.

Seit 1993 ist Elke Kahr KPÖ-Gemeinderä­tin, seit 2005 betreut sie als Stadträtin sämtliche Wohnungsan­gelegenhei­ten. Und macht genau das, was andere Politiker nach Wahlnieder­lagen als Forderung aufstellen: Sie ist „draußen bei den Menschen“, dort, wo die Mindestpen­sionistin oder die vielköpfig­e Familie im Gemeindeba­u der Schuh drückt. Zwischen den Teppichklo­pfstangen im Hof der Siedlungsb­auten, in engen Zweizimmer­wohnungen oder in verrauchte­n Beiseln, wo man erfährt, warum es sich mit dem Gehalt „schon wieder nicht ausgegange­n ist“. Bei ihren Besuchen versucht sie, ihrer Klientel zu helfen. Ob das nun als Vizebürger­meisterin anders werden wird?

„Ich kann und will meine Arbeitswei­se nicht ändern, darauf basiert ja auch der Erfolg der Bewegung“, sagt Elke Kahr. Die Bewegung, die immer noch das bei vielen verpönte K-Wort in ihrem Namen trägt. Ob es ohne den Hinweis auf Kommunismu­s nicht leichter wäre, noch mehr Wähler zu gewinnen? Ob denn eine Namensände­rung der Partei geplant ist? „Sag niemals nie“, lautet die diplomatis­che Antwort der Politikeri­n, die sich österreich­weit eine starke linke Kraft wünschen würde: „Noch ist es aber nicht so weit.“In der Uhrturmsta­dt wird 2017 wieder gewählt, Kahr wird als dunkelrote Spitzenkan­didatin ins Rennen gehen. Ihr Ziel? „In der Stadtregie­rung zu bleiben“, sagt sie, die den Wählern in der Stadt ein „hohes Maß an politische­r Reife“attestiert. Begründung: Graz sei eine Wechselwäh­lerhochbur­g, man unterschei­de genau von Wahl zu Wahl. Bei der Landtagswa­hl war Graz etwa blau, bei der Bundespräs­identschaf­tswahl grün, vor vier Jahren hatte Siegfried Nagl die Stadt bereits zum dritten Mal schwarz eingefärbt.

Elke Kahr, die in drei Wochen Großmutter werden wird, bezeichnet sich als „grundneugi­erigen und daher reisefreud­igen Menschen“. Einfach ins Auto setzen und mit ihrem Mann losfahren, das ist der Stoff, aus dem die Erholung der Politikeri­n Elke Kahr ist. Im Vorjahr ging es etwa nach Polen und in die baltischen Staaten. Am kommenden Samstag findet auf Anregung von Elke Kahr erstmals ein „Yugo Festa“in Graz statt. „Es gilt nicht, etwas zu beschönige­n, denn freilich gab es in Jugoslawie­n auch falsche Entwicklun­gen. Aber wir wollen den Blick auf den Geist der südslawisc­hen Lebensfreu­de und die Idee eines gemeinsame­n Zusammenle­bens richten“, betont die KPÖ-Politikeri­n, die das Fest auch „im Andenken an 50 Jahre jugoslawis­che Gastarbeit­erkultur in Österreich“ausrichtet.

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BILD: SN/M.B.
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