Hohle Orgel erfleht einen Gönner
Eine ungewöhnliche Lungauer Kirche ist in jahrelanger Mühe renoviert worden. Jetzt ist sie fast fertig, doch der Orgel fehlt ein Innenleben.
ST. MARTIN. Ein Anblick des Jammers thront auf der Empore von St. Martin im Lungau. Rundum ist die Kirche mit römischen Bestandteilen, romanischem Kern und gotischer Erweiterung aufs Feinste saniert. In den vierjährigen Mühen um deren Erhalt kamen auch sensationelle Funde zutage.
Doch vom Instrument aus dem 17. Jahrhundert, der einstigen, um 1755 hierher gebrachten Pfarrorgel von St. Michael, sind nur Gehäuse, Holzpfeifen und verwordagelte, verstaubte Tasten übrig. Ein handbeschriebener Aufkleber erinnere daran, dass man die Klänge einer Waldflöte hätte vernehmen können, wäre diese barocke Orgel nicht nach dem Ersten Weltkrieg ausgehöhlt worden, um die Zinnpfeifen einzuschmelzen, erzählt der Lungauer Restaurator Heinz Michael.
Er kennt diese Kirche vom letzten Winkel hinter dem mit Eisenspangen versperrbaren gotischen Opferstock aus Lungauer Rauwacke und bis zum obersten Engelsflügerl auf den Altären von Josef Andrä Eisl. Er wirkt nicht nur an der Restaurierung mit, er hat auch einst als Bub ministriert und zu Viertelläut’n und Z’sammläut’n an jenen Seilen gezogen, für die in der Turmstube aus dem 12. Jahrhundert hinter der Empore noch die originalen, jetzt leeren Löcher im Boden sind.
In der Filialkirche von St. Michael würden gerne Hochzeiten, Taufen und auch sonst viele Messen gefeiert – „halt ohne Orgel“, stellt Heinz Michael fest. Wie viel ein neues Spielwerk samt Restaurieren der alten Holzpfeifen kosten würde, wagt er gar nicht zu sagen – 60.000 Euro, 100.000 Euro? Schon unten, bei einem der Seitenaltäre hat er gestanden: „Jetzt geht uns das Geld aus.“1,2 Millionen Euro wurde nach seinen Angaben investiert – von Erzdiözese, Gemeinde St. Michael, Land Salzburg, Bundesdenkmalamt und mit Spenden aus der Bevölkerung. Es fehlen sowieso noch etwa je 2500 Euro für Katharina, Jakobus, Bernhard und Nepomuk an den Seitenaltären und je 3000 Euro für die Assistenzfiguren am Hochaltar: Josef, Petrus, Paulus und Andreas. Weiß jemand Paten, die für den einen oder anderen Heiligen Sorge tragen könnten?
Die vor vier Jahren begonnene Restaurierung – neben Mariapfarr und Obertrum die derzeit größten Kirchenbaustellen im Land Salzburg – geht in den Endspurt. Die Zimmerei Ingo Brandstätter aus St. Michael deckt noch den achteckigen gotischen Karner mit neuen Lärchenschindeln ein; Heinz Michael zufolge soll an dieser Stelle ein Mithras-Tempel gestanden sein. Zudem gibt es viele sichtbare Zeugen der Römerzeit: Das Reliefbild eines keltischen Ehepaars – sie mit keltischer Haube, er mit römischer Frisur – von 300 oder 400 n. Chr. ist in den romanischen Turm eingemauert. Bei dessen Reinigung seien in den Kanneluren der Draperie rote Reste der römischen Fassung zutage gekommen, berichtet Heinz Michael. Weiters wurde in der Kirche an einer Nische unter dem Putz das Relief einer Tierkralle entdeckt – offenbar auch dies ein römischer Stein, der beim christlichen Kirchbau recycelt worden ist.
Noch sensationeller ist im Chor ein prächtig erhaltenes Fresko des Schmerzensmanns um 1520, das im vorigen Spätherbst freigelegt worden ist – „von unglaublicher Qualität, wir haben praktisch nichts retouchieren müssen“, wie Landeskonservatorin Eva Hody erläutert. „Dieses gemalte Sakramentshäuschen ist etwas Besonderes“, bestätigt Diözesankonservator Roland Kerschbaum. „Man hat sogar den Vorhang gemalt!“Tatsächlich: Das scheinbar vor der echten, vergitterten Wandnische flatternde, an zierlichen Ringen befestigte weiße Tüchlein ist nicht Seide, sondern Farbe auf Verputz! Auch die mächtigen Steinzacken über Christus, Maria und Johannes sind bloß gemalt.
Kaum sattsehen kann man sich am neuen alten Erscheinungsbild der Fassade. Der Mitte der 20er-Jahre aufgetragene, etwa acht Zentimeter dicke Zementputz wurde abgeschabt – „ein Wahnsinnsaufwand“, stellt Heinz Michael fest. Wie sich der gelohnt hat! Dabei sind an der Außenwand zwei Sonnenuhren – eine sogar mit arabischen Ziffern – zum Vorschein gekommen sowie Fragmente eines Christopherus. Wer den erblickt, ist ja, so der Volksglaube, an diesem Tag vor dem plötzlichen Tod gefeit.
Am Turm wurden die bunten Dreipass- und Vierpassfriese von etwa 1520 freigelegt. Um das Raffinierte der Außenhaut der Kirche zu erkennen, hilft Heinz Michael: „Sehen Sie den Fächerputz?“Nur wer den Blick auf leiseste Unebenheiten hin beruhigt, erkennt zarte, fächerförmige Konturen. „Das kommt vom Kellenschmiss“, erläutert der Restaurator. Im Sonnenlicht wirkt dies wie lebendig. Man glaubt es kaum – jetzt prangt am Langhaus der etwa 500 Jahre gotische Kalkputz und an der Apsis sogar der etwa 800 Jahre romanische Putz.
Landeskonservatorin Eva Hody stellt fest: St. Martin sei „ein Kleinod, das jetzt wieder in gutem Zustand ist – wenigstens für die nächsten 30 oder 40 Jahre“. Möglich sei dies vor allem dank der Konsequenz von Pfarrer Matthias Kreuzberger. Bei dem riesigen, teuren Bauvorhaben habe er „die Ruhe weg“gehabt – vom Herauslösen des Steinfußbodens wegen Wasserschäden bis zur Freskenfreilegung. Schritt für Schritt sei jedes Jahr etwas bewältigt worden, berichtet Hody. Jedes Mal sei erst diskutiert und dann zusammengearbeitet worden.
Am 9. September wird Erzbischof Franz Lackner den Festgottesdienst zum Abschluss der Renovierung zelebrieren – halt wieder ohne Orgel. Und am 10. September werden die archäologischen Funde in der Kirche präsentiert, die Landesarchäologe Peter Höglinger an der Nordseite der Friedhofsmauer als Gräber samt Beigaben aus dem 9. Jahrhundert entdeckt hat.
„St. Martin ist ein Kleinod, das wieder in gutem Zustand ist.“