Sie lebten mit einem Loch im Kopf
Schädelöffnungen waren in prähistorischer Zeit hochriskante Eingriffe. Archäologen haben nun 6000 Jahre alte Relikte gefunden.
Eine Trepanation ist ein chirurgisches Verfahren zur Öffnung des Schädels. Eine solche Methode würde heutzutage nicht weiter verwunderlich wirken. Doch die Trepanation gibt es seit mehreren Tausend Jahren in vielen Kulturen. Die präkolumbischen Inka wandten sie an. In der europäischen Jungsteinzeit wurde der Eingriff praktiziert. Konkret geht es dabei um die operative Entfernung eines oder mehrerer Teile der Schädeldecke, ohne dabei die Blutgefäße, die drei Membranen, die das Gehirn umgeben, oder das Gehirn selbst in irgendeiner Form zu beschädigen. An Schädeln lässt sich auch heute noch nachvollziehen, wie die Operateure ihre Steinmesser einst führten: Die etwa in der Jungsteinzeit (5500–2200 v. Chr.) am häufigsten verwendete Methode war die Flächenschabetechnik. Dabei wurde der Knochen auf einer rundlich-ovalen Fläche Schicht für Schicht abgetragen.
Warum aber lassen sich Menschen den Schädel eröffnen, unterziehen sich einer Operation, die ohne die modernen medizinischen Methoden, ohne Anästhesie, gefährlich, wenn nicht sogar tödlich ist? Ein Team deutscher und russischer Anthropologen fand – wie das Deutsche Archäologische Institut (DAI) nun bekannt gab – in Südrussland 13 Schädel aus der Bronzezeit mit einem Trepanationsloch an identischer Stelle. Obwohl diese Stelle aus anatomischen Gründen das höchste Operationsrisiko hat, überlebten die meisten der Patienten den Eingriff. Die spezielle Lokalisation und die Tatsache, dass keine Spuren von Trauma oder Krankheiten am Schädel sichtbar waren, lassen einen rituellen Hintergrund der Operation vermuten.
Trepanationen sind ein spektakulärer Fund in prähistorischen Skeletten, denn sie belegen die frühen medizinischen Kenntnisse und Fertigkeiten der Menschen seit mehr als 10.000 Jahren.
Es gibt viele Gründe für die Eingriffe, sie reichen von medizinisch notwendigen Operationen bis zu rituellen Motiven. Schwierig ist allerdings, die Gründe für eine Operation an einem Schädel zu erkennen. Ist die Ursache ein Trauma, sind möglicherweise noch Bruchlinien am Schädel zu sehen. Handelt es sich um eine Krankheit wie Epilepsie oder Migräne oder um rituelle Gründe, sind am Knochen keine Hinweise auf den Operationsgrund sichtbar.
In einem Projekt des Deutschen Archäologischen Instituts mit russischen Kooperationspartnern sind in den vergangenen Jahren in Südrussland intensive Forschungen zu bronzezeitlichen Bestattungen durchgeführt worden. Bei den anthropologischen Untersuchungen wurden an den 13 Schädeln Trepanationen gefunden, die durch ein gemeinsames Merkmal auffielen: Alle Löcher lagen an derselben Stelle, mittig, leicht oberhalb des Hinterhaupts. Die Schädel wurden lupenmikroskopisch sowie mit Röntgenund computertomographischen Methoden untersucht, um Informationen zur Größe und Position der Läsionen, aber auch zur Operationstechnik, zum Heilungszustand und zu möglichen Komplikationen zu gewinnen.
Die Operationen wurden mit zwei unterschiedlichen Techniken durchgeführt: Entweder wurde das Loch durch Schaben mit einem scharfen Gegenstand oder durch Ausschneiden eines rundlichen Knochenstückes erzeugt. Es wurden etwa gleich viele Männer und Frauen im Alter zwischen zehn und 60 Jahren operiert. Die meisten Patienten überlebten die Operation für einen langen Zeitraum. Ob sie bei dem Vorgang in irgendeiner Form betäubt wurden, lässt sich nicht mehr sagen. Die immer gleiche Lokalisation der Löcher am Schädel ist eine unübliche Beobachtung für Trepanationen. Hinzu kommt, dass gerade dieser Platz aufgrund anatomischer Besonderheiten zu den gefährlichsten für eine Schädeleröffnung gehört.
Lange Zeit glaubte in der Forschung niemand, dass Schädeleröffnungen in prähistorischer Zeit überhaupt durchführbar waren – bis der österreichische Dokumentarfilmer Max Lesch 1957/58 eine Trepanation bei den Kisii in Kenia drehen konnte. Obwohl verboten, wird dieses Verfahren heute noch wie vor Jahrtausenden von diesem Stamm angewendet.