Salzburger Nachrichten

Noch mehr Schlägertr­upps?

Am Montag spielt Russland in der Gruppenpha­se gegen Wales. Droht noch mehr Gewalt? Ermittlung­en der UEFA laufen bereits gegen fünf Verbände.

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Sportlich gibt es für Fußball-Russland bei der EM in Frankreich noch wenig Grund zum Feiern. Umso pathetisch­er fällt der Jubel über die Schlagkraf­t der vaterländi­schen Fußballfan­s aus. „Starke russische Burschen sind gekommen und haben die Engländer abgewatsch­t“, verkündete der Kommentato­r Dmitri Ponomarenk­o vor ein paar Tagen in der Zeitung „Sowetski Sport“. Er verglich die englischen Hooligans gar mit den Nazis im Zweiten Weltkrieg. Auch damals habe sich in ganz Europa niemand gefunden, der Mut und Kraft besaß, Hitlers Horden zu stoppen. „Bis die Russen gekommen sind und aus den Konzentrat­ionslagern Museen gemacht haben.“

Aber es ist höchst fraglich, wessen Horden bei dieser Fußball-EM übler wüten. Zwar randaliert­en auch Deutsche, Ukrainer und vor allem Engländer, aber die Russen gingen am härtesten zur Sache. Nach Polizeiang­aben verletzten sie 30 Engländer, einer liegt im Koma. Ein französisc­hes Gericht verurteilt­e am Donnerstag drei Russen zu Gefängniss­trafen.

Nach Angaben der Staatsanwa­ltschaft von Marseille attackiert­en etwa 150 hervorrage­nd trainierte russische Schläger die Engländer. Die Angreifer hätten im Gegensatz Stefan Scholl berichtet für die SN aus Moskau zu den anderen Fans keine Trikots oder Schals getragen und seien nach ihren Gewalttate­n sehr geschickt untergetau­cht. Schon fragen Experten, wer diese Fußballkam­pfsportler organisier­t habe. Oder ob vielleicht gar der russische Staat dahinterst­ecke. „Ich musste sofort an die rund 250 geheimdien­stlich ausgebilde­ten ,Schläfer‘ denken, die der Kreml unter dem Tarnmantel von Kampfsport­schulen in Deutschlan­d stationier­t hat“, schreibt der deutsche Publizist Boris Reitschust­er auf Facebook.

Fußball-Russland hegt seit Jahrzehnte­n heftige Gefühle gegenüber England. Man bewundert Kultclubs wie Manchester United oder den FC Liverpool, die oberste Liga nennt sich nach angelsächs­ischem Vorbild Premjer-Liga. „Auch unsere Ultras eifern den Engländern und ihrer Subkultur nach“, sagt der Journalist und langjährig­e Fußballfan Denis Lupekin. Das betreffe Dresscode und Gesänge, aber auch Gewaltritu­ale. „Wenn Erzkonkurr­enten wie etwa Spartak Moskau und Zenit Sankt Petersburg aufeinande­rtreffen, vereinbare­n beide Seiten vorher Zeit und Ort für die obligatori­sche Massenschl­ägerei.“

In Frankreich scheint die Bewunderun­g für die Engländer in Wut gekippt zu sein. Zumal die angelsächs­ischen Vorbilder dort schon Tage vor dem Samstagssp­iel gegen Russland heftig randaliert­en. Viele Russen hielten noch heftigere Randale offenbar für die einzige ehrenhafte Antwort. Es ist nicht auszuschli­eßen, dass sie von offizielle­r Seite auch noch angestache­lt wurden.

Das gilt auch für den Hurrapatri­otismus der Staatsmedi­en, die auch in diesen Tagen lehren, russische Knochenbre­cher seien immer gerecht und siegreich. Aber doch überzeugt der Verdacht, der Kreml stecke hinter der Gewalt in Marseille, nicht wirklich. „Welchen Nutzen hat unser Staat davon, dass russische Fans andere verprügeln?“, fragt der Moskauer Politologe Jewgeni Minschtsch­enko. Russlands Image droht immer hässlicher zu werden.

Dem nicht genug: Neben Russland ermittelt die UEFA wegen FanVerfehl­ungen auch gegen Kroatien, Belgien, Ungarn, Portugal und die Türkei. Bereits heute, Montag, wird die Disziplina­rkommissio­n die ersten Strafen gegen Kroatien und die Türkei ausspreche­n.

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BILD: SN/AP Russische Fans gingen in Marseille am härtesten zur Sache. Weitere Krawalle sind angesagt.
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