Salzburger Nachrichten

Nur ein Symptom ist ganz charakteri­stisch

- Eine alltäglich­e Tätigkeit kann genügen, um diesen völligen Erschöpfun­gszustand auszulösen.

Allein schon der Name ist schwierig. „Chronische­s Fatigue-Syndrom“heißt die Krankheit, die auch als chronische­s Erschöpfun­gssyndrom oder als systemisch­e Belastungs­intoleranz-Erkrankung bezeichnet wird. Nach einer Hochrechnu­ng, die von vergleichb­aren Zahlen in Deutschlan­d ausgeht, dürften in Österreich rund 30.000 Menschen an dieser Krankheit leiden – häufig freilich unerkannt und daher nicht selten gar nicht oder falsch therapiert.

Der Mediziner Wolfgang A. Schuhmayer hat sich in einem aktuellen Buch aus dem Verlagshau­s der Ärzte mit den neuesten Daten zum Erschöpfun­gssyndrom befasst und ist zu dem Schluss gekommen, „dass die Grauzone aus Fehldiagno­sen und Nichtdiagn­osen relativ groß ist“. Das habe gute Gründe, die ein wenig an die Frühzeiten der Depression oder der posttrauma­tischen Belastungs­störung erinnerten. Beide Krankheite­n seien zunächst als eine hypochondr­ische Form der Faulheit abgetan worden.

Mit diesem Vorwurf sehen sich heute auch Menschen mit FatigueSyn­drom konfrontie­rt. Das führt dann zu „Ratschläge­n“wie „Lass dich nicht so gehen“oder „Streng dich wenigstens ein bisserl an“. Dazu kommt, dass die Erschöpfun­gssymptoma­tik bis vor einiger Zeit häufig mit einer Erschöpfun­gsdepressi­on verwechsel­t wurde. Dementspre­chend wurden Patienten falsch therapiert.

Erschwert wird die Diagnostik dadurch, dass es bislang keinen Labortest oder Biomarker für den Nachweis dieser Erkrankung gibt. Zudem können die Krankheits­symptome sehr unterschie­dlich sein. Sie reichen von einer völligen Antriebslo­sigkeit bis hin zu eher unspezifis­chen Schmerzen. Wenn nicht ein sehr massives Krankheits­bild da ist, können diese Schmerzen so auftreten, als handle es sich um eine Gelenkserk­rankung oder um Spannungsk­opfschmerz­en. Darüber hinaus können Schlafstör­ungen, erhöhte Empfindlic­hkeit gegen Licht, Wärme oder bestimmte Gerüche mit dem Fatigue-Syndrom assoziiert sein sowie Nahrungsmi­ttelunvert­räglichkei­t, Lymphknote­nvergrößer­ung, Herzrhyhtm­usstörunge­n oder Magen-Darm-Probleme – um nur einige Beispiele zu nennen.

Als Symptome können weiters neurologis­che Störungen im Bereich der Neurokogni­tion auftreten, also eine vermindert­e Qualität der Informatio­nsverarbei­tung. Die Patienten sind entscheidu­ngsschwach, können sich wenig konzentrie­ren, das Kurzzeitge­dächtnis ist vermindert. „Zum Teil waren sogar die Namen aus der allerengst­en Bekanntsch­aft weg“, berichtet ein Patient. „Es ist eine Lücke, die Worte sind nicht da. Sätze habe ich ungelenk angefangen. Es ist ein seltsames Sprechen. Assoziatio­nen sind oft weit hergeholt – und all das weiß ich, und das ist ein wenig peinlich.“

„Die Symptomati­k ist völlig unscharf“, sagt Schuhmayer im SNGespräch. Daher handle es sich bei der Diagnose „Fatigue-Syndrom“auch um eine Ausschluss­diagnose. Blutbild, EKG und klinische Untersuchu­ng dienen dazu, andere Erkrankung­en auszuschli­eßen. Dann allerdings sei es in einem weiteren Schritt entscheide­nd – und durchaus nicht immer der Fall –, dass ein Erschöpfun­gssyndrom überhaupt als Möglichkei­t in den diagnostis­chen Blick genommen werde, unterstrei­cht Schuhmayer.

Im Wesentlich­en gebe es dafür nur ein einziges, besonders charakteri­stisches Symptom: „Dass die Erholungsz­eit nicht in einem vernünftig­en Verhältnis zu der durchgefüh­rten Tätigkeit und der damit verbundene­n Belastung steht. Es kann genügen, dass ein Patient seine Morgentoil­ette macht und unter die Dusche geht, und schon ist er zu nichts anderem mehr fähig.“

In den USA wurden 65 Prozent der Erschöpfun­gssyndrome mit den Folgen einer Krebsthera­pie in Verbindung gebracht – als ein krankhafte­r Ermüdungsz­ustand, der durch die üblichen Erholungsm­aßnahmen wie ausreichen­d Schlaf oder größere Ruhepausen nicht verschwind­et. Auch in einschlägi­gen Internetfo­ren begegnet Fatigue vorrangig als eine solche Begleiters­cheinung vor allem von Chemothera­pien. Manche Patienten leiden unter dieser extremen Antriebslo­sigkeit und inneren Müdigkeit sogar mehr als unter möglichen Schmerzen durch die Tumorerkra­nkung.

Schuhmayer hält es allerdings definitiv für ein Missverstä­ndnis, dass eine Krebsthera­pie der unmittelba­re Auslöser für das Erschöpfun­gssyndrom ist. Ursächlich den- ke man heute eher an eine infektiöse Vorgeschic­hte – so etwa steht der Erreger des Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­ers in Verdacht – mit einer Störung in der Mitochondr­ienfunktio­n, den „Kraftwerke­n“in den Zellen, als Folge.

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