Das Hochsicherheits-Turnier
Die EURO 2016 wird von 90.000 Sicherheitskräften bewacht. Fußballfans müssen zahlreiche Kontrollen über sich ergehen lassen. Der Stimmung tut dies keinen Abbruch. Ein Lokalaugenschein.
Eine Europameisterschaft der Angst sollte es werden. Wegen des Terrors, dieser ständigen abstrakten Gefahr. Zumindest titelten das manche Medien, auch seriöse.
Bald ist die EURO 2016 zwei Wochen alt, aber von Terrorangst, halbvollen Stadien und leeren Public Viewings, wie befürchtet worden war, kann keine Rede sein. Sogar das Gegenteil ist eingetreten. Die Franzosen, von denen sich im Vorfeld des Turniers laut einer Umfrage jeder zweite vor einem Anschlag gefürchtet hatte, zelebrieren ihre Europameisterschaft. Das Public Viewing am Pariser Eiffelturm ist Anlaufstelle für bis zu 90.000 Menschen. Sie wollen sich weder von den Warteschlangen aufgrund der enormen Sicherheitsvorkehrungen noch vom unfreundlichen Wetter abhalten lassen.
Die Schlagzeilen schrieb bisher nicht der Terror. Es sind die randalierenden Fans, volltrunkene Engländer, schlägernde Russen und böllerwerfende Kroaten, die einen Schatten über dieses Fußballfest legen. Deutschlands größte Sorgen kreisen um einen Bundestrainer, der mit seinem Verhalten an der Seitenlinie eine Ästhetik-Debatte losgetreten hat und sich später sogar öffentlich entschuldigte.
Und Österreich? Wir sind noch im Turnier, wundern uns über die verbesserungswürdigen Leistungen von David Alaba und haben im schlimmsten Fall Angst davor, ein Tor zu erzielen. Anders ist es nicht Michael Unverdorben berichtet für die SN aus Paris zu erklären, dass das ÖFB-Team ebenso wie die Ukraine und die Türkei nach zwei Spieltagen noch bei null Treffern hält.
Von Terrorängsten dagegen spricht nach eineinhalb EM-Wochen kaum jemand. Vielleicht, weil man sich bei einem Aufgebot von 90.000 Sicherheitskräften tatsächlich sicherer fühlt. Noch nie stand bei einem Fußballturnier die Sicherheit so im Fokus, noch nie hat es so einen Aufwand gegeben. 70.000 Polizisten sind im Einsatz, dazu kommen 10.000 Soldaten und noch einmal so viele private Sicherheitsleute. Um die Stadien gibt es zwei große Kontrollringe, die jederzeit auf einen dritten ausgeweitet werden können. Besucher werden mit Metalldetektoren, Spürhunden und speziellen Handschuhen, die bei verdächtigen Gegenständen vibrieren, untersucht.
„Kein Sportereignis in Frankreich ist jemals so stark geschützt worden“, sagte Sportminister Patrick Kanner, der am Montag nach einem Treffen mit dem EM-Krisenzentrum zufrieden feststellte: „Die Zwischenbilanz ist insgesamt positiv.“Seit Turnierbeginn wurden in Frankreich 557 Menschen vorläufig festgenommen, 344 davon mussten für längere Zeit in Polizeigewahrsam. Die Behörden wiesen zudem 25 ausländische Fans aus. Alle Fälle würden aber dem Hooliganismus und keinen terroristischen Aktionen zugeordnet, sagte Kanner.
Die Angst in Frankreich wurde wohl auch geschürt mit Aussagen wie jener von Geheimdienstchef Patrick Calvar, der kurz vor Beginn der EURO meinte: „Frankreich ist heute ganz klar das am stärksten bedrohte Land.“Die Frage sei nicht, ob es neue Anschlagspläne gebe, sondern wann und wo. Eine Absage des Turniers stand trotzdem nie zur Debatte. „Auf die EURO zu verzichten hätte bedeutet, der schändlichen Erpressung der Terroristen nachzugeben“, betonte Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve mit voller Überzeugung.
Spürbar wird die Angst einzig bei einem Abstecher zum Bataclan. Hier im Herzen der Stadt wurden am 13. November 2015 bei einem Terroranschlag 89 Besucher eines Rockkonzerts ermordet, insgesamt starben 130 Menschen. Noch immer erinnern zahlreiche Kerzen und Blumen vor dem Konzertsaal an diesen schwarzen Tag. Ein beklemmendes Gefühl für jeden, der hier vorbeikommt. Während der EURO hat das Bataclan noch geschlossen, im November soll es wieder für Konzerte geöffnet werden.
Nur ein paar U-Bahn-Stationen weiter wird beim Public Viewing mitgefiebert, gejubelt und gefeiert. Als würden diese Leute demonstrieren wollen: Dies ist keine Europameisterschaft der Angst.