Möge die Übung gelingen
Meditation ist gesundheitsfördernd und öffnet den Geist. Man muss weder Buddhist noch Yoga-Profi sein, um das Meditieren zu erlernen. Die Versenkung beginnt beim Zähneputzen. Ein Wiener Mediziner erklärt, wie das geht.
WIEN. Meditation löst Angststörungen, reduziert Stress und kann den Blutdruck senken. Meditation wirkt schmerzstillend und kann – bei einiger Übung – sogar dauerhaft Gehirnströme verändern. Sie hilft bei Burn-out. Das alles wurde in Studien gezeigt. Meditation sollte es eigentlich auf Rezept geben, so viele gesundheitliche und psychologische Vorteile hat die Technik, den Geist zu schärfen. Denn nichts anderes bewirkt sie. „Wenn man meditiert, ist man grundsätzlich hellwach und hoch konzentriert“, sagt der Wiener Radiologe und Meditationslehrer Peter Riedl. Er befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit der Methode und meint: „Meditation ist ein Zustand der nach innen gerichteten Achtsamkeit.“
Die Technik, seinen Geist im Hier und Jetzt zu sammeln, ist keine Frage des Glaubens. Meditation, was so viel wie Nachdenken oder Nachsinnen bedeutet, ist ein uraltes Mittel der Versenkung in allen Kulturen und Religionen. Sie beginnt mit der sogenannten Achtsamkeit. Ein altes Wort, das früher einen Zustand gesellschaftlichen Anstands beschrieb. Riedl meint es in einem anderen Sinn.
Das Achten auf seine eigenen Gedanken, das bewusste Erleben seiner Handlungen führe zu einer profunden und umfassenden Änderung der Sichtweise auf die Welt und sein Leben, meint er. „Doch das Problem sind unsere Gedanken“, schreibt er in seinem kleinen Buch „Möge die Übung gelingen“. Das Buch ist eine praktische und leicht verständliche Anleitung zur Meditationstechnik – jenseits von Religion und Esoterik.
Menschen der westlichen Kultur seien es gewohnt, ihre Aufmerksamkeit vor allem nach außen zu richten, schreibt er. Der größte Teil der inneren Welt bleibe unbeachtet. Die Menschen gingen eigentlich „schlafend“durch die Welt. Zum Aufwecken schlägt der Mediziner eine praktische Übung für Einsteiger vor. Gleich beim Zähneputzen am Morgen. Man solle auf die kleinen, unzähligen Handgriffe achten, die man dabei ausführt. Vom Aufschrauben der Tube bis hin zum Putzen der Zähne. Wie fühlt sich der Stöpsel der Tube an? Wie die Borsten der Bürste auf den Zähnen? Was machen die Hände dabei? Wie fühlt sich der Boden unter den Füßen an? Und so weiter. Man solle möglichst an nichts anderes denken. Nach einigen morgendlichen Anläufen werde die Übung gelingen, verspricht Riedl.
Der Zustand während der Meditation sei mit dem eines Freeclimbers zu vergleichen, sagt Riedl. Der Sportler erreiche während der Ausübung seiner Tätigkeit einen mentalen Zustand, der von der Forschung als „Flow“bezeichnet werde. „Dabei konzentriert sich der Freeclimber allein auf die eine einzige Handbewegung. Auf sonst nichts anderes“, sagt Riedl. In diesen Zustand kann auch ein Chirurg geraten, der sich in eine schwierige Operation vertieft. Auch manche Programmierer sollen eine Art Flow erleben, wenn sie sich intensiv mit ihrem Code beschäftigen.
Meditation ist die Konzentration auf das eigene Selbst. „Es ist lohnend, sich auf diese Übung einzulassen“, sagt Riedl. Denn die Meditation ermöglicht es dem Menschen, Schwächen wie Neid, Gier oder Angst zu überwinden.
Meditation wird gern mit autogenem Training gleichgesetzt. Doch die beiden mentalen Übungen haben nicht viel miteinander zu tun. Der Sportmediziner Piero Lercher von der Medizinuniversität Wien erklärt dazu: „Autogenes Training ist eine Entspannungstechnik, die auf Autosuggestion, also Selbstbeeinflussung, basiert. Allein durch Vorstellungskraft kann man im Optimalfall eine tiefe körperliche Entspannung erreichen. Dadurch werden Muskelverspannungen gelöst, die Durchblutung wird gefördert. Puls und Atemfrequenz senken sich. Dadurch werden ein Wohlbefinden und ein beruhigendes Gefühl erzeugt.“
Autogenes Training könne auch bei sogenannten psychosomatischen Erkrankungen wie Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen oder Tinnitus angewendet werden. Ohne ärztliche Diagnose sollte aber keine Behandlung durchgeführt werden, rät der Sportmediziner.
Autogenes Training könne bei Depressionen oder Psychosen sogar gefährlich sein. Ebenso müssten Asthmatiker und Personen mit Herzrhythmusstörungen Vorsicht walten lassen.
Gute Ergebnisse erzielt autogenes Training bei Stress, Nervosität oder auch bei Schul- und Prüfungsangst.
Meditation hingegen ist eher ein Weg denn eine reine Entspannungstechnik. Auch ohne religiösen Hintergrund. Sie ist ein Weg zur Hingabe und einer vorurteilsfreien Sichtweise auf die Welt und die Menschen. „Sie meditieren noch nicht, wenn Sie einfach nur die Augen schließen. Aber es ist immerhin ein Anfang“, sagt Riedl. Man gerate auch nicht in Trance, wie viele glauben, zerstreut Riedl manche Bedenken. Im Gegenteil: Man sei hellwach und jederzeit ansprechbar. Geübte könnten immer und überall, im Bus, in der Straßenbahn, im Kaffeehaus, diesen Zustand abrufen.
„Die Reise ins eigene Innere ist die wichtigste im Leben.“Peter Riedl, Arzt, Meditationslehrer