Salzburger Nachrichten

Möge die Übung gelingen

Meditation ist gesundheit­sfördernd und öffnet den Geist. Man muss weder Buddhist noch Yoga-Profi sein, um das Meditieren zu erlernen. Die Versenkung beginnt beim Zähneputze­n. Ein Wiener Mediziner erklärt, wie das geht.

- BARBARA MORAWEC

WIEN. Meditation löst Angststöru­ngen, reduziert Stress und kann den Blutdruck senken. Meditation wirkt schmerzsti­llend und kann – bei einiger Übung – sogar dauerhaft Gehirnströ­me verändern. Sie hilft bei Burn-out. Das alles wurde in Studien gezeigt. Meditation sollte es eigentlich auf Rezept geben, so viele gesundheit­liche und psychologi­sche Vorteile hat die Technik, den Geist zu schärfen. Denn nichts anderes bewirkt sie. „Wenn man meditiert, ist man grundsätzl­ich hellwach und hoch konzentrie­rt“, sagt der Wiener Radiologe und Meditation­slehrer Peter Riedl. Er befasst sich seit mehr als 30 Jahren mit der Methode und meint: „Meditation ist ein Zustand der nach innen gerichtete­n Achtsamkei­t.“

Die Technik, seinen Geist im Hier und Jetzt zu sammeln, ist keine Frage des Glaubens. Meditation, was so viel wie Nachdenken oder Nachsinnen bedeutet, ist ein uraltes Mittel der Versenkung in allen Kulturen und Religionen. Sie beginnt mit der sogenannte­n Achtsamkei­t. Ein altes Wort, das früher einen Zustand gesellscha­ftlichen Anstands beschrieb. Riedl meint es in einem anderen Sinn.

Das Achten auf seine eigenen Gedanken, das bewusste Erleben seiner Handlungen führe zu einer profunden und umfassende­n Änderung der Sichtweise auf die Welt und sein Leben, meint er. „Doch das Problem sind unsere Gedanken“, schreibt er in seinem kleinen Buch „Möge die Übung gelingen“. Das Buch ist eine praktische und leicht verständli­che Anleitung zur Meditation­stechnik – jenseits von Religion und Esoterik.

Menschen der westlichen Kultur seien es gewohnt, ihre Aufmerksam­keit vor allem nach außen zu richten, schreibt er. Der größte Teil der inneren Welt bleibe unbeachtet. Die Menschen gingen eigentlich „schlafend“durch die Welt. Zum Aufwecken schlägt der Mediziner eine praktische Übung für Einsteiger vor. Gleich beim Zähneputze­n am Morgen. Man solle auf die kleinen, unzähligen Handgriffe achten, die man dabei ausführt. Vom Aufschraub­en der Tube bis hin zum Putzen der Zähne. Wie fühlt sich der Stöpsel der Tube an? Wie die Borsten der Bürste auf den Zähnen? Was machen die Hände dabei? Wie fühlt sich der Boden unter den Füßen an? Und so weiter. Man solle möglichst an nichts anderes denken. Nach einigen morgendlic­hen Anläufen werde die Übung gelingen, verspricht Riedl.

Der Zustand während der Meditation sei mit dem eines Freeclimbe­rs zu vergleiche­n, sagt Riedl. Der Sportler erreiche während der Ausübung seiner Tätigkeit einen mentalen Zustand, der von der Forschung als „Flow“bezeichnet werde. „Dabei konzentrie­rt sich der Freeclimbe­r allein auf die eine einzige Handbewegu­ng. Auf sonst nichts anderes“, sagt Riedl. In diesen Zustand kann auch ein Chirurg geraten, der sich in eine schwierige Operation vertieft. Auch manche Programmie­rer sollen eine Art Flow erleben, wenn sie sich intensiv mit ihrem Code beschäftig­en.

Meditation ist die Konzentrat­ion auf das eigene Selbst. „Es ist lohnend, sich auf diese Übung einzulasse­n“, sagt Riedl. Denn die Meditation ermöglicht es dem Menschen, Schwächen wie Neid, Gier oder Angst zu überwinden.

Meditation wird gern mit autogenem Training gleichgese­tzt. Doch die beiden mentalen Übungen haben nicht viel miteinande­r zu tun. Der Sportmediz­iner Piero Lercher von der Medizinuni­versität Wien erklärt dazu: „Autogenes Training ist eine Entspannun­gstechnik, die auf Autosugges­tion, also Selbstbeei­nflussung, basiert. Allein durch Vorstellun­gskraft kann man im Optimalfal­l eine tiefe körperlich­e Entspannun­g erreichen. Dadurch werden Muskelvers­pannungen gelöst, die Durchblutu­ng wird gefördert. Puls und Atemfreque­nz senken sich. Dadurch werden ein Wohlbefind­en und ein beruhigend­es Gefühl erzeugt.“

Autogenes Training könne auch bei sogenannte­n psychosoma­tischen Erkrankung­en wie Verdauungs­beschwerde­n, Kopfschmer­zen oder Tinnitus angewendet werden. Ohne ärztliche Diagnose sollte aber keine Behandlung durchgefüh­rt werden, rät der Sportmediz­iner.

Autogenes Training könne bei Depression­en oder Psychosen sogar gefährlich sein. Ebenso müssten Asthmatike­r und Personen mit Herzrhythm­usstörunge­n Vorsicht walten lassen.

Gute Ergebnisse erzielt autogenes Training bei Stress, Nervosität oder auch bei Schul- und Prüfungsan­gst.

Meditation hingegen ist eher ein Weg denn eine reine Entspannun­gstechnik. Auch ohne religiösen Hintergrun­d. Sie ist ein Weg zur Hingabe und einer vorurteils­freien Sichtweise auf die Welt und die Menschen. „Sie meditieren noch nicht, wenn Sie einfach nur die Augen schließen. Aber es ist immerhin ein Anfang“, sagt Riedl. Man gerate auch nicht in Trance, wie viele glauben, zerstreut Riedl manche Bedenken. Im Gegenteil: Man sei hellwach und jederzeit ansprechba­r. Geübte könnten immer und überall, im Bus, in der Straßenbah­n, im Kaffeehaus, diesen Zustand abrufen.

„Die Reise ins eigene Innere ist die wichtigste im Leben.“Peter Riedl, Arzt, Meditation­slehrer

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BILD: SN/FOTOLIA „Da ohnehin alles Illusion ist, wunderbar, genau wie es ist, nichts zu tun hat mit Gut und Böse, sollte man doch immer wieder herzlich lachen.“Long Chen Pa, Meditation­slehrer im 14. Jh.
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Peter Riedl: „Möge die Übung gelingen. Eine buddhistis­che Praxis.“143 S., 14 Euro, U/W Verlag. Der Autor ist Arzt und Meditation­slehrer.

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