Salzburger Nachrichten

Der lange Arm Erdogans macht Österreich­ern Angst

Die Erdoğan-Türkei hat in der EU nichts verloren. Das Land erfüllt die Kriterien für einen Beitritt nicht. Eine Partnersch­aft ist möglich.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SALZBURG.COM

Was derzeit in der Türkei abgeht, ist bizarr: Der Staatspräs­ident richtet sich das Land nach seinem gruseligen Geschmack her: kritische Journalist­en, liberale Lehrer, gemäßigte Beamte, unabhängig­e Richter, verfassung­streue Polizisten – alle weg. Wer im Verdacht steht, irgendetwa­s mit Erdoğans religiösem Gegenspiel­er Fethullah Gülen zu tun oder möglicherw­eise einen Kurden in der entfernten Verwandtsc­haft zu haben, wird seines Amts enthoben oder gar ins Gefängnis gesteckt.

Zu allem Überfluss lässt Erdoğan jetzt über die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e nachdenken. Die Türkei, einst ein hoffnungsv­olles Land auf dem Weg in ein freies Europa, geht schnurstra­cks zurück ins finstere Mittelalte­r.

In der EU hat das Land unter diesen Umständen nichts verloren. Es wäre besser, die derzeit laufenden Beitrittsv­erhandlung­en abzubreche­n. Ob nun Todesstraf­e oder nicht, die Türkei erfüllt auch sonst die Voraussetz­ungen für eine Aufnahme in die Union nicht. Dazu gehören nämlich ein funktionie­render Rechtsstaa­t, Demokratie und vor allem die Einhaltung der Menschenre­chte.

Da Europa die Türkei aus wirtschaft­lichen und militärisc­hen Gründen braucht, sollte weiterhin eine Partnersch­aft angepeilt werden. Die einstige EUKommissa­rin aus Österreich, Benita Ferrero-Waldner, hat für Länder wie die Türkei oder die Ukraine nie einen Beitritt ins Auge gefasst, sondern den Status einer „privilegie­rten Partnersch­aft“angestrebt. Etwas, was jetzt auch die Briten haben möchten.

Die derzeit auf Abwegen befindlich­e Türkei ganz zu verstoßen wäre falsch und überzogen. Würde die EU mit niemandem mehr reden, der mit Menschenre­chten auf Kriegsfuß steht und sogar die Todesstraf­e anwendet, ihr Schmusekur­s zu den USA oder China müsste längst beendet sein. Man sollte hier nicht mit zweierlei Maß messen.

Angst macht vielen Österreich­ern der lange Arm des Erdoğan-Regimes über die eigenen Grenzen hinaus. Illegale Demonstrat­ionen, Aufrufe zur Vernaderun­g der eigenen Landsleute, tätliche Übergriffe auf Kurden – und das alles in Österreich. Hier wird ein Konflikt in unser Land getragen. Das wollen wir aber nicht.

Dass türkischst­ämmige Menschen über die Ereignisse in ihrer früheren Heimat beunruhigt sind, ist verständli­ch. Dass sie aber unsere Straßen zum Schauplatz ihres Frusts machen und ein Spitzelwes­en für den Sultan aufziehen wollen, geht gar nicht.

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