Salzburger Nachrichten

Eine gute Versicheru­ng ist doch besser als jede Ausbildung

Das neue Motto: Jeder darf alles, bei Versagen zahlt die Versicheru­ng. Ausbildung? Wozu? Doch nur Fesseln für die Tüchtigen!

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In der Bundesregi­erung ist die Nachricht angekommen, dass Österreich nicht so glänzend abschneide­t, wie man dies gern in Vergleiche­n mit schwächere­n Volkswirts­chaften darstellt. Also werden Ideen geboren.

Eine dieser Ideen besteht in der „Entrümpelu­ng der Gewerbeord­nung“. Das Schlagwort begleitet die Wirtschaft­spolitik schon lang und lautet übersetzt in die Umgangsspr­ache: „Jeder und jede sollen jeden Beruf ausüben dürfen!“Diese Maxime wird als Ausdruck der Freiheit missversta­nden.

Tatsächlic­h bedeutet dieser Wahlspruch, dass man als Kunde nie wissen kann, ob der anbietende Gewerbetre­ibende sein Handwerk versteht oder nicht. Zu dieser Frage gibt es eine skurrile Antwort: Auf dem freien Markt möge man sich einen besseren suchen. Ein hilfreiche­r Rat, wenn eben im Haus größere Schäden angerichte­t wurden und der Unternehme­r sich in den Konkurs verabschie­det hat.

Die Verfechter dieser sonderbare­n Freiheit haben auch eine Lösung parat: Jeder Anbieter muss eine Haftpflich­tversicher­ung abschließe­n, aus der eventuelle Schäden zu bezahlen sind. Kurios: Alle Dilettante­n werden auf die Kunden losgelasse­n. Die Versicheru­ng mutiert zur Gewerbepol­izei: Handwerker, die laufend Schäden verursache­n, werden nicht mehr versichert und müssen ihre Tätigkeit einstellen.

Man sollte meinen, dass die unglaublic­h gestiegene­n Ansprüche in jedem Bereich der gewerblich­en Wirtschaft die Qualifikat­ion in das Zentrum aller Überlegung­en rücken. Das Gegenteil wird nun auch in Österreich angestrebt. In der EU wird eifrig die Meisterprü­fung bekämpft. In den USA leiden die Haushalte unter dem Mangel an gut ausgebilde­ten Profession­isten seit Langem.

Die vermeintli­ch „Liberalen“unterliege­n einem Irrtum. Liberalism­us bedeutet nicht, dass alle alles dürfen. Liberalism­us bedeutet, dass Personen mit der entspreche­nden Ausbildung ohne jede weitere Behinderun­g durch eine Behörde oder eine Kammer den nachweisli­ch erlernten Beruf ausüben dürfen. Die Behinderun­g besteht nicht in der Meisterprü­fung oder anderen Qualifikat­ionen, diese befähigen die Absolvente­n zur Ausübung des Berufs. Die Behinderun­g besteht in der Bürokratie.

Die Bekämpfung der Berufsausb­ildung entspricht der gesamten Bildungspo­litik. In der Volksschul­e, die schon jetzt zu viele Zehnjährig­e verabschie­det, die nicht sinnerfass­end lesen und schreiben können, wurde nun die Notenpflic­ht eingeschrä­nkt, damit die lieben Kleinen nicht belastet werden. Dazu passen die Bemühungen, alle Zehn- bis 14-Jährigen in eine Gesamtschu­le zu pressen, die sich notgedrung­en am Niveau der Schwächste­n orientiere­n muss. Auf, auf in die wissensbas­ierte Zukunft!

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Ronald Barazon

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