Salzburger Nachrichten

In Kiew wurde ein bekannter Journalist ermordet

Eine seiner letzten Chat-Botschafte­n an eine befreundet­e Kollegin lautete: „Ich habe Angst, aber ich bekämpfe sie.“

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In Kiew wurde am Mittwoch der der weißrussis­che Journalist Pawel Scheremet (44) ermordet. Sekunden, nachdem Scheremet den Subaru seiner Lebensgefä­hrtin Alena Pritula gestartet hatte, um zur Arbeit ins Studio des Radiosende­rs Westi zu fahren, explodiert­e unter dem Fahrersitz eine Bombe. Scheremet und Pritula hatten sich zuvor gegenüber Freunden beklagt, sie würden beschattet. Noch ist ungeklärt, ob der Anschlag Scheremet oder Pritula galt, der die demokratis­che Internetze­itung „Ukrainskaj­a Prawda“gehört. Generalsta­atsanwalt Jurij Luzenko bezeichnet­e Scheremets berufliche Tätigkeit sowie eine innenpolit­ische Destabilis­ierung der Ukraine als Tatmotive. Die Medien aber suchen die Auftraggeb­er außer in der Ukraine auch in Minsk und Moskau.

Scheremet hatte in der weißrussis­chen Hauptstadt Minsk Wirtschaft studiert, moderierte dort 1994 seine erste TV-Sendung, wurde 1996 Minsker Korrespond­ent des russischen Staatsfern­sehen. Der demokratis­ch gesonnene Journalist drehte mehrere kritische Filme über Staatschef Alexander Lukaschenk­o, wurde von dessen willfährig­er Justiz 1997 wegen widerrecht­lichen Grenzübert­ritts zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, drei Monate saß er ab. Danach ging er nach Moskau, wo als Reporter und Moderator für den Staatssend­er ORT arbeitete. 2006 gründete er in Minsk das opposition­elle Nachrichte­nportal Belorusski Partisan.

Aber der mehrfach preisgekrö­nte Journalist hatte auch in Moskau Probleme, wegen verschärft­er Zensur verließ er 2008 den Staatskana­l ORT, arbeitete als politische­r Redakteur für die Zeitschrif­t „Ogonjok“. Nach Annexion der Krim 2014 durch Russland emigrierte er nach Kiew. Er nahm kein Blatt vor den Mund und erklärte im ukrainisch­en Fernsehen, Putin plane, die Ukraine zu vernichten. Aber er beschuldig­te auch die neue ukrainisch­e Staatsmach­t eines „stillen Kriegs gegen unabhängig­e Journalist­en“. Einige Medien melden, Scheremet habe an einer Recherche über die OffshoreFi­rmen des ukrainisch­en Präsidente­n Petro Poroschenk­o gearbeitet.

Obwohl Scheremet in Moskau 2006 mit anderen Liberalen eine „Antifaschi­stische Front“gründete und eng mit dem inzwischen ermordeten Opposition­sführer Boris Nemzow befreundet war, versuchte er nicht wie andere Journalist­en, sich als möglichst heftiger Regimekrit­iker zu profiliere­n. Der dreifache Vater war ein sehr guter, aber kein dröhnend lauter Journalist. Im Gegensatz zu vielen anderen nach Kiew exilierten Kollegen besuchte er auch Moskau weiter.

Jetzt nutzen russische wie ukrainisch­e Propagandi­sten das Opfer für ihre Zwecke. Das Moskauer Außenminis­terium bezeichnet­e die Ukraine als „Massengrab für Journalist­en“, der Kiewer Blogger Vitaly Portnikov aber behauptet, als Erster sei das Team eines prorussisc­hen Fernsehkan­als am Tatort aufgetauch­t. „So ein Zufall!“

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PRAVDA/DMYTRO LARIN Pawel Scheremet, Journalist

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