Und Spanien bewegt sich doch
Seit mehr als 200 Tagen gelingt keine Regierungsbildung. Nun zeichnet sich ein konservatives Minderheitskabinett unter dem alten Premier Mariano Rajoy ab.
Es ist ein Lichtblick: Bei ihrer ersten Sitzung nach der Neuwahl konnten sich die spanischen Abgeordneten auf eine Parlamentspräsidentin einigen – ein Zeichen, dass sich in dem Land, das seit mehr als 200 Tagen von einer Übergangsregierung geleitet wird, doch etwas bewegt.
Am wahrscheinlichsten scheint derzeit ein konservatives Minderheitskabinett, das vom bisherigen geschäftsführenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy angeführt wird. Spanien ist die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone, kämpft mit einem Schuldenberg, hoher Arbeitslosigkeit und braucht dringend Reformen. Seit Rajoy, der seit Ende 2011 an der Macht ist, bei den Wahlen im Dezember 2015 seine absolute Mehrheit verlor, steht Spanien still. Weder Rajoy noch der sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez schafften eine Regierungsbildung. Deswegen musste am 26. Juni neu gewählt werden. Der Urnengang bescherte Rajoy zwar trotz der unzähligen Korruptionsskandale seiner Partei einen überraschenden Stimmenzuwachs, aber keine tragfähige Mehrheit.
Wenigstens ein Juniorpartner, der Rajoy behilflich sein könnte, trat nun aus dem Nebel: Die kleine bürgerlich-liberale Partei Ciudadanos (Bürger) wählte zusammen mit Rajoys Volkspartei die konservative Politikerin und Ex-Verkehrsministerin Ana Pastor zur Parlamentspräsidentin. Ralph Schulze berichtet für die SN aus Spanien Die Bürgerpartei bekam zur Belohnung ein paar Posten im Abgeordnetenhaus zugeschoben. Die Parlamentsvorsitzende ist laut Verfassung nach dem königlichen Staatschef und dem Ministerpräsidenten die drittmächtigste Person im politischen System.
Ciudadanos-Chef Albert Rivera deutete an, dass er auch einer konservativen Minderheitsregierung von Rajoy nicht im Wege stehen werde. Seine 32 Abgeordneten könnten sich bei der entscheidenden Abstimmung im Parlament enthalten. Das reicht zwar noch nicht für eine Mehrheit Rajoys, der nur über 137 der insgesamt 350 Parlamentsmandate verfügt. Aber mit der Enthaltung weiterer Parteien könnte es klappen.
Bei der Wahl der Parlamentspräsidentin hatten sich zum Beispiel die katalanischen und baskischen Regionalparteien neutral verhalten. Die Konservativen versprachen ihnen als Gegenleistung den begehrten Fraktionsstatus im Parlament. Einen ähnlichen Kuhhandel könnte Rajoy bei der Regierungsbildung versuchen. Die Sozialisten und das Linksbündnis Podemos werden Rajoy jedenfalls nicht unterstützen.
Den nächsten Zug muss nun König Felipe tun. Er wird alle Spitzenpolitikern in den Palast rufen und mit ihnen ausloten, wer die besten Chancen hat, vom Parlament zum Regierungschef gewählt zu werden. Dies dürfte Rajoy sein, der vom König offiziell vorschlagen werden müsste. „Spanien braucht dringend eine Regierung“, sagt Rajoy. Niemand würde ihm dabei widersprechen. Sollte die Regierungsbildung erneut scheitern, müsste zum dritten Mal innerhalb eines Jahres gewählt werden. Das wäre ein Albtraum und ein Totalversagen der Führer der politischen Parteien Spaniens. In diesem Fall, so donnerte die große nationale Zeitung „El País“in einem Leitartikel, „sollten sie alle abtreten.“