Salzburger Nachrichten

Geht es um Selbststän­digkeit, fehlt Österreich das rechte Maß

- SALZBURG.COM/GEWAGTGEWO­NNEN

Beginnen wir auf sicherem Terrain: Wir alle wollen keine Uberisieru­ng der Arbeit, sprich: ein Modell wie beim umstritten­en US-Fahrtendie­nst Uber, der von Investoren mit 55 Mrd. Dollar bewertet wird. Uber hat keine Angestellt­en, weil alle Fahrer freiberufl­ich arbeiten und sich entspreche­nd selbst versichern und Abgaben zahlen (müssen). Eine Zeit lang fand das Modell Uber viele Nachahmer: Vermittlun­gsplattfor­men für freiberufl­iche Putzkräfte, Essenszust­eller und Supermarkt­einkäufer gingen an den Start – und verlagerte­n damit das Unternehme­rrisiko auf eine Heerschar von Einzelnen. Doch abgesehen von den rechtliche­n und steuerlich­en Problemen, die solche Konstrukti­onen mit sich bringen, hat das Geschäftsm­odell oft nicht funktionie­rt: InternetSt­art-ups wie Book a Tiger (Reinigung) oder Foodora (Essenszust­ellung) sind mittlerwei­le von Freelancer­n auf festangest­ellte Mitarbeite­r umgestiege­n. Schlicht und einfach, weil die Bindung zu gering und die Fluktuatio­n zu hoch war.

Schwierige­r wird die Sache dort, wo es um echte Selbststän­dige geht, die ganz umgekehrt zwangsweis­e zu Angestellt­en umdefinier­t werden. Fast 300.000 Solo-Selbststän­dige oder Ein-Personen-Unternehme­n gibt es mittlerwei­le in Österreich, sagt die Wirtschaft­skammer, vom Designer bis zum Handelsver­treter, von der Trainerin bis zur Buchhalter­in. Allerdings: Die Sozialvers­icherungen hegen den Generalver­dacht, dass viele von ihnen Scheinselb­stständige sind, und verlangen in vielen Fällen ruinöse Nachzahlun­gen und Zwangsanst­ellungen im Nachhinein. Zuletzt hat der Fall des Schlafsyst­emherstell­ers Wenatex in Salzburg für Aufsehen gesorgt, von dem die Gebietskra­nkenkasse 12,9 Millionen Euro verlangt, weil sie seine Handelsver­treter nicht als selbststän­dig anerkennt – wiewohl Handelsver­treter seit jeher ein eigenes Gewerbe sind, dessen Mitglieder auf eigene Rechnung und durchgängi­g für mehrere Kunden arbeiten. Und natürlich sind sie sozialvers­ichert, nur eben bei einer anderen Kasse, der SVA. Das zeigt, dass dieses Land, hinund hergerisse­n zwischen Schutz und Bevormundu­ng, endlich eine klare, zeitgemäße Grenzziehu­ng zwischen Selbststän­digen und Angestellt­en vornehmen muss. Unternehme­n und Versichert­e dürfen nicht den stets nach neuen Einnahmen gierenden Kassen ausgeliefe­rt werden. Es ist ganz einfach: Will man Start-ups fördern, muss man die Rahmenbedi­ngungen für alle Klein- und Mittelbetr­iebe verbessern. Sonst wird es diese Unternehme­n bald nicht mehr hier geben, sondern anderswo.

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Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der creativ wirtschaft austria.
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Gertraud Leimüller

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