Salzburger Nachrichten

Krebsthera­pie neu (I): So wird das Immunsyste­m wieder scharf

Im Kampf gegen den Krebs kommt es bei den zuständige­n T-Zellen zu Ermüdungse­rscheinung­en.

- Univ.-Prof. Dr. Richard Greil ist Vorstand der Universitä­tsklinik für Medizin III in Salzburg. Lesen Sie morgen: Neues zum Prostataka­rzinom.

Die sogenannte­n T-Zellen sind ein zentraler Bestandtei­l des Immunsyste­ms. Sie können Infektione­n – zum Beispiel auch Hepatitisv­iren – oder Krebszelle­n erkennen und ausschalte­n. Dabei muss aber die Immunreakt­ion zeitlich und in ihrem Ausmaß begrenzt werden, wenn die Attacken gegen die virustrage­nden Körperzell­en nicht schwere Organschäd­en bis zum allenfalls möglichen tödlichen Organversa­gen auslösen sollen.

Die notwendige Begrenzung der Immunreakt­ion geschieht durch eine physiologi­sche Selbstbegr­enzung der Abwehrzell­en. Kann das Virus nicht eliminiert werden, wird die kontrollie­rte Erschöpfun­g der Immunabweh­r eingeleite­t. Es kommt zur Toleranz des Immunsyste­ms und zu einer chronische­n Infektion.

Tumorzelle­n nützen diese äußerst komplexen Mechanisme­n der Bremse quasi als Achillesse­hne der Immunabweh­r, um sich vor deren Attacken zu schützen. Die Abwehrzell­en können zwar den Tumor noch erkennen, sie können sich aber nicht mehr ausreichen­d vermehren und den Tumor nicht mehr eliminiere­n. Es entsteht eine Toleranz gegenüber dem Tumor.

Der neue Therapiean­satz ist nun im Grunde der, dass wir durch Antikörper versuchen, das Immunsyste­m wieder scharf zu machen. Wir müssen die eingetrete­ne Erschöpfun­g der TZellen aufheben und sie zum Leben erwecken, damit sie den Tumor neuerlich bekämpfen. Dabei kommen Antikörper zum Einsatz, die die durch den Tumor vermittelt­e Erschöpfun­gsreaktion hemmen oder immunstimu­lierende Rezeptoren an der T-Zelloberfl­äche aktivieren. Die T-Zellen sind damit wieder „scharf“.

Dabei kommt den Medizinern – entgegen der bisherigen Meinung – eine Mutation des Tumors, also eine Veränderun­g seiner Zellformen, durchaus entgegen. Bisher meinte man, die T-Zellen seien grundsätzl­ich nicht in der Lage, die neuen Antigene zu erkennen, die durch die Mutation eines Tumors entstehen. Das kommt naturgemäß auch vor.

Zunehmend taucht aber jetzt eine neue Sichtweise auf, die sehr dafür spricht, dass das Immunsyste­m den Tumor in viel höherem Ausmaß erkennen kann als bisher vermutet, ja dass die Reaktivier­ung des Immunsyste­ms umso klinisch erfolgreic­her sein könnte, je mehr an Mutationsl­ast und damit potenziell erkennbare­n Neo-Antigenen vorhanden ist. Dies erklärt auch die hohe Wirksamkei­t dieser neuen Behandlung­en bei Melanomen, Lungenkreb­s und Tumoren des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs.

Der Erkennungs­prozess ist intakt, wir müssen nur dafür sorgen, dass die T-Zellen aus ihrer Erschöpfun­g erwachen und die Neo-Antigene auch tatsächlic­h bekämpfen. Es braucht also einen spezifisch­en Mechanismu­s, der die T-Zellen wieder scharf macht.

Die Geschwindi­gkeit, mit der die neuen Erkenntnis­se in einer Vielzahl neuer Therapiemö­glichkeite­n umgesetzt werden, ist beeindruck­end. Wir haben im Moment die aus medizinisc­her Sicht sehr günstige Situation, dass eine ganze Reihe von Hersteller­n sehr viele verschiede­ne Produkte herausbrin­gt. Das heißt, die Konkurrenz und die Auswahl sind groß. Dadurch entsteht ein Preisdruck, wie es ihn in der Onkologie noch nie gegeben hat.

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