Krebstherapie neu (I): So wird das Immunsystem wieder scharf
Im Kampf gegen den Krebs kommt es bei den zuständigen T-Zellen zu Ermüdungserscheinungen.
Die sogenannten T-Zellen sind ein zentraler Bestandteil des Immunsystems. Sie können Infektionen – zum Beispiel auch Hepatitisviren – oder Krebszellen erkennen und ausschalten. Dabei muss aber die Immunreaktion zeitlich und in ihrem Ausmaß begrenzt werden, wenn die Attacken gegen die virustragenden Körperzellen nicht schwere Organschäden bis zum allenfalls möglichen tödlichen Organversagen auslösen sollen.
Die notwendige Begrenzung der Immunreaktion geschieht durch eine physiologische Selbstbegrenzung der Abwehrzellen. Kann das Virus nicht eliminiert werden, wird die kontrollierte Erschöpfung der Immunabwehr eingeleitet. Es kommt zur Toleranz des Immunsystems und zu einer chronischen Infektion.
Tumorzellen nützen diese äußerst komplexen Mechanismen der Bremse quasi als Achillessehne der Immunabwehr, um sich vor deren Attacken zu schützen. Die Abwehrzellen können zwar den Tumor noch erkennen, sie können sich aber nicht mehr ausreichend vermehren und den Tumor nicht mehr eliminieren. Es entsteht eine Toleranz gegenüber dem Tumor.
Der neue Therapieansatz ist nun im Grunde der, dass wir durch Antikörper versuchen, das Immunsystem wieder scharf zu machen. Wir müssen die eingetretene Erschöpfung der TZellen aufheben und sie zum Leben erwecken, damit sie den Tumor neuerlich bekämpfen. Dabei kommen Antikörper zum Einsatz, die die durch den Tumor vermittelte Erschöpfungsreaktion hemmen oder immunstimulierende Rezeptoren an der T-Zelloberfläche aktivieren. Die T-Zellen sind damit wieder „scharf“.
Dabei kommt den Medizinern – entgegen der bisherigen Meinung – eine Mutation des Tumors, also eine Veränderung seiner Zellformen, durchaus entgegen. Bisher meinte man, die T-Zellen seien grundsätzlich nicht in der Lage, die neuen Antigene zu erkennen, die durch die Mutation eines Tumors entstehen. Das kommt naturgemäß auch vor.
Zunehmend taucht aber jetzt eine neue Sichtweise auf, die sehr dafür spricht, dass das Immunsystem den Tumor in viel höherem Ausmaß erkennen kann als bisher vermutet, ja dass die Reaktivierung des Immunsystems umso klinisch erfolgreicher sein könnte, je mehr an Mutationslast und damit potenziell erkennbaren Neo-Antigenen vorhanden ist. Dies erklärt auch die hohe Wirksamkeit dieser neuen Behandlungen bei Melanomen, Lungenkrebs und Tumoren des Hals-Nasen-Ohren-Bereichs.
Der Erkennungsprozess ist intakt, wir müssen nur dafür sorgen, dass die T-Zellen aus ihrer Erschöpfung erwachen und die Neo-Antigene auch tatsächlich bekämpfen. Es braucht also einen spezifischen Mechanismus, der die T-Zellen wieder scharf macht.
Die Geschwindigkeit, mit der die neuen Erkenntnisse in einer Vielzahl neuer Therapiemöglichkeiten umgesetzt werden, ist beeindruckend. Wir haben im Moment die aus medizinischer Sicht sehr günstige Situation, dass eine ganze Reihe von Herstellern sehr viele verschiedene Produkte herausbringt. Das heißt, die Konkurrenz und die Auswahl sind groß. Dadurch entsteht ein Preisdruck, wie es ihn in der Onkologie noch nie gegeben hat.