Der reine Tor muss in ein Kloster
Was wurde nicht alles geraunt über den neuen „Parsifal“bei den Bayreuther Festspielen. Er spielt in einer Kirche und in einem Hamam, im Regen und mit Soldaten. Das Neue aber steigt aus dem magischen Orchestergraben auf.
Irgendwie wirkt die Fürstin frustriert. Kaum jemand beachtet sie, der rote Teppich wurde ob des Amoklaufs in München abgeschafft, das Blitzlichtgewitter der Partyfotografen hält sich in Grenzen. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis trägt ein leicht unvorteilhaftes Abendkleid mit riesiger Schleife auf Brusthöhe, dazu wählte sie eine veritable Nerd-Brille. In der unmittelbar nach der Premiere verteilten Festspielzeitung attestiert Schlagerbarde Roberto Blanco Richard Wagner einen hohen Grad an Komplexität (er formulierte es ein wenig simpler), während Katharina Wagner – wie man hörte – die Aufführung gar nicht am Ort, sondern in einem Münchner Kino erlebte.
Nach der Premiere war dann in den Restaurants der Stadt noch viel los, weil Horst Seehofer auch den Staatsempfang im Neuen Schloss kurzfristig abgesagt hatte – außer Kulturstaatsministerin Grütters blieb das gesamte Münchner und Berliner Kabinett dem Geschehen fern. An Sicherheitsbedenken konnte es nicht gelegen haben, da man beim Betreten des Festspielhauses in der Regel drei Mal kontrolliert wurde. Die Drohung „Keine Flaschen im Zuschauerraum“(hübsches Motto) erwies sich als nicht ganz so schlimm, weil zumindest Plastikbehältnisse erlaubt waren, angesichts der wieder tropischen Temperaturen im Saal schlicht eine (Über-)Lebensnotwendigkeit!
Heiß ging es auch auf der Bühne zu. Regisseur Uwe Eric Laufenberg verlegt das Stück in ein heruntergekommenes Kloster im Nahen oder Mittleren Osten. Dort verschanzt sich eine radikale christliche Sekte und frönt blutigen Ritualen. Die Mitglieder ritzen ihren Anführer Amfortas und ernähren sich real und szenisch ziemlich drastisch von dessen Lebenssaft.
Der abtrünnige Klingsor logiert unterdessen einen Stock drüber und hat seine karge Wohnung mit allerlei Devotionalien bestückt, Kreuzen mit und ohne Jesus-Figur. Er hat sich allerdings auch ein Heer zuckersüßer Damen herangezüchtet, die gerne verschleiert auftreten, unten drunter indes hübsche Badekleidung tragen. Im zweiten Aufzug wollen sie Parsifal in einem Hamam verführen, was (stückgetreu) nicht gelingt. Kundry ist eine Salondame im Glitzerkleid, Rollendebütantin Elena Pankratova spielt und singt hinreißend, doch auch ihr Werben um den Erlöser-Tor bleibt erfolglos.
Klaus Florian Vogt verkörpert Parsifal. Er enttäuscht leider durch mangelnde Textverständlichkeit (vor allem im ersten Aufzug) und häufig ungenaue Intonation. Manches klingt mehr gesprochen als gesungen. Sein „Mentor“, Gralshüter Gurnemanz, ist hingegen die Stimme dieser Produktion. Georg Zeppenfeld brilliert mit perfekter Phrasierung und ungetrübtem, sattem Wohlklang. Ryan McKinnys Amfortas und Karl-Heinz Lehners Titurel liefern solide Rollenporträts, Gerd Grochowskis Klingsor wirkt vokal und szenisch etwas zu harmlos. Die von Eberhard Friedrich einstudierten Chöre bleiben diesmal – ebenso wie die Blumenmädchen – ein klein wenig unter Festspielniveau.
Laufenbergs Grundidee ist ein Coup, ihm gelingen zudem etliche starke Bilder. Am Ende blüht die Wüste, Pflanzen wuchern in dem mittlerweile halb verfallenen Kirchenbau, unter kräftigem Regen tänzeln und räkeln sich halb oder ganz nackte Mädchen. Problematisch wirkt allerdings die unklare Verankerung des Ganzen, es gibt nämlich auch ab und zu hereinschneiende Soldaten, sind das nun Dschihadisten, Freischärler oder Söldner? Und auf welcher Seite stehen sie? Während der ersten Verwandlungsmusik läuft ein WeltallVideo, das ist ebenso kosmisch wie komisch. Zur zweiten Verwandlung erscheinen alte, verschwommene Antlitze von Kundry und Gurnemanz sowie die Totenmaske Wagners. Was soll das? Auch bei der Personenführung hapert es immer wieder. Stark ist der Schluss, eine Gesellschaft von Hier und Heute, die langsam die Bühne verlässt, der Raum öffnet sich, Nebel wabert, dann geht das Saallicht an. Das hat man mittlerweile aber auch schon öfter gesehen.
Dafür gab es aus dem Graben Neuartiges und wahrhaft Phänomenales zu hören. Hartmut Haenchen, der in kürzester Zeit für den aus Frust abgereisten Andris Nelsons eingesprungen ist, drückte dem Bayreuther Festspielorchester seinen Stempel auf. Zügig geht es voran, Haenchens Klangdramaturgie erinnert hinsichtlich Transparenz, Genauigkeit und Dynamik an Pierre Boulez, aber man hört auch großartigen, ballaststoffreichen Pomp. Man sollte Haenchen unbedingt weiter daran arbeiten lassen.
Auch Laufenberg müsste noch manches fokussieren, anderes streichen. Ein Rätsel war und blieb eine über dem Bühnengeschehen thronende Figur, die in den ersten beiden Aufzügen einmal im Halbdunkel blieb, einmal angestrahlt wurde. Oper: