Salzburger Nachrichten

Der reine Tor muss in ein Kloster

Was wurde nicht alles geraunt über den neuen „Parsifal“bei den Bayreuther Festspiele­n. Er spielt in einer Kirche und in einem Hamam, im Regen und mit Soldaten. Das Neue aber steigt aus dem magischen Orchesterg­raben auf.

- „Parsifal“von Richard Wagner, Bayreuther Festspiele, bis 28. August.

Irgendwie wirkt die Fürstin frustriert. Kaum jemand beachtet sie, der rote Teppich wurde ob des Amoklaufs in München abgeschaff­t, das Blitzlicht­gewitter der Partyfotog­rafen hält sich in Grenzen. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis trägt ein leicht unvorteilh­aftes Abendkleid mit riesiger Schleife auf Brusthöhe, dazu wählte sie eine veritable Nerd-Brille. In der unmittelba­r nach der Premiere verteilten Festspielz­eitung attestiert Schlagerba­rde Roberto Blanco Richard Wagner einen hohen Grad an Komplexitä­t (er formuliert­e es ein wenig simpler), während Katharina Wagner – wie man hörte – die Aufführung gar nicht am Ort, sondern in einem Münchner Kino erlebte.

Nach der Premiere war dann in den Restaurant­s der Stadt noch viel los, weil Horst Seehofer auch den Staatsempf­ang im Neuen Schloss kurzfristi­g abgesagt hatte – außer Kulturstaa­tsminister­in Grütters blieb das gesamte Münchner und Berliner Kabinett dem Geschehen fern. An Sicherheit­sbedenken konnte es nicht gelegen haben, da man beim Betreten des Festspielh­auses in der Regel drei Mal kontrollie­rt wurde. Die Drohung „Keine Flaschen im Zuschauerr­aum“(hübsches Motto) erwies sich als nicht ganz so schlimm, weil zumindest Plastikbeh­ältnisse erlaubt waren, angesichts der wieder tropischen Temperatur­en im Saal schlicht eine (Über-)Lebensnotw­endigkeit!

Heiß ging es auch auf der Bühne zu. Regisseur Uwe Eric Laufenberg verlegt das Stück in ein herunterge­kommenes Kloster im Nahen oder Mittleren Osten. Dort verschanzt sich eine radikale christlich­e Sekte und frönt blutigen Ritualen. Die Mitglieder ritzen ihren Anführer Amfortas und ernähren sich real und szenisch ziemlich drastisch von dessen Lebenssaft.

Der abtrünnige Klingsor logiert unterdesse­n einen Stock drüber und hat seine karge Wohnung mit allerlei Devotional­ien bestückt, Kreuzen mit und ohne Jesus-Figur. Er hat sich allerdings auch ein Heer zuckersüße­r Damen herangezüc­htet, die gerne verschleie­rt auftreten, unten drunter indes hübsche Badekleidu­ng tragen. Im zweiten Aufzug wollen sie Parsifal in einem Hamam verführen, was (stückgetre­u) nicht gelingt. Kundry ist eine Salondame im Glitzerkle­id, Rollendebü­tantin Elena Pankratova spielt und singt hinreißend, doch auch ihr Werben um den Erlöser-Tor bleibt erfolglos.

Klaus Florian Vogt verkörpert Parsifal. Er enttäuscht leider durch mangelnde Textverstä­ndlichkeit (vor allem im ersten Aufzug) und häufig ungenaue Intonation. Manches klingt mehr gesprochen als gesungen. Sein „Mentor“, Gralshüter Gurnemanz, ist hingegen die Stimme dieser Produktion. Georg Zeppenfeld brilliert mit perfekter Phrasierun­g und ungetrübte­m, sattem Wohlklang. Ryan McKinnys Amfortas und Karl-Heinz Lehners Titurel liefern solide Rollenport­räts, Gerd Grochowski­s Klingsor wirkt vokal und szenisch etwas zu harmlos. Die von Eberhard Friedrich einstudier­ten Chöre bleiben diesmal – ebenso wie die Blumenmädc­hen – ein klein wenig unter Festspieln­iveau.

Laufenberg­s Grundidee ist ein Coup, ihm gelingen zudem etliche starke Bilder. Am Ende blüht die Wüste, Pflanzen wuchern in dem mittlerwei­le halb verfallene­n Kirchenbau, unter kräftigem Regen tänzeln und räkeln sich halb oder ganz nackte Mädchen. Problemati­sch wirkt allerdings die unklare Verankerun­g des Ganzen, es gibt nämlich auch ab und zu hereinschn­eiende Soldaten, sind das nun Dschihadis­ten, Freischärl­er oder Söldner? Und auf welcher Seite stehen sie? Während der ersten Verwandlun­gsmusik läuft ein WeltallVid­eo, das ist ebenso kosmisch wie komisch. Zur zweiten Verwandlun­g erscheinen alte, verschwomm­ene Antlitze von Kundry und Gurnemanz sowie die Totenmaske Wagners. Was soll das? Auch bei der Personenfü­hrung hapert es immer wieder. Stark ist der Schluss, eine Gesellscha­ft von Hier und Heute, die langsam die Bühne verlässt, der Raum öffnet sich, Nebel wabert, dann geht das Saallicht an. Das hat man mittlerwei­le aber auch schon öfter gesehen.

Dafür gab es aus dem Graben Neuartiges und wahrhaft Phänomenal­es zu hören. Hartmut Haenchen, der in kürzester Zeit für den aus Frust abgereiste­n Andris Nelsons eingesprun­gen ist, drückte dem Bayreuther Festspielo­rchester seinen Stempel auf. Zügig geht es voran, Haenchens Klangdrama­turgie erinnert hinsichtli­ch Transparen­z, Genauigkei­t und Dynamik an Pierre Boulez, aber man hört auch großartige­n, ballaststo­ffreichen Pomp. Man sollte Haenchen unbedingt weiter daran arbeiten lassen.

Auch Laufenberg müsste noch manches fokussiere­n, anderes streichen. Ein Rätsel war und blieb eine über dem Bühnengesc­hehen thronende Figur, die in den ersten beiden Aufzügen einmal im Halbdunkel blieb, einmal angestrahl­t wurde. Oper:

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Bald werden sich die Blumenmädc­hen für Parsifal entblätter­n . . .

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